Systemische Nebenwirkungen
Viele nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien wirken nicht nur an nikotinergen Rezeptoren der neuromuskulären Endplatte, sondern auch an den muskarinergen Rezeptoren des Herzens und an den nikotinergen Ganglienrezeptoren des autonomen Nervensystems (Boeckh 2002a; Erhardt 2004l; Löscher 2006a; Martinez 2007a) von Herz, Drüsen und glatter Muskulatur (Erhardt 2004l). Dadurch ergeben sich die häufigsten unerwünschten Wirkungen der Wirkstoffe.Übersicht einiger unerwünschten Wirkungen (Starke 2001b; Raghavendra 2002a)
Substanz | Histaminfreisetzung | Ganglienblockade | Kardiale Effekte |
D‑Tubocurarin | deutlich | Blockade | Hypotonie |
Pancuronium | - | schwache Blockade | Tachykardie |
Vecuronium | - | - | - |
Atracurium | schwach | - | - |
Rocuronium | - | - | - |
Kardiovaskuläres System
Durch die Wirkungen am autonomen Nervensystem und/oder durch die Freisetzung von Histamin kommt es bei allen gebräuchlichen nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantien zu kardiovaskulären Nebenwirkungen, wie Bradykardie, Tachykardie, Arrhythmie, Hypertonie oder Hypotonie (McCullough 1970a; Antonio 1979a; Moss 1983a; Hall 2001m; Erhardt 2004l; Starke 2005b). Bei Hunden, welche mit hypobarem Lachgas anästhesiert waren, verursachte D-Tubocurarin eine Abnahme der Herzfrequenz, des Herzminutenvolumens und eine Hypotonie (Smith 1970a). D-Tubocurarin senkt den Blutdruck, sowohl durch eine Histaminfreisetzung als auch durch die Blockade sympathischer Ganglien, welche eine Abnahme der sympathischen efferenten Wirkungen verursacht (Cohen 1965b; Bonta 1968a; Droh 1970a; Starke 2005b; Martinez 2007a). D-Tubocurarin scheint zusätzlich eine direkt entspannende Wirkung auf die glatte Gefässmuskulatur zu haben, was die induzierte Hypotonie verstärken könnte (Pasch 1979a). Nach einer muskelparalysierenden Dosis von D-Tubocurarin dauert die Wirkung der Ganglienblockade ungefähr 20 min (McCullough 1970a). Es wird aber angenommen, dass die Histaminfreisetzung einen grösseren Einfluss auf die Blutdruckabnahme hat, als die Blockade der sympathischen Ganglien, denn eine Vorbehandlung mit Antihistaminika vermindert den Blutdruckabfall signifikant (Moss 1981a). Schon in therapeutischen Dosierungen ist mit Blutdruckabfall (Booij 1980b; Saxena 1983a; Erhardt 2004l; Martinez 2007a) und einer Erhöhung der Herzfrequenz zu rechnen (McCullough 1970a; Booij 1980b; Hall 2001m; Erhardt 2004l).Histaminfreisetzung
Histamin wird vor allem durch die Verabreichung von nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantien der Wirkstoffklasse Benzisoquinoline freigesetzt (Martinez 2007a). D-Tubocurarin setzt bei Menschen und anderen Spezies bereits in therapeutisch verwendeten Dosen direkt (nicht auf immunologischem Weg) Histamin aus Mastzellen frei (Reid 1950a; Frisk-Holmberg 1969a; Ellis 1970a; Derkx 1971a; Moss 1983a; Starke 2005b; Erhardt 2004l; Frisk-Holmberg 1971a; Wali 1988a). Bei einer muskelparalysierenden Dosis von D-Tubocurarin erfolgt die Histaminfreisetzung nur kurz nach der Injektion (McCullough 1970a). Studien mit Ratten zeigten, dass die erhöhten Histaminkonzentrationen im Blut wahrscheinlich durch eine Freisetzung aus der Haut und der Zunge verursacht werden (Ertama 1978a). Diese Wirkung von D-Tubocurarin ist sowohl spezies- (Hughes 1970c) wie auch dosisabhängig (Ellis 1970a); höhere Dosen verursachen eine Erhöhung der Plasmakonzentration von Histamin (Moss 1983a; McCullough 1970a), und beim Hund wurde z.B. eine stärkere Histaminfreisetzung als beim Menschen beobachtet (Smith 1967c; Hughes 1970c). Zudem wird bei Hunden in-vivo, nach einer D-Tubocurarinverabreichung, neben Histamin auch Heparin freigesetzt (Reid 1950a). Beim Menschen kann ein Erythem in Gesicht, Hals und oberem Brustbereich die Folge einer Histaminfreisetzung durch nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien sein (Starke 2001b; Starke 2005b).Bei neueren nicht-depolarisierenden neuromuskulären Blockern ist die Dosis, welche eine signifikante Histaminfreisetzung auslöst, um einiges höher (Martinez 2007a).
Respirationstrakt
Der eintretende Atemstillstand beruht auf der direkten Lähmung der Atemmuskulatur, da D-Tubocurarin keinen Einfluss auf das zentrale Atemzentrum hat (Taylor 2001e; Erhardt 2004l). Ausserdem kommt es zur verstärkten Bronchialsekretion, Salivation und zu einem Bronchospasmus aufgrund der Histaminfreisetzung (Pugh 1991b; Taylor 2001e; Starke 2001b; Erhardt 2004l; Starke 2005b).Nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien werden hypoxischen Neonatalen verabreicht, um deren Sauerstoffverbrauch zu reduzieren. Eine Studie mit Lämmern zeigte, dass eine Muskelparalyse, induziert durch D-Tubocurarin, keinen Einfluss auf die Sauerstoffaufnahme bei normoxischen beatmeten Lämmern hatte, jedoch die Sauerstoffaufnahme bei hypoxischen Lämmern signifikant reduzierte (Cameron 1986a).
Gastrointestinaltrakt
Nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien hemmen die Magen-Darm-Motilität reversibel. Die Motilitätshemmung kann durch Cholinesterasehemmer vollständig aufgehoben werden (Erhardt 2004l).Aufgrund der Kardiasphinkterlähmung und der Lähmung der ösophagealen Muskulatur kann eine Regurgitation eintreten (Pugh 1991b).