Bei Hunderassen der Collie-Familie führt eine Deletion des Multi-Drug-Resistance-Genes 1 (MDR1-Gen) zu einer verminderten oder fehlenden Produktion des p-Glykoproteins, eines entscheidenden Membrantransporters der Blut-Hirn-Schranke. Dadurch ist bei Hunden mit besagtem Defekt mit einer Überempfindlichkeit auf gewisse Arzneimittel zu rechnen.
Detaillierte Informationen zum MDR1-Defekt beim Hund befinden sich auf der Webseite der Universität Giessen (Arbeitsgruppe Professor Geyer).
Folgende Hunderassen sind von einem Defekt des (MDR1)-Δ Genes betroffen (Geyer 2005a; Geyer 2007a; Neff 2004a):
Rasse | Allel (%) MDR1 (-): homozygot (-/-) und heterozygot (+/-) |
Kurzhaarcollie | 68% |
Langhaarcollie | 55 - 57% |
Langhaar Whippet | 42 - 65% |
Australian Sheperd, miniature | 20 - 50% |
Shetland Shepdog | 7 - 35% |
Silken Windhound | 18 - 30% |
Australian Sheperd | 17 - 46% |
McNab | 17 - 30% |
Wäller | 17 - 19%; meist heterozygot |
Weisser Schweizer Schäferhund | 14% |
Old English Sheepdog (Bobtail) | 1 - 11%; meist heterozygot |
Englischer Schäferhund | 7 - 15%; meist heterozygot |
Deutscher Schäferhund | 6 - 10% |
Border Collie | 1 - 2% |
Hütehund-Mischlinge | 6 - 7% |
Unspezifizierte Mischlinge | 2 - 7% |
Auch Reptilien, insbesondere Schildkröten (vor allem Pantherschildkröten), zeigen eine erhöhte Empfindlichkeit (Teare 1983a).
Bei Hunden mit homozygotem MDR1-Genotyp (-/-) werden die betroffenen Therapeutika in drei Kategorien eingeteilt:
Die Kategorie 1 beinhaltet alle Wirkstoffe, bei denen Intoxikationen wissenschaftlich belegt sind. Es sollten daher nur für den Hund zugelassene Produkte in ihrer zugelassenen Applikationsform verwendet werden. Besondere Vorsicht ist bei Präparaten zur Entwurmung von Pferden geboten, die bei den erwähnten Hunderassen auch in kleinen Mengen zu schwerwiegenden Vergiftungen führen können.
Bei Anwendung von Wirkstoffen der Kategorie 2 kann es bei Hunden mit dem MDR1-Defekt zu Überempfindlichkeitsreaktionen kommen. Die Dosierungsangaben sollten unbedingt eingehalten werden und es ist eine genaue Überwachung des Patienten angezeigt. Durch das Fehlen des P-Glykoproteines kommt es nach der Verabreichung des Wirkstoffes zu einer erhöhten Bioverfügbarkeit und gleichzeitig zu einer verminderten Ausscheidung über Leber und Nieren, was zu nephro-, neuro- und hepatotoxischen Effekten führen kann.
Bei den Tierarzneimitteln der Kategorie 3 wurde die Therapiesicherheit (trotz problematischen Wirkstoffen) auch bei Hunden mit homozygotem MDR-Genotyp (-/-) bestätigt (Hopper 2002a; Geyer 2005a; Neff 2004a).
Wirkstoffe, die zu wissenschaftlich belegten Intoxikationen führen:
Wirkstoffe, die zu Überempfindlichkeitsreaktionen führen können:
Tierarzneimittel mit bestätigter Therapiesicherheit bei Hunden mit homozygotem (-/-) MDR-Genotyp (trotz problematischen Wirkstoffen):
Um Ivermectin-sensitive Hunde zu identifizieren, wurde am Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Fachbereich Veterinärmedizin, der Justus-Liebig-Universität Gießen ein Biomarker entwickelt. Der genetische Test wird an besagter Universität von der TransMIT GmbH für alle Hunderassen ohne Altersbeschränkung durchgeführt. Für die Untersuchung wird 1 ml EDTA-Vollblut benötigt.
Das Proteinprodukt des MDR1-Gens, das P-Glykoprotein, wird als Membrantransporter im Darmepithel, den Gallenkanälchen, den Tubulusepithelzellen der Nieren, der Plazenta und den Endothelzellen des Gehirns (als Bestandteil der Blut-Hirn-Schranke) exprimiert (Ginn 1996a). Das P-Glykoprotein schützt diese Strukturen, indem es nur einen limitierten Kontakt mit dem Wirkstoff zulässt und auch für dessen nachfolgende Aussscheidung verantwortlich ist (Roninson 1992a). Die Funktion des in den Endothelzellen der Gehirnkapillaren lokalisierten P-Glykoproteins besteht darin, einen aus dem Blut in die Endothelzelle übergetretenen Fremdstoff (z.B. Ivermectin) durch die Endothelzellmembran zurück ins Blut zu transportieren (Kirsch 1975a).
Der Polymorphismus des Multidrug-resistance (MDR1)-Δ Genes ergibt sich aus einer Deletion von 4 Basenpaaren (Δ = delta), was zu einer Verschiebung des Leserahmens und dadurch nach 10% der Proteinsynthese zu einem Abbruch derselben führt (Geyer 2005b; Mealey 2001a).
Bei Hunden, die den MDR1-Δ Defekt homozygot aufweisen (MDR1 -/-), fehlt ein funktionsfähiges P-Glykoprotein-Transportsystem in allen Geweben (Mealey 2001a). Die Gabe bestimmter Arzneimittel führt durch den fehlenden Auswärtstransport zu einer bis zu 100-fachen Anreicherung im Gehirn (Schinkel 1996a; Pulliam 1985a), was zu schwerwiegenden Überempfindlichkeitssymptomen führen kann (Linek 2007a). Die betroffenen Hunde leiden zusätzlich unter endokrinen Fehlsteuerungen, was zu einer erhöhten Stressempfindlichkeit führen kann.
Heterozygote Hunde (MDR1 +/-) zeigen selten Überempfindlichkeitssymptome; sie können den Defekt jedoch ihren Nachkommen in autosomal rezessiver Vererbung weitergeben (Mealey 2006a).
Bei Hunden mit einem funktionellen P-Glykoprotein (MDR1 +/+), zu denen der überaus grösste Anteil der englischen Hütehunde gehört, vertragen die vorgegebenen Dosen der beschriebenen Wirkstoffe problemlos (Campbell 1984a).
Ivermectin (Hund, MDR -/-): p.o. 100 - 150 µg/kg
Bei Pantherschildkröten können bereits Dosierungen von i.m. 0,05 mg/kg Ivermectin zu schweren Paralysen führen. Es wird bei allen Schildkröten empfohlen, mit einer Initialdosis von i.m. 0,025 mg/kg. Ivermectin 1-mal wöchentlich zu beginnen und die Dosis bei guter Verträglichkeit langsam zu erhöhen (Teare 1983a).
Ab einer Dosierung von p.o. 100 - 150 µg/kg Ivermectin treten bei Hunden mit homozygotem Gendefekt 6 - 12 Stunden nach der Applikation massive neurotoxische Symptome wie Ataxie, Hypermetrie, Hyperaesthesie, Desorientiertheit, Tremor, Mydriasis, Blindheit und Vomitus auf. Dosierungen über 150 µg/kg Ivermectin führen zu komatösen Zuständen und Tod (Linek 2007a; Paul 1987b).
Heterozygote Hunde (MDR1 +/-) zeigen sehr selten Überempfindlichkeitssymptome. Ab Dosen von p.o. 300 µg/kg Ivermectin können aber Intoxikationen auftreten, die jedoch auch ohne Therapie nach kurzer Zeit reversibel sind (Mealey 2006a).
Hunde mit einem funktionellen P-Glykoprotein (MDR1 +/+) vertragen Dosen von p.o. 2'000 µg/kg Ivermectin, ohne klinische Symptome zu zeigen (Campbell 1984a).
Eine spezifische Therapie der Ivermectinintoxikation ist nicht bekannt. Empfohlen werden symptomatische Massnahmen wie die Sicherung des Flüssikgeitbedarfs, künstliche Ernährung, Wärmezufuhr und Hornhautschutz (Augensalbe).
Physostigmin (0,04 mg/kg i.v.), ein Acetylcholinesterasehemmer, ist als einziges unterstützendes Medikament bekannt, das eine Besserung des akuten Zustandes bewirken kann (Hadrick 1995a).
Eine neue Therapiemöglichkeit bei Intoxikationen durch fettlösliche Toxine wie Ivermectin oder Moxidectin stellt die aus der Humanmedizin bekannte intravenöse Verabreichung von Lipiden dar. Der Wirkmechanismus der Lipide konnte noch nicht vollständig geklärt werden: Vermutet wird eine Reaktivierung des durch die Toxine gehemmten Enzyms oder ein Spülmechanismus der Lipide, durch den die Toxine aus dem Gewebe gelöst werden (Crandell 2009a; Pritchard 2010a). Die Dosierungsangaben richten sich nach der Humanmedizin. Initial wird ein Bolus von 1,5 ml/kg Intravenöse Lipidemulsion 20% (Fettemulsion für künstliche Ernährung) verabreicht, gefolgt von einer Infusion von 0,25 ml/kg/min für 30 - 60 Minuten (Crandell 2009a).
Ausführliche Angaben können unter der Rubrik Toxizität bei Ivermectin und Moxidectin nachgesehen werden.
Die meisten Hunde erholen sich innerhalb von 7 - 10 Tagen (Tranquilli 1987a).