Wirkstoff - Pharmakologie
Lidocain

Eigenschaften

Lidocain wird als Lokalanästhetikum, als Antiarrhythmikum, als Prokinetikum sowie zur MAC-Senkung (siehe z.B. Isofluran) eingesetzt (Windholz 1983a). Es gehört zu den membranstabilisierenden (Plumb 1999a) Antiarrhythmika der Klasse IB (Harrison 1985a; Vaughan Williams 1992a; Milne 1984a; Adams 1995b; Plumb 1999a).
 
Allgemeine Informationen zur Pharmakologie der Lokalanästhetika siehe unter: Bupivacain.
 

Antiarrhythmika der Klasse I

Die membranstabilisierenden Antiarrhythmika, die auch als Antiarrhythmika der Klasse I bezeichnet werden, blockieren ähnlich wie Lokalanästhetika die Na+-Kanäle an erregbaren Membranen, hemmen so den schnellen Na+-Einstrom in der Depolarisationsphase (Ungemach 2003f) und verlängern diese dadurch (Ungemach 1994c; Sponer 1996a).
 
Dabei hängt die Bindung des Antiarrhythmikums vom Aktivitätszustand des Kanals ab. Die Affinität ist groß, solange der Kanal geöffnet oder inaktiviert ist. Im Ruhezustand löst sich die Bindung. Die Wirkung des Antiarrhythmikums ist somit um so stärker, je öfter der Kanal aktiviert wird, d.h., je höher die Herzfrequenz ist ("use-dependent block") (Schütz 1998a; Schütz 1998a).
 

Negative Inotropie

Bei den Antiarrhythmika der Klasse I ist eine negativ inotrope Wirkung zu beachten (Schütz 1998a; Hashimoto 1976a), da wegen der Verminderung der intrazellulären Na+-Konzentration der Na+-Ca2+-Austausch verstärkt wird und somit die intrazelluläre Ca2+-Konzentration abnimmt (Schütz 1998a). Im therapeutischen Bereich werden die Ca2+-Kanäle praktisch nicht beeinflusst (Ungemach 1994c).
 

EKG

Im EKG zeigt sich dies als Verbreiterung des QRS-Komplexes (Schütz 1998a; Ungemach 1994c) und als eine PR-Intervallverlängerung (Ungemach 1994c). Die Dauer des Aktionspotentials wird verlängert (Adams 1995b; Takanaka 1990a; Strickland 1998a; Sponer 1996a), die Amplitude reduziert (Takanaka 1990a).
 

Proarrhythmisches Potential

Antiarrhythmika der Klasse I besitzen ein beträchtliches proarrhythmisches Potential, da durch Leitungsverzögerung die Refraktärstrecken verkürzt und so die Gefahr kreisender Erregungen erhöht werden. Die Folge sind Kammertachykardien mit der Gefahr von Kammerflimmern (Schütz 1998a; Schütz 1998a). Bei langer QT-Dauer besteht die Gefahr von "Torsade des pointes"-Arrhythmien (Schütz 1998a). Die Antiarrhythmika der Klasse IB verzögern dabei im Vergleich zu den anderen Wirkstoffen der Klasse I die Erregungsleitung am wenigsten und besitzen bei niedriger Herzfrequenz die geringste proarrhythmische und negativ inotrope Wirkung (Schütz 1998a).
 

Gefäßsystem

Antiarrhythmika der Klasse I besitzen eine vasodilatierende Wirkung (Schütz 1998a). Gelegentlich können sie infolge der peripheren Vasodilatation zu einem reflektorisch erhöhten Sympathikustonus und damit zu einer Sinustachykardie führen. Bei langsamer intravenöser Injektion sind jedoch kaum hämodynamische Effekte zu beobachten. Eine geringe Senkung des Blutdrucks kann Folge eines verminderten Sympathikustonus sein. Die glomeruläre Filrtrationsrate und der renale Plasmafluß werden nicht beeinflußt (Tilley 1997a).
 

Peripheres Nervensystem

Antiarrhythmika der Klasse I unterbrechen wegen ihren lokalanästhetischen Wirkungen bei lokalem Einsatz zur Infiltrations- und Leitungsanästhesie die Schmerzweiterleitung in den betroffenen Nervenzellen (Löscher 2003c).
 
Lokalanästhetika senken die Permeabilität der Nervenfasern für Na+-Ionen und, in höheren Konzentrationen, für Kaliumionen reversibel. Die Weiterleitung von Aktionspotentialen ist damit nicht mehr möglich und die Reizleitung der betroffenen Nervenfaser ist unterbrochen (Löscher 2003c).
 

Unterklassen der Klasse I

Wegen der Unterschiede in der Selektivität ihrer Wirkungen werden die "Na+-Antagonisten" in 3 Untergruppen unterteilt:
Die Wirkstoffe der Klasse IA bewirken eine nicht selektive Blockade aller Ionenkanäle (Ungemach 2003f).
Die Wirkstoffe der Klasse IB blockieren die schnellen Na+-Kanäle und erhöhen die K+-Permeabilität.
Die Wirkstoffe der Klasse IC blockieren selektiv die Na+-Kanäle, wodurch die Erregungsausbreitung sowohl im Vorhof, als auch im Ventrikel verzögert wird (Ungemach 2003f)
 
Auch die Erholungszeit der Na+-Kanäle steht in Korrelation zu der unterschiedlichen Dissoziationsgeschwindigkeit der Klassen IA, IB und IC. Physiologischerweise beträgt sie 20 ms und wird durch Antiarrhythmika der Klasse IA auf bis zu 1500 ms, durch Antiarrhythmika der Klasse IB auf bis zu 300 ms und durch Antiarrhythmika der Klasse IC auf über 1500 ms verlängert (Schütz 1998a).
 

Antiarrhythmika der Klasse IB

Hauptmerkmal der Antiarrhythmika der Klasse IB ist die Verkürzung der Phase 0 Depolarisation und der Überleitungszeit in verletztem Myokard (Adams 1995b). Damit beeinflussen sie besonders pathologisch hohe Frequenzen, z.B. als Folge einer Ischämie, während physiologische Erregungen ungestört bleiben (Ungemach 1994c).
Antiarrhythmika der Klasse IB besitzen nur eine geringe Wirkung auf den QRS-Komplex (Milne 1984a; Vaughan Williams 1992a; Ungemach 1994c) oder auf die Überleitung im Hisschen-Bündel. Die AV-Überleitungszeit wird verlängert (Satoh 1981a), das QT-Intervall verkürzt (Milne 1984a).
 
Antiarrhythmika der Klasse IB assoziieren und dissoziieren besonders schnell vom Rezeptor, die Blockade des Na+-Rezeptors ist dadurch besonders frequenzabhängig. Die Blockade nimmt mit zunehmender Diastolendauer bzw. sinkender Herzfrequenz ab (Schütz 1998a).
 
Antiarrhythmika der Klasse IB wirken negativ chronotrop (Hashimoto 1976a). Sie besitzen einen geringen Einfluss auf die Schrittmacherpotentiale von Sinusknoten und AV-Knoten (Sponer 1996a).
 

Lidocain

Lidocain besitzt eine minimale Wirkung auf die normale Automatie und Überleitung im Sinus- und AV-Knoten und im atrialen Myokard (Strickland 1998a). Die Schlagfrequenz am isolierten Sinusknoten bleibt von Lidocain unbeeinflußt (Tilley 1997a). Dagegen hemmt es die physiologische und die unphysiologische Automatie in den Purkinjefasern (Strickland 1998a; Tilley 1997a) und eine, durch Hypoxie, Katecholamine, Digitalis oder andere pharmakologisch wirksame Substanzen erhöhte Automatie im Kammermyokard. Der Entstehung von Kammerflimmern beugt Lidocain durch Hemmung der myokardialen Erregungen vor. In ischämischen oder hypoxischen Geweben wird die Erregungsleitungsgeschwindigkeit deutlich gesenkt, während diese in physiologischem Gewebe nur geringfügig beeinflußt wird (Tilley 1997a). Zusätzlich wird die Wiederherstellung der Erregbarkeit der Na+-Kanäle nach der Repolarisation verzögert. Diese Wirkungen sind jedoch von den extrazellulären K+-Konzentrationen abhängig, Hypokaliämie (unter 2,7 mEq/l) vermindert die Wirkung der Klasse IB Antiarrhythmika (Strickland 1998a).
 

Prokinetische Wirkung auf den Gastrointestinaltrakt

Die Hemmung der gastrointestinalen Motilität nach grösseren abdominalen Operationen führt häufig zur Ausbildung eines adynamischen Ileus. Dieser ist gekennzeichnet durch das Fehlen propulsiver Kontraktionen des Intestinums, wodurch es zu einem Reflux in den Magen und einer Distension des Darmes mit Flüssigkeit, Ingesta und Gas kommt. Der genaue Mechanismus der Entstehung eines postoperativen Ileus ist nicht vollständig geklärt, vermutlich führt eine nozizeptive Stimulation des Peritoneums über eine Aktivierung sympathischer, hemmender Reflexe zur einer Verminderung der gastrointestinalen Motilität (Rimbäck 1990a; Nieto 2000a).
 
Der postoperative Ileus ist eine häufige Komplikation nach Kolikoperationen beim Pferd mit einer Inzidenz von 16 - 43% und einer Mortalität von 86% (Roussel AJ Jr 2001a).
 
Lidocain besitzt eine prokinetische Wirkung auf den Gastrointestinaltrakt und kann zur Prophylaxe und/oder Therapie des postoperativen Ileus bei Pferden angewandt werden. Dabei wirkt Lidocain über verschiedene Mechanismen:
 
-Es besteht eine direkte exzitatorische Wirkung auf die glatte Muskulatur des Gastrointestinaltrakts. Diese kann sowohl nach topischer, als auch nach systemischer Verabreichung beobachtet werden. Beim Pferd wird vor allem die glatte Muskulatur des proximalen Duodenums aktiviert (Nieto 2000a).
  
-Peritonitis, Enteritis, Serosaverletzungen, intestinale Distension, Endotoxämie und chirurgische Manipulationen führen zu einer gesteigerten sympathischen Stimulation. Wahrscheinlich führt die Blockade der viszeralen afferenten, nozizeptiven Nervenfasern durch Lidocain zu einer Verminderung der sympathisch vermittelten postoperativen Motilitätsstörung des Darmes (Rimbäck 1990a; Nieto 2000a; Malone 2006a).
  
-Durch eine direkte antiinflammatorische Wirkung (Hemmung der Prostaglandinsynthese, Hemmung der Leukozytenmigration, Hemmung der Freisetzung lysosomaler Enzyme) wird eine postoperative Peritonitis und der damit verbundene postoperative adynamische Ileus verhindert (Rimbäck 1990a; Nieto 2000a; Malone 2006a).
  
-Reduktion der zirkulierenden Katecholamine (Nieto 2000a; Malone 2006a).
 
Die intravenöse Applikation von Lidocain verkürzt die Dauer eines postoperativen Ileus bei Kolikpatienten und führt somit zu einer schnelleren Erholung (Malone 2006a).
 
In einer Studie zur Wirkung des Lidocains auf die postoperative Motilität des Jejunums bei gesunden Pferden konnten keine prokinetischen Effekte festgestellt werden (Milligan 2007a). Auf die viszerale Nozizeption bei gesunden Pferden hat Lidocain nur einen minimalen Einfluss. Bei der Reaktion auf einen thermischen Reiz (somatische Nozizeption) zeigt Lidocain jedoch einen signifikanten antinozizeptiven Effekt (Robertson 2005c).