Wirkstoff - Indikationen
Morphin

Allgemein

Die Hauptindikationen für die Anwendung von Morphin sind die Narkoseprämedikation sowie die Behandlung von schweren Schmerzzuständen (Löscher 2010a).
 

Analgesie

Der Wirkstoff wird zur Therapie von akuten Schmerzen bei verschiedenen Tierarten verwendet (Löscher 1999e; Plumb 2011a). Er ist zur Behandlung sowohl von somatischen wie auch von viszeralen Schmerzen gut geeignet (Ammer 2010a), wobei die reinen Opioid-Agonisten beim viszeralen Schmerz stärker wirksam sind als beim somatischen Schmerz (Müller 2001a). Opioide wirken besser analgetisch wenn sie rechtzeitig vor den zu erwartenden Schmerzen verabreicht werden (George 2003a). Die beste Analgesie wird bei allen Tierarten mit einer kombinierten Gabe zusammen mit nichtsteroidalen Entzündungshemmern erzielt (Dobromylskyj 2000a).
 

Hund

Epi- und extradurale Anwendung
Epidural angewendet diffundiert der Wirkstoff in die zerebrospinale Flüssigkeit und von dort aus ins Dorsalhorn. Die Wirkung an den dort lokalisierten μ-Rezeptoren führt zu einer selektiven, spinal-vermittelten Analgesie (Sano 2011a). Durch die polare und lipophobe Struktur von Morphin führt diese Applikationsart zu einer langanhaltenden Wirkung bei deutlich geringeren Dosierungen (Coombs 1994a). Aus diesem Grund ist Morphin in der Veterinärmedizin das am besten geeignete Opioid zur epiduralen Anwendung (Nolan 2000a; Jones 2001a; Lemke 2007a; Branson 1993a) und ist einer wiederholten systemischen Injektion von Oxymorphon und Ketoprofen überlegen (Troncy 2002a). Ausserdem verursacht es keine Muskelschwäche oder Paralyse und hat keine signifikanten hämodynamischen Nebenwirkungen (Skarda 2007b; Naganobu 2004a). Die epidurale Applikation im Lumbalbereich führt zur Spinalanalgesie bei Schmerzen kaudal des Rippenbogens (Löscher 2010a). Am lumbosakralen Übergang appliziert, führt Morphin zu einer Analgesie bis auf Höhe des Zwerchfells (Pekcan 2010a). Mit dieser Art der Schmerzausschaltung können Manipulationen an den Hintergliedmassen, dem Abdomen, Thorax und den Vordergliedmassen durchgeführt werden (Lemke 2007a). Bei Knieoperationen führt epidural angewendetes Morphin zu einer guten postoperativen Analgesie (Smith 2001c). In einer anderen Studie wurde jedoch gezeigt, dass eine alleinige epidurale Morphinanwendung nach orthopädischen Eingriffen eine ungenügende Analgesie bewirkte. Gründe dafür könnten eine zu niedrige Dosierung oder eine zu späte Anwendung gewesen sein (Hendrix 1996a). Die epidurale Verabreichung eines Morphin-Präparates mit verzögerter Wirkstoffabgabe führte zu einer länger andauernden Analgesie ohne zusätzlichen Nebenwirkungen (Yaksh 1999a). Die extradurale Applikation von Morphin nach der Narkoseeinleitung bewirkt eine sichere und effektive Analgesie bei Hündinnen nach einer Ovariohysterektomie (Neves 2012a) und führt zu einer besseren Schmerzausschaltung als nach einer transdermalen Fentanyl-Gabe (Pekcan 2010a).
 
Morphin / α2-Agonisten
Morphin kann für die epidurale Anwendung auch mit α2-Agonisten kombiniert werden. Dadurch wird die analgetische Wirkung verlängert (Branson 1993a).
 
Morphin / Bupivacain
Häufig werden zur epiduralen Schmerzausschaltung Kombinationen mit Lokalanästhetika verwendet. Die Kombination von Morphin und Bupivacain führt zu einer guten (Kona-Boun 2006a) bis hervorragenden Analgesie. Die Wirkung dauert mit dieser Wirkstoffkombination länger an als wenn Morphin alleine angewendet wird (Hendrix 1996a; Troncy 2002a). In einer retrospektiven Studie mit 265 Probanden wird die gute Wirksamkeit von Morphin-Bupivacain-Kombinationen beschrieben. 242 Hunde und 23 Katzen bekamen vor einem chirurgischen Eingriff Morphin mit, bzw. ohne Bupivacain epidural verabreicht. Dabei benötigten die Tiere, welchen beide Wirkstoffe verabreicht wurde eine signifikant niedrigere Dosis Isofluran als diejenigen, die Morphin alleine appliziert bekamen (Troncy 2002a). Die zusätzliche Gabe einer niedrigen Dosis Bupivacain beeinflusst die postoperative motorische Bewegunsfähigkeit kaum; beim gesunden Tier tritt keine Paralyse auf. Dahingegen führte die zusätzliche Gabe einer niedrigen Dosis Bupivacain (0,25 mg/kg) in einer anderen Studie zu keiner Verbesserung der Analgesie (Abelson 2011a).
 
Intraartikuläre Anwendung
Die intraartikuläre Gabe von Morphin führt zu einer guten postoperativ Analgesie (Müller 2001a). Diese Applikationsart bewirkte bei Kreuzbandoperationen eine lokale Schmerzbekämpfung im Knie, war jedoch weniger potent als eine Behandlung mit Bupivacain (Sammarco 1996a). Auch bei einer Knie-Arthrotomie wurde mit Morphin eine gute Schmerzausschaltung erzielt. Sie war vergleichbar mit derjenigen nach epiduraler Anwendung. Allerdings benötigten die Tiere bei beiden Anwendungsarten zusätzliche Analgetika (Day 1995b). Auch nach einer Ellbogenarthroskopie zeigte die intraartikuläre Injektion von Morphin lediglich an einem der untersuchten Zeitpunkte (nach 24 Stunden) einen ausreichenden analgetischen Effekt (Gurney 2012a).
 
Topische Anwendung
Die topische Anwendung einer Morphin-Lösung bei Hunden mit Hornhautulzera führt zu einer guten Analgesie ohne störenden Einfluss auf die Heilung der Cornea (Stiles 2003a). Die intraoperative topische Applikation von Morphin direkt auf die Dura Mater appliziert, wirkt nach einer thorakolumbalen Hemilaminektomie nach Diskusprolaps langanhaltend analgetisch (Aprea 2012a).
 

Katze

Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass Opioide bei der Katze nicht angewendet werden sollten, können alle Klassen der Opioide auch bei dieser Spezies eingesetzt werden. Morphin ist sehr wirksam (Dobromylskyj 2000a) und in empfohlenen Dosierungen ist die Anwendung sicher. Insbesondere Tiere mit Schmerzen beruhigen und entspannen sich in der Regel und es treten nur sehr selten Exzitationen auf (Hall 2001b; Müller 2001a). Gesunde Katzen zeigten nach der Applikation von klinischen und supratherapeutischen Dosen keine Erregungserscheinungen (Kamata 2012b). Die subkutane und epidurale Applikation erhöht die Reizschwelle auf thermale und mechanische Stimuli (Steagall 2006b; Pypendop 2008b; Castro 2009a). Nach der intramuskulären Injektion wird die Schmerzschwelle auf Wärmereize ebenfalls angehoben (Robertson 2003c).
 

Pferd

Parenterale Anwendung
Die alleinige parenterale Anwendung wird wegen der möglichen unerwünschten Wirkungen wie Exzitation, Koordinationsverlust, Verhaltensänderungen und langanhaltende, verstärkte lokomotorische Aktivität nicht routinemässig empfohlen (Kukanich 2009a). Beim Pferd kann Morphin bei spastischer Kolik und Pleuritis verwendet werden. Allerdings muss mit oben erwähnten unerwünschten Nebenwirkungen gerechnet werden (Allen 1993a). Pferde mit Schmerzen, z.B. Koliken zeigen aber normalerweise keine Exzitationen wenn Morphin in niedrigen Dosierungen appliziert wird (Trim 1995a). Opioide sind ausserdem prä- und postoperativ angewendet sehr gut wirksam bei schmerzhaften Zuständen des Skelettsystems (Dobromylskyj 2000a). Die intraoperative Verabreichung von Opioiden reduziert die postoperativ benötigte Menge an Analgetika (Clutton 2010a).
 
Epidurale Anwendung
Die epidurale Applikation führt zu keinen unerwünschten Wirkungen wie Exzitation, Verhaltensauffälligkeiten und verstärkten Bewegungsdrang (Valverde 1990b; Freitas 2011a). Experimentell konnte die Wirksamkeit von epidural appliziertem Morphin bei perinealen und lumbosakralen Schmerzen bewiesen werden (Natalini 2000a). Bei einem Pferd mit hochgradigen Schmerzen aufgrund einer offenen Luxation des Fesselgelenkes und einer Hufbeinfraktur wurde epidural appliziertes Morphin erfolgreich angewendet (Valverde 1990b). Auch bei einer karpalen Synovitis bei Ponies wurde mit der epiduralen Morphingabe eine gute Analgesie erzielt (Freitas 2011a). Bei Pferden mit Lipopolisaccharid-induzierter Synovitis des Talokruralgelenkes wurde eine analgetische und anti-hyperalgetische Wirkung nach epidural appliziertem Morphin beobachtet. Die Tiere zeigten eine deutlich verringerte Lahmheit, eine bessere Beweglichkeit des Gelenkes und stützten ihr Gewicht besser auf dem betroffene Bein ab (van Loon 2012a).
 
Morphin / α2-Agonisten
Oft werden α2-Agonisten mit epiduralen Opioiden kombiniert. Damit wird ein rascherer Wirkungseintritt sowie eine bessere und länger anhaltenden Analgesie erzielt (Fischer 2009a). Die epidurale Applikation von Morphin und Detomidin verringert die Lahmheit sowie die Herzfrequenz nach einer beidseitigen Knie-Arthroskopie signifikant und ist deshalb zur postoperativen Schmerzkontrolle nach diesem Eingriff geeignet (Goodrich 2002a). Die 12-stündliche Langzeitanwendung dieser Wirkstoffe mittels einem epiduralen Dauerkatheter während 14 Tagen führte in einem Versuch zu keinen unerwünschten Wirkungen. Diese Anwendungsart könnte eine Option zur Bekämpfung chronischer muskuloskelettaler Schmerzen sein (Sysel 1997a).
 
Intraartikuläre Anwendung
Die intraartikuläre Gabe kann bei einer Synovitis, nach Gelenkoperationen (Plumb 2011a) sowie bei akuten entzündlichen Gelenkschmerzen nützlich sein (van Loon 2010a). Bei dieser Applikationsart kommt es zu keinen Opioid-induzierten unerwünschten Nebenwirkungen (van Loon 2010a). Die analgetische und antiinflammatorische (Lindegaard 2010c; van Loon 2010a) Wirkung wird durch periphere Wirkmechanismen vermittelt. Die minimale effektive Serumkonzentration wird dabei nicht erreicht (Lindegaard 2010a). Bei Pferden mit experimentell induzierter radiokarpaler Synovitis wurde der Wirkstoff vergleichsweise intraartikulär und intravenös verabreicht. Der bessere analgetische Effekt nach der intraartikulären Applikation zeigte sich in einem abnehmenden Lahmheitsgrad (Lindegaard 2010b). Auch bei experimentell induzierter akuter Synovitis des Talokruralgelenkes führte die intraartikuläre Gabe zu einer potenten Analgesie (van Loon 2010a).
 
Morphin / Ropivacain
Verglichen mit Ropivacain führt die intraartikuläre Injektion von Morphin alleine zwar zu einer verzögert einsetzenden, aber stärkeren und länger anhaltenden Analgesie. Die Applikation einer Kombination dieser beiden Wirkstoffe hat ein rasches Einsetzen einer starken und lang anhaltenden Analgesie im entzündeten Gelenk zur Folge (Santos 2009a).
 

Rind

Morphin weist bei Nutztieren im Allgemeinen relativ geringe analgetische Eigenschaften auf (George 2003a). Die epidurale Applikation führt jedoch zu einer Kontrolle von Schmerzen im Perinealbereich sowie im kaudalen Abdomen. Auch im Zusammenhang mit intestinalen Krankheiten und Problemen der Hinterhand führt diese Applikationsart zu einer Schmerzlinderung (George 2003a; Wren 2008a).
 
Morphin / Romifidin
Die epidurale Injektion einer Kombination von Morphin und Romifidin führt zu einer guten Analgesie in der paralumbalen Flankenregion (Fierheller 2004a).
 

Schwein

Morphin / Fentanyl-TTS
Schweine, die vor einer abdominalen Operation epidural Morphin und postoperativ ein Fentanylpflaster erhielten, erholten sich schneller, zeigten früher eine normale Aktivität und nahmen sofort wieder an Gewicht zu (Malavasi 2006b).
 

Heimtiere, Reptilien und Vögel

Morphin kommt bei Heimtieren, Reptilien und Vögeln als Analgetikum zum Einsatz (Plumb 2002a).
 

Narkoseprämedikation / Sedation

Morphin kann zur Narkoseprämedikation, u.a. bei knochenchirurgischen Eingriffen angewendet werden (Ammer 2010a).
 

Hund

Beim Hund zeigt Morphin eine ausgeprägte sedativ-hypnotische Wirkung. Dies ist vor allem bei der Narkoseprämedikation von Vorteil (Löscher 1999e). Dadurch werden geringere Dosen an Narkotika benötigt (Steffey 1993b).
 
Morphin / Acepromazin
Eine Kombination mit Acepromazin bewirkt eine leichte bis tiefe Sedation während 3 - 4 Stunden und reduziert das Auftreten von Erbrechen (Johnson 1999b). Mit der kombinierten Verabreichung von 0,5 mg/kg Morphin und 0,02 mg/kg Acepromazin i.m. zur sedativen Prämedikation vor einer Ovariohysterektomie, konnte die minimale alveoläre Konzentration (MAC) von Isofluran um 33,3% reduziert werden (Monteiro 2015a).
 
Morphin / Medetomidin / Ketamin
Die intramuskulär injizierte Kombination von Morphin, Medetomidin und Ketamin führt zu einer kurzen Anästhesie und Analgesie während ca. 1 Stunde. Diese Kombination kann für kleine medizinische und chirurgische Eingriffe verwendet werden, wird jedoch nicht für schmerzhafte Prozeduren empfohlen (Ueyama 2008a).
 

Katze

Morphin / Acepromazin
Bereits niedrige Dosen bewirken eine Sedation (Navarro 1971a).
 

Pferd

Die zusätzliche intravenöse Gabe von Morphin, 20 Minuten nach Narkoseeinleitung führte nach chirurgischen Eingriffen der oberen Atemwegen zu einer verbesserten Aufwachphase. Die Pferde konnten bereits beim ersten Versuch aufstehen (Love 2006a). Auch eine andere Studie bestätigt diese Beobachtung. Die mit Morphin behandelten Tiere brauchten postoperativ weniger Versuche um in Sternallage zu kommen und aufzustehen. Ausserdem war die Zeit zwischen den ersten Bewegungen und dem Aufstehen kürzer (Clark 2008a). Nach hohen Dosen (2 mg/kg i.v.) zeigten die Tiere nach einer Isofluran-Narkose jedoch eine schwierige und gefährliche Aufwach- und Erholungsphase mit unruhigem Verhalten. Sie waren ataktisch und hatten einen gesteigerten Bewegungsdrang (Steffey 2003a).
 
Morphin / α2-Agonisten
Opioide werden beim Pferd meistens in Kombination mit Sedativa verabreicht. Die Qualität der Analgesie wird durch die Zugabe eines α2-Agonisten deutlich verbessert (Muir 2008b). Ausserdem wird die Sedation vertieft (Clarke 1988a). Die kombinierte Anwendung von Medetomidin und Morphin initital als Bolus, danach als konstante Infusion verabreicht, bewirkt eine zuverlässige Sedation am stehenden Pferd. Sie kann beispielsweise für eine explorative Laparoskopie verwendet werden (Solano 2009a).
 
Die Kombination von Morphin und Romifidin kann als Prämedikation z.B. vor einer Kastration von Ponyhengsten, verabreicht werden (Corletto 2005a).
 

Antitussivum und Antidiarrhoikum

Hund

Früher wurde Morphin auch als Antitussivum, Antidiarrhoikum sowie bei gewissen kardialen Abnormitäten verwendet (Plumb 1995a).