Wirkstoff - Interaktionen
Tubocurarin

Anästhetika, Lokalanästhetika und Antibiotika sind Wirkstoffe, welche den Endplattenionenkanal blockieren können. Die häufigste dokumentierte Form einer Blockade ist der "offene Kanal-Block" (Lambert 1983a). Nachdem der Kanal durch Acetylcholin geöffnet wurde, binden diese Substanzen nicht an die α-Untereinheiten, sondern treten in den offenen Kanal ein und binden an Aminosäuren in der transmembranen Domäne. Die aktive oder offene Form des Rezeptors wird somit nicht-kompetitiv blockiert und die Konzentration des Agonisten (Acetylcholin) wird erhöht. Dies führt zu weiteren offenen Kanälen, die durch blockierende Substanzen besetzt werden können. Diese Art der Blockierung kann nicht durch Anticholinesterasen aufgehoben werden (Hall 2001m).
 
Ausserdem besitzt Tubocurarin unterschiedliche Bindungseigenschaften an der α-Untereinheit des Rezeptors, und es ist möglich, dass diese unterschiedlichen Bindungen einige Interaktionen erklären können (Pedersen 1990a).
 

Interaktionen einiger Wirkstoffklassen auf eine nicht-depolarisierende neuromuskuläre Blockade (Martinez 2001a)

WirkstoffeWirkung auf Tiefe / LängeKommentar
AminoglykosideverstärktKalzium kann der Interaktion entgegenwirken
ClindamycinverstärktKalzium kann der Interaktion entgegenwirken
LincomycinverstärktKalzium kann der Interaktion entgegenwirken
TetracyclinverstärktKalzium kann der Interaktion entgegenwirken
PolymixineverstärktNeostigmin erhöht die Blockade zusätzlich / Kalzium kann der Interkation entgegenwirken
Anticholinesterasenvermindert 
Carbamazepinverstärktnach einer Therapiedauer von über 2 Wochen
Phenytoinverstärktnach einer Therapiedauer von über 2 Wochen
Dantrolenverstärkt 
Ketaminverstärktdosisabhängige Potenzierung
Propofolverstärktdosisabhängige Potenzierung
Thiopentalverstärktdosisabhängige Potenzierung
Inhalationsanästhetikaverstärkt 
Benzodiazepineverstärkt 
Chlorpromazinverstärkt 
Steroideverstärkt oder vermindertbewirkt meistens einen Wirkungsabfall, kann aber auch eine Wirkungsverstärkung oder keine Wirkung verursachen
Succinylcholinverstärktwenn vor nicht-depolarisierenden Substanzen verabreicht
Theophyllinvermindert 
 

Antiarrhythmika

Einige Antiarrhythmika, wie Chinidin und Procainamid, verstärken die Wirkung peripherer Muskelrelaxantien (Löscher 2002a; Burgis 2002a). Patienten, welchen hohe Dosierungen von Antiarrhythmika, wie z.B. Lidocain, verabreicht werden, zeigen eine erhöhte Sensibilität gegenüber der Wirkung von D-Tubocurarin (Harrah 1970a).
 

Antibiotika

Etliche Antibiotika, darunter in erster Linie Aminoglykoside und Polymyxine, aber auch Tetracycline, Clindamycin und Lincomycin, verstärken die Wirkung nicht-depolarisierender Muskelrelaxantien (Burgis 2002a; Starke 2005b).
 

Aminoglykoside

Gentamicin, Neomycin, Kanamycin und Streptomycin verursachen eine neuromuskuläre Blockade, indem sie einerseits die präsynaptische Acetylcholinfreisetzung (Martinez 2007a; Taylor 2001e) durch Kompetition mit Kalzium hemmen, und andererseits auch wenige Rezeptoren besetzen (Taylor 2001e). Wenn Aminoglykosidantibiotika postoperativ zur Infektionsprophylaxe angewendet werden, so kann es zu einer Recurarisierung mit Gefahr der Atemlähmung bei aus der Narkose erwachten Patienten kommen (Löscher 2002a; Löscher 2006a); dies kann aber mit Kalzium antagonisiert werden (Sokoll 1981a).
 

Lincomycin, Clindamycin

Lincomycin wirkt wahrscheinlich direkt am Muskel; zudem ist eine geringe prä- und postsynaptische Wirkung vorhanden, was eine neuromuskuläre Blockade verstärkt (Martinez 2007a). Die Wirkung kann nur schlecht mit Neostigmin oder Kalzium, jedoch teilweise mit 4-Aminopyridin antagonisiert werden (Sokoll 1981a).
 
Clindamycin besitzt eine grössere neuromuskuläre Wirkung als Lincomycin und inhibiert eine Kontraktion direkt am Muskel. Dies verstärkt eine neuromuskuläre Blockade (Martinez 2007a). Eine Antagonisierung mit Neostigmin oder Kalzium ist schwierig (Sokoll 1981a).
 

Penicilline und Cephalosporine

Penicilline und Cephalosporine besitzen eine minimale, aber vernachlässigbare Wirkung auf die neuromuskuläre Funktion (Devasankaraiah 1973a).
 

Polymyxine

Polymyxine vermindern die postsynaptische Sensitivität gegenüber Acetylcholin und verstärken somit eine neuromuskuläre Blockade (Sokoll 1981a; Singh 1982b). Ein Antagonisieren mit Neostigmin oder Kalzium ist schwierig und unzuverlässig (Sokoll 1981a). Dies wurde in einer Studie mit Ratten gezeigt, bei welcher Polymyxin B eine neuromuskuläre Blockade, verursacht durch D-Tubocurarin oder Pancuronium, verstärkte, und eine Zugabe von Neostigmin diese Blockade noch weiter verstärkte (Van Nyhuis 1976a).
 

Tetrazyklin

Tetrazykline können ebenfalls, wahrscheinlich durch Chelatbildung mit Kalzium, eine neuromuskuläre Blockade verstärken (Taylor 2001e); diese kann mit Kalzium, nicht jedoch mit Neostigmin, antagonisiert werden (Sokoll 1981a).
 

Antiepileptika

Epileptiker, welche mit Diphenylhydantoin behandelt werden, können eine erhöhte Sensibilität gegenüber D-Tubocurarin aufweisen (Harrah 1970a).
 

Atracurium, Pancuronium und Vecuronium

Die kombinierte Anwendung von verschiedenen nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantien zeigt im Bezug auf die Wirkungsstärke keinen Vorteil (Booij 1985a). Pancuronium und Atracurium wirken nicht signifikant synergistisch, bei anderen Kombinationen ist die Wirkung jedoch additiv. Nur bei Kombinationen von Pancuronium oder D-Tubocurarin mit Atracurium ist der Wirkungseintritt kürzer als jener von Pancuronium oder D-Tubocurarin. Die Wirkungsdauer von Vecuronium kombiniert mit D-Tubocurarin ist kürzer als jene von D-Tubocurarin, aber etwa gleich lang wie bei der alleinigen Anwendung von Vecuronium (Booij 1985a). In-vitro bewirken D-Tubocurarin und Pancuronium zusammen eine stärkere Blockade, als wenn sie einzeln verabreicht werden. Die Ursache dieser Potenzierung ist nicht bekannt (Pollard 1983a).
 
Pancuronium bewirkt eine Erhöhung der Herzfrequenz, des arteriellen Blutdruckes und des Herzminutenvolumens ohne den systemischen vaskulären Widerstand zu stark zu beeinflussen. Tubocurarin verursacht einen Abfall des arteriellen Blutdruckes und eine Hypotonie. D-Tubocurarin kombiniert mit Pancuronium wurden anästhesierten Hunden in niedriger Dosierung verabreicht. Die unterschiedlichen kardiovaskulären Wirkungen von jeder Substanz wurden nicht vollständig antagonisiert. Diese waren nur vorübergehend und nach 10 min nicht mehr signifikant (Hackett 1986a).
 

Barbiturate / Benzodiazepine

Hypnotika (Barbiturate) und Tranquilizer (Benzodiazepine) können die Wirkung von D-Tubocurarin verstärken (Burgis 2002a).
 
Untersuchungen mit Katzen zeigten, dass Diazepam, in Dosen von 1 mg/kg verabreicht, die Erholung von einer durch Tubocurarin induzierten neuromuskulären Blockade sogar leicht beschleunigt. Niedrigste Dosen von 0,2 - 0,4 mg/kg Diazepam interagierten bei anästhesierten Katzen nicht mit Tubocurarin (Webb 1971a).
 
Beim Menschen verursacht die gleichzeitige Verabreichung von Diazepam und D-Tubocurarin in therapeutischen Dosierungen ebenfalls keine signifikante Verlängerung oder Potenzierung einer neuromuskulären Blockade (Jain 1976a). Es gibt aber Fallberichte, welche zeigen, dass Diazepam selbst, verabreicht während einer Anästhesie, eine Paralyse bewirken kann (Buskop 1967a; Doughty 1970a; Dretchen 1971a). Dies würde darauf hinweisen, dass Diazepam die Wirkung von nicht-depolarisierenden neuromuskulären Blockern potenzieren kann (Feldman 1970b; Feldman 1970c). Es ist nicht klar ob Diazepam an der neuromuskulären Endplatte wirkt oder eine zentrale Wirkung besitzt (Dretchen 1971a).
 

Bupivacain

Neuromuskuläre Blocker, wie z.B. Dimethyltubocurarin (Metocurin), zeigen bei Katzen keinen Einfluss auf die Bupivacainkonzentrationen, welche Konvulsionen auslösen können (de Jong 1981a).
 

Chinidin

Chinidin verstärkt eine durch D-Tubocurarin induzierte neuromuskuläre Blockade bei Katzen, und ebenfalls in-vitro am isolierten N. Phrenicus von Ratten (Miller 1967a).
 

Diuretika

Schleifendiuretika, wie z.B. Furosemid, verstärken die Wirkung peripherer Muskelrelaxantien (Miller 1976c; Löscher 2002a).
 

Dopamin / Apomorphin

D-Tubocurarin kann eine durch Dopamin verursachte Vasodilatation reduzieren, wenn beide Wirkstoffe gleichzeitig verabreicht werden. D-Tubocurarin antagonisiert die inhibitorische Wirkung von Dopamin und Apomorphin kompetitiv (Nelson 1983a).
 

Inhalationsanästhetika

Inhalationsnarkotika verstärken und verlängern die Wirkung nicht-depolarisierender Muskelrelaxantien zeit- und dosisabhängig (Withington 1991a). Eine deutliche Potenzierung wird bei der Verbreichung von Diethylether, Isofluran und Halothan beobachtet (Hughes 1970a; Starke 2005b). Die Dosis von D-Tubocurarin muss bei der Verabreichung von Halothan und Diethylether entsprechend um etwa die Hälfte reduziert werden (Löscher 2006a). Bei der Anwendung von Lachgas und Injektionsnarkotika ist die Potenzierung weniger deutlich ausgeprägt (Hughes 1970a; Starke 2005b). Die Potenzierung dürfte verschiedene Ursachen haben: einerseits eine zentralnervöse Wirkung der Narkosemittel, andererseits eine unspezifische postsynaptische Wirkung an der Muskelendplatte, in Form einer Störung der Öffnung der Nikotinrezeptor-Ionenkanäle (Starke 2005b). Zudem zeigte eine Studie, dass Sevofluran und Isofluran die Wirkung von neuromuskulären Blockern (D-Tubocurarin und Vecuronium) wahrscheinlich durch eine Erhöhung der Antagonistenaffinität des Rezeptors verstärken (Paul 2002a).
 
Inhalationsanästhetika können zudem als nicht-spezifische Kalziumantagonisten wirken und so eine neuromuskuläre Blockade potenzieren (Hall 2001m).
 

Halothan / Thiopental

Bei Katzen erhöht Halothan die Konzentration von D-Tubocurarin im Plasma und somit auch seine Wirkung (Vermeer 1974a). Die Verstärkung der Reaktion auf D-Tubocurarin durch Halothan kann zudem durch eine erhöhte Muskelsensitivität erklärt werden (Stanski 1979a). Halothan und Thiopental potenzieren zudem die hypotone Wirkung von D-Tubocurarin (Hughes 1970a).
 

Kalziumantagonisten

Kalziumantagonisten interagieren mit neuromuskulären Blockern, da die Acetylcholinfreisetzung durch Kalziumionen ausgelöst wird (Jones 1984c). Ein Molekül Verapamil kann die Aufnahme mehrerer tausend Kalziumkationen blockieren; Diltiazem und Verapamil hemmen die Transmitterfreisetzung (Chang 1988a). Eine Verabreichung von Verapamil während einer Anästhesie kann die Wirkung neuromuskulärer Muskelrelaxantien verstärken. Eine chronische Verwendung von Kalziumantagonisten kann die Erholung von einem neuromuskulären Block beeinträchtigen (Bikhazi 1988a).
 

Ketamin

Ketamin erhöhte in einer in-vitro Studie am isolierten N. phrenicus von Ratten die Wirkung von D-Tubocurarin (Wilson 1973a).
 

Lithium

Verabreichtes Lithium kann mit Natrium konkurrieren und so über eine verminderte Acetylcholinfreisetzung eine Verlängerung und Verstärkung einer neuromuskulären Blockade verursachen (Reimherr 1977a; Martinez 2007a).
 

Magnesium

Magnesium verstärkt eine neuromuskuläre Blockade, induziert durch D-Tubocurarin bei Ratten, um das 4,1-fache. Eine erhöhte Serummagnesiumkonzentration konkurriert mit ionisiertem Kalzium und resultiert in einer verminderten Acetylcholinfreisetzung. Wird Patienten Magnesiumsulfat verabreicht, verlängert sich die Wirkung von neuromuskulären Blockern (Ghoneim 1970a).
 

Parathion

Das Insektizid Parathion vermindert bei Katzen, Ratten und Mäusen die Wirkung von D-Tubocurarin (Berencsi 1969a).
 

Propranolol

Eine Studie zeigte, dass eine i.v. Verabreichung von Propranolol bei Katzen die durch D-Tubocurarin induzierte neuromuskuläre Blockade reduziert; das Atemvolumen und der Blutdruck sinken jedoch kurz nach der Injektion (Wislicki 1967a).
 

Serotonin

Serotonin inhibiert bei Katzen eine durch nicht-depolarisierende neuromuskuläre Blocker induzierte neuromuskuläre Blockade. Es wird angenommen, dass die Substanz präsynaptisch durch eine Interaktion mit den Serotonin D-Rezeptoren eine Acetylcholinfreisetzung auslöst. In-vitro hatte Serotonin bei verschiedenen Versuchen keinen Einfluss auf die Wirkung neuromuskulärer Blocker (Dretchen 1972a).