Wirkstoff - Pharmakologie
Morphin

Wirkungsort

Opioide wirken an mindestens 3 verschiedenen Rezeptoren; den Mu- (μ), Kappa- (κ) und Delta (δ)-Rezeptoren; diese lassen sich weiter in ihre Subrezeptoren aufgliedern (Nolan 2000a). Die Rezeptoren werden gemäss einer anderen Nomenklatur auch als OP1 (δ-Rezeptor), OP2 (κ-Rezeptor) und OP3 (μ-Rezeptor) benannt. Der Sigma (σ)-Rezeptor scheint kein echter Opioidrezeptor zu sein (Hall 2001b). Man geht davon aus, dass er mit N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren verbunden ist (Dugdale 2010a). Morphin wirkt hauptsächlich an den μ-Rezeptoren, hat aber auch eine gewisse Affinität zu den δ- und κ-Rezeptoren (Kerr 2007b). Die verschiedenen Rezeptoren sind im Körper ubiquitär verteilt (Nolan 2000a) und vermitteln unterschiedliche Wirkungen. Sie befinden sich sowohl im Rückenmark und Gehirn als auch im autonomen Nervensystem sowie in peripheren Organen und Geweben wie z.B. dem Plexus myentericus des Gastrointestinaltraktes, Herz, Nieren, Vas deferens, Pankreas, Fettzellen, Lymphozyten und Nebennieren (Branson 1995b; Löscher 1999e; Stein 1993a). Neben der Lokalisation an peripheren Nervenendigungen, sind sie auch an Entzündungszellen zu finden (Nolan 2000a). Dadurch können μ-, κ- und δ-Agonisten auch in entzündetem Gewebe analgetisch wirken (Stein 1989a). Beim Hund wurden ausserdem μ- und δ-Opioid-Rezeptoren im vorderen Stroma und Epithel der Hornhaut gefunden, wobei die μ-Rezeptoren dort allerdings nur in kleiner Anzahl vorhanden sind (Stiles 2003a).
 
Nachfolgend sind die Effekte, die durch die Stimulation der verschiedenen Rezeptoren ausgelöst werden aufgelistet:
 
μ-Rezeptor:
-Spinale und supraspinale Analgesie
-Atemdepression
-Euphorie
-Übelkeit und Erbrechen
-Veränderungen der intestinalen Motilität (Obstipation)
-Miosis
-Abhängigkeit
-Sedation
-Antitussive Wirkung
-Bradykardie
 
κ-Rezeptor:
-Supraspinale Analgesie
-Sedation
-Milde Abhängigkeit
-Miosis
-Dysphorie
 
δ-Rezeptor:
-Analgesie
-Verhaltensveränderungen (Hall 2001b; Illes 2005a)
 

Wirkungsmechanismus

Die Opioidrezeptoren sind an inhibitorische G-Proteine gekoppelt und hemmen somit die Adenylylzyklase und sekundär die cAMP-aktivierte Proteinkinase A, was zur Hemmung von Phosphorylierungsreaktionen führt. Andere Effekte wie die Öffnung von K+-Kanälen oder die Schliessung von Ca2+-Kanälen werden ebenfalls durch G-Proteine vermittelt. Die G-Protein-vermittelte Aktivierung von K+-Kanälen mit nachfolgendem K+-Ausstrom führt zu einer Hyperpolarisation der Membran und einer Verhinderung der Schmerzweiterleitung. Die aus der Hemmung der spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle resultierenden Änderungen der Ionenströme vermindern die Erregbarkeit von Neuronen und die Transmitterfreisetzung aus Axonendigungen und hemmen ebenfalls die neuronale Schmerzerregung sowie -fortleitung (Zöllner 2010a; Illes 2005a; Nolan 2000a).
 

Zentrale Wirkungen

Analgesie

Die Analgesie resultiert in erster Linie aus der Stimulation der μ- und κ-Rezeptoren, während die Stimulation der δ-Rezeptoren die Effekte an den μ-Rezeptoren moduliert (Hall 2001b). Die Erregungsübertragung polysynaptischer Bahnen wird gehemmt, was zu einer Abschirmung der Assoziationsareale des Frontalhirns führt. Der Schmerzreiz ist zwar noch lokalisierbar, er wird aber nicht mehr als unangenehm empfunden. Durch Abschirmung dieses sogenannten protektiven Systems werden auch zahlreiche andere als unangenehm empfundene Einflüsse nicht mehr als solche wahrgenommen (z.B. Hunger, Kälte etc.) (Löscher 1999e).
 
Spinale Angriffspunkte
-direkte Hemmung der synaptischen Übertragung von den primär-afferenten Fasern zu den spinothalamischen Neuronen (Illes 2005a)
 
Supraspinale Angriffspunkte
-indirekte Hemmung der synaptischen Übertragung von den primär-afferenten Fasern zu den spinothalamischen Neuronen über die Aktivierung von deszendierenden inhibitorischen Bahnen
-Hemmung der neuronalen Aktivität in thalamischen Kernen und Hemmung der Verbindung dieser Kerne in kortikalen Arealen (Illes 2005a)
 

Euphorie

-Aktivierung von dopaminergen Neuronen der Area tegmentalis ventralis mit darauf folgender Dopaminfreisetzung im Nucleus accumbens (Illes 2005a)
 

Sedativ-hypnotische Wirkung

-Hemmung im aszendierenden Teil der Formatio reticularis (Illes 2005a)
 

Muskelrigidität

-Aktivierung von dopaminergen Neuronen der Substantia nigra mit darauf folgender Dopaminfreisetzung im Striatum (Illes 2005a)
 

Anxiolyse

-Hemmung von Locus-coeruleus-Neuronen (Illes 2005a)
 

Krämpfe

-Aktivierung von hippocampalen Pyramidenzellen (Illes 2005a)
 

Temperaturabfall

-Hemmung des hypothalamischen Temperaturzentrums (Illes 2005a)
 

Hormonfreisetzung

-Hemmung der Ausschüttung von hypophysären Freisetzungshormonen im Hypotahalamus (Gonadotropin-Releasing-Hormon, Corticotropin-Releasing-Hormon) (Illes 2005a)
 

Miosis / Mydriasis

-Aktivierung des vegetativen Nebenkerns des Nucleus oculomotorius (Illes 2005a). Dadurch löst Morphin vor allem beim Hund eine Miosis aus. Bei anderen Tierarten wie Katzen, Schafen und Pferden kann hingegen eine Mydriasis auftreten (Löscher 1999e). In einem Versuch zeigten alle Katzen unmittelbar nach der intravenösen Applikation von Morphin eine Mydriasis (Kamata 2012b).
 

Atemdepression

-Herabsetzung der Empfindlichkeit des medullären Atemzentrums gegenüber dem PCO2 im Blut (Illes 2005a)
 

Antitussive Wirkung

-Hemmung des medullären Hustenzentrums (Illes 2005a)
 

Emetische und antiemetische Wirkung

-Stimulation der Chemorezeptor-Triggerzone (Früheffekt)
-Dämpfung der reflektorischen Erregbarkeit des medullären Brechzentrums (Späteffekt) (Illes 2005a)
 

Blutdrucksenkung

-Hemmung des Barorezeptor-Reflexbogens im Vasomotorenzentrum der Medulla oblongata (Illes 2005a)
 

Bradykardie

-Aktivierung des Nucleus dorsalis nervi vagi (Illes 2005a)
 

Periphere Wirkungen

Verzögerte Magenentleerung

-Abnahme der Magenmotilität; Pyloruskonstriktion (Illes 2005a)
 

Spastische Obstipation

-Tonussteigerung (segmentale Einschnürungen) und Hemmung der propulsiven Motorik der peristaltischen Wellen
-Hemmung des Wasser- und Elektrolytaustritts durch die Darmmukosa (Illes 2005a)
 

Störung des Gallenflusses

-Kontraktion der Gallenblasenmuskulatur und Kontraktion des Spincter Oddi (Illes 2005a)
 

Harnverhaltung

-Kontraktion des Sphincter vesicae (Illes 2005a)
 

Hemmung der Wehentätigkeit

-Abnahme der Empfindlichkeit des Uterus gegenüber Oxytocin (Illes 2005a)
 

Histaminfreisetzung

-Hautreaktionen, Bronchokonstriktion und Blutdruckabfall durch Freisetzung von Histamin aus Mastzellen (Illes 2005a)