Wirkstoff - Pharmakologie
Loperamid

Eigenschaften

Loperamid ist ein stark wirksames synthetisches Antidiarrhoikum für den oralen Gebrauch (Schaefer 2013a; Yamada 1995a) und hat bei Hunden, Katzen, Kälbern, Ferkeln und Pferden antisekretorische und motilitätshemmende Wirkungen (Petzinger 2010a).
 

Wirkungsmechanismus und Wirkungsort

Motilität / Transport

Der Wirkstoff reguliert die Darmmotorik (Ungemach 2010d); er wird vor allem im Darm von glattmuskulären μ-Opioidrezeptoren in den muralen Nervengeflechten (Plexus myentericus) gebunden und hemmt über diese im Dünn- und Dickdarm die Peristaltik (Petzinger 2010a; Ammer 2010a; Lavrijsen 1995a; Ramsey 2008c). Ausserdem wird die Freisetzung von Acetylcholin und Prostaglandin blockiert, wodurch die Peristaltik gehemmt und die intestinale Transitzeit verlängert wird. Zusätzlich wird der Tonus des Analsphinkters erhöht, was die Inkontinenz reduziert und den Stuhlgang herabsetzt (Schaefer 2013a).
 
Hund
In einem Versuch wurde gezeigt, dass sich mit Dosierungen von ≥ 0,12 mg/kg die oral-caecale Transitzeit von 3,5 auf 5 h verlängert (Yamada 1995a). Individuelle Unterschiede zwischen verschiedenen Hunden scheint es jedoch zu geben (Katori 1996a). Bei anästhesierten Hunden erhöhte die i.v. Gabe von Loperamid die Aktivität der zirkulären Muskulatur im proximalen und distalen Duodenum, im distalen Ileum sowie im proximalen Kolon; die longitudinale Muskulatur des Duodenums entspannte sich jedoch (Mackerer 1976a). Die Gabe von p.o. und s.c. 0,1 mg/kg Loperamid führte nach 20 - 30 min zu einer lang andauernden (8 - 12 h) Stimulation der gastrointestinalen Motilität. Die lokale Applikation derselben Dosis direkt ins Kolon stimulierte dessen Motilität. Eine intrazerebroventrikuläre Gabe von 1 μg/kg hemmte die gastrointestinale Motilität über einen Zeitraum von 15 - 20 h und führte zu einer kurzen Disorganisation der Motorik im Jejunum. Loperamid bewirkte ausserdem ungewöhnliche Kontraktionsmuster im Dünndarm, was ein weiterer Faktor für die verzögerte intestinale Transitzeit sein kann (Fioramonti 1987a).
 
Katze
Bei der Katze beschleunigt Loperamid die Dünndarmpassage und erhöht die Aktivität im Kolon. Der Transport durch das proximale Kolon wird durch vermehrte segmentierende Kontraktionen verzögert (Wienbeck 1987a; Korner 1982a).
 
Kalb
Bei Kälbern konnte durch die Gabe von p.o. 0,4 mg/kg sowie der s.c. und intraduodenalen Applikation von 0,1 mg/kg Loperamidhydrochlorid ein mit Rizinusöl und Mannitol induzierter Durchfall vermindert werden. Nach der p.o. Gabe wurde keine Veränderung des Motilitätsmuster im Verdauungstrakt festgestellt. Nach der intraduodenalen Verabreichung stieg die Frequenz der zyklischen Aktivität des Jejunums an, während die gleiche Dosierung s.c. angewendet, die Jejunummotilität selektiv hemmte (Fioramonti 1987b).
 
Schaf
Beim anästhesierten Schaf verringert Loperamid sowohl die Frequenz als auch die Amplitude der zyklischen Vormagenmotilität. Die dafür verantwortlichen Rezeptoren scheinen in der Wand des Retikulorumens lokalisiert zu sein (Maas 1985a).
 
Pferd
Beim Pferd scheint die Anwendung von Loperamid die Passage durch den Magen-Darmtrakt nach der Applikation zuerst zu beschleunigen und anschliessend zu verzögern. Die fäkale Elektrolyt-Ausscheidung von Na+, K+ und Cl- wird verringert und der Wassergehalt des Kotes vermindert (Alexander 1978a).
 

Absorption / Sekretion

Da der Opiat-Antagonist Naloxon die antisekretorische Aktivität blockiert, muss angenommen werden, dass diese Wirkung ebenfalls über Opiatrezeptoren erfolgt (Sandhu 1983a). Loperamid bewirkt nach dessen Anreicherung in der Darmwand über δ-Opioidrezeptoren eine ausgeprägte Sekretionshemmung (Petzinger 2010a; Ungemach 2010d; Ammer 2010a; Van Beijsterveldt 1995a) und verlängert die Transitzeit der Ingesta, so dass mehr Zeit für die Resorption zur Verfügung steht. Die Nettowasserresorption wird gesteigert und die fäkale Na+Cl--Ausscheidung gehemmt. In hohen Konzentrationen werden auch sekretorische Prozesse an den Epithelzellen selbst gedrosselt (Kilbinger 2005a). Im Unterschied zu anderen Opioiden, wie Codein und Morphin, beeinflusst es intrazelluläre Sekretionsmechanismen, die über Ca2+-Calmodulin vermittelt werden (Petzinger 2010a). Ausserdem besitzt der Wirkstoff eine hohe Affinität an Bindungsstellen von Kalziumkanalantagonisten und wirkt als solcher an der glatten Muskulatur. Da Kalzium die Absorption und Sekretion in der Mukosa reguliert, könnte dies eine Rolle bei der Wirkung gegen Durchfall spielen (Reynolds 1984a).
 
Katze
Bei Katzen mit einer experimentell induzierte Cholezystitis wurde durch Loperamid die Netto-Flüssigkeitssekretion in das Gallenblasenlumen signifikant reduziert. Dieser, durch endogene Prostaglandine verstärkte entzündliche Flüssigkeitssekretion, wird eine pathophysiologische Schlüsselrolle bei der Entstehung von akuten Cholezystitiden zugeschrieben (Jivegard 1986a; Jivegard 1986b).
 

Magen

In therapeutischen Dosierungen hat Loperamidhydrochlorid keinen Effekt auf die Magenentleerung (Yamada 1995a); lediglich bei hohen Dosen wird diese verzögert (Van Wyk 1988a). Nach der s.c. Verabreichung erhöht Loperamid die Menge der Magenflüssigkeit. Durch die damit einhergehende Verdünnung wird das Auftreten von Magenläsionen nach einer Aufnahme von reizenden Substanzen vermindert (Hatakeyama 1997a).
 

Dünndarm

Im Dünndarm wird der Transport durch Loperamid verlangsamt (Yamada 1995a).
 

Kolon

Bezüglich Motilität und Transit ist das Kolon der wichtigste Wirkungsort von Loperamid. Im proximalen Teil wird die segmentale motorische Aktivität erhöht, was ein Hauptfaktor für die verzögerte Transitzeit zu sein scheint (Ooms 1984a).
 

ZNS

Loperamid durchdringt bei therapeutischer Dosierung die Blut-Hirn-Schranke nicht und hat somit keine Wirkung auf das ZNS (Hugnet 1996b). Der Übertritt ins ZNS wird durch den Arzneimitteltransporter P-Glykoprotein verhindert. Ist dieser Transporter jedoch blockiert, kann der Wirkstoff ins ZNS gelangen (Kilbinger 2005a).
 

Antiparasitikum

Der Wirkstoff hat ausserdem antiparasitäre Eigenschaften. Es zerstört das Tegument von im Darm parasitierenden Würmern der Gattung Acantocephala bei Hunden, Schweinen und Fischen (Petzinger 2010a).
 

Lokale Analgesie

Lokal angewendetes Loperamid ist ein sehr potentes antiinflammatorisches Schmerzmittel, dessen analgetische Wirkung mit derjenigen von Morphin vergleichbar ist, oder diese sogar übertrifft. Dabei ist eine ähnliche Wirkung wie von zentral wirksamen Opiaten bei einer 10-mal niedrigeren Dosierung bei wesentlich geringeren Nebenwirkungen zu erwarten (DeHaven-Hudkins 1999a). Nach oraler Anwendung wirkt Loperamid jedoch nicht analgetisch (Ooms 1984a; Petzinger 2010a).