Wirkstoff - Unerwünschte Wirkungen
Fentanyl

Lokale Nebenwirkungen

Nach der Applikation von transdermalen Pflastern werden häufig Hautreaktionen beobachtet (Egger 1998a). Die Haut kann nach dem Entfernen des Pflasters leicht hyperämisch sein (Eberspächer 2008a).
 

Systemische Nebenwirkungen

ZNS

Die Verteilung und Dichte der Opiatrezeptoren ist tierartlich unterschiedlich, sodass die Opioidwirkung von Präparat, Dosis und Tierart abhängig ist. Opioide können je nach Tierart zu einer ZNS-Dämpfung führen oder exzitatorisch wirken. Bei Hund, Affe, Kaninchen und Mensch wirken Opiate ZNS-depressiv, während Katze, Pferd, Wiederkäuer, Schwein, einige Nagerspezies und Amphibien nach systemischer Applikation Exzitationen zeigen. Speziesabhängig wird das Brechzentrum aktiviert. Das Vasomotorenzentrum in der Medulla oblongata wird gehemmt, der intrakranielle Druck erhöht sich bei Anstieg des CO2-Gehaltes im Blut und das Thermoregulationszentrum wird sensibilisiert. Die Empfindlichkeit für akustische Reize kann durch Opioide erhöht sein (Erhardt 2004a).
 
Hund
Sedation, Miosis (Hall 2001b) sowie eine verstärkte Geräuschempfindlichkeit können auftreten (Kerr 2007b). Nach der i.v. Gabe kann eine vorübergehend starke Sedierung auftreten (Kyles 1996a). Während der postoperativen Aufwachphase kann der Wirkstoff dysphorisch wirken (Becker 2013a). Bei einigen Tieren führt die transdermale Applikation zu einer leichten Sedierung (Egger 1998a; Kerr 2007b).
 
Hunde bekamen Fentanyl in Dosierungen von 5 - 40 μg/kg i.v. verabreicht. Abhängig von der Dosis war die lokomotorische Aktivität eingeschränkt. Bei höheren Dosierungen legten sich die Tiere in Sternal- oder Seitenlage hin (Kamata 2012b).
 
Katze
Exzitationen, Mydriasis (Hall 2001b) und verstärkte Geräuschempfindlichkeit sind die häufigsten unerwünschten Wirkungen bei Katzen (Kerr 2007b). Selten treten Desorientiertheit mit Halluzinationen auf (Müller 2001a). Zu den befürchteten Exzitationen ("Morphin-Manie") kommt es bei der Verabreichung von extrem hohen Opioid-Dosen. In therapeutischen Dosierungen bewirken Opioide eine Euphorie (Kerr 2007b; Kamata 2012b). Wird Fentanyl zur Einleitungsanästhesie bei der Katze verwendet, kann es sehr leicht zu Exzitationen in Form von tonisch-klonischen Krämpfen kommen. Ähnliche Krampferscheinungen treten auch auf, wenn bei Narkoseende noch ein Fentanylüberhang besteht (Erhardt 2004a).
 
Katzen bekamen Fentanyl in Dosierungen von 5 - 40 μg/kg i.v. verabreicht. Dosisabhängig trat eine gesteigerten lokomotorischen Aktivität auf. Unmittelbar nach der Injektion rannten die Tiere herum, waren aber nicht aggressiv. Diese Rastlosigkeit legte sich innerhalb von 5 Minuten. Alle Tiere waren auch nach der Verabreichung von höheren Dosierungen bei Bewusstsein und legten sich nicht hin (Kamata 2012b).
 
Ratte
Bei Ratten kann eine Sedation und Miosis auftreten (Hall 2001b).
 
Primaten
Sedation und Miosis sind die am häufigsten beschriebenen Nebenwirkungen bei Primaten (Hall 2001b).
 
Maus
Bei Mäusen kann es zu Exzitationen und Mydriasis kommen (Hall 2001b).
 
Pferd
Exzitationen, Mydriasis (Hall 2001b), lokomotorische Stimulation sowie sympathische Stimulation sind mögliche unerwünschte Wirkungen beim Pferd (Kamerling 1985a). Dosierungen von 0,004 bis 0,02 mg/kg Fentanyl i.v. bewirken einen rauschähnlichen Bewegungsdrang während ca. 90 Minuten (Löscher 1999e). Subtherapeutische Dosierungen führen zu einer gesteigerten Schrittfrequenz (Ebert 2002a; Ammer 2010a). Nach höheren Dosierungen treten Exzitationen auf, die auf einer Freisetzung adrenerger Neurotransmitter im ZNS beruhen (Ammer 2010a).
 
Nach einer Narkose mit Fentanyl und Isofluran kam es zu einer unruhigen Aufwachphase. Die Tiere waren aufgeregt, zeigten Kreislaufen und stürzten mehrmals zu Boden (Knych 2009a).
 
Schaf
In einem Versuch am Schaf führte die i.v. Applikation von Fentanyl, zusammen mit Propofol und Isofluran, zu einer verlängerten Aufwachphase mit einer Dämpfung des ZNS (Kronen 2005a). Die epidurale Applikation von 50 und 100 μg Fentanyl an trächtige Auen hatte nur einen geringen Einfluss auf den Uterustonus und den uterinen Blutfluss (Craft 1984a).
 
Ziege
Nach einer totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) mit Fentanyl und Propofol können Ziegen in der Aufwachphase abnormale Verhaltensweisen wie z.B. exzessives Schwanzschlagen und Rastlosigkeit zeigen (Dzikiti 2010a).
 

Respirationstrakt

Fentanyl wirkt atemdepressiv. Bei wiederholter Verabreichung während eines Eingriffs kann es durch die Rückverteilung des Opioids aus den peripheren Geweben ins Gehirn zu einer späten Atemdepression kommen. Der Wirkstoff dämpft die Reaktion auf einen erhöhten arteriellen Kohlendioxid-Partialdruck (Branson 1995b; Erhardt 2004a) und unterdrückt ausserdem den Hustenreflex (Kerr 2007b).
 
Hund / Katze
Hunde und Katzen sind weniger anfällig für eine Opioid-induzierte Atemdepression als der Mensch (Plumb 2011a). In therapeutischen Dosierungen angewendet, kommt es bei diesen Spezies selten zu einer Atemdepression (Kerr 2007b).
Beim Hund stehen die Stärke und Dauer einer solchen in direktem Zusammenhang mit der Konzentration von unverändertem Fentanyl im Plasma und im Liquor (Hug 1979a). Verabreicht man Fentanyl zusammen mit einem Anästhetikum erhöht sich jedoch die Gefahr einer Atemdepression (Okushima 2015a).
 
Bei Plasmakonzentrationen von 5 - 30 ng/ml kam es in einem Versuch an gesunden Hunden zu respiratorischen Nebenwirkungen (Arndt 1984a). Durch die verlängerte terminale Eliminationsphase führt eine mehrmalige i.v. Applikation zu einer Akkumulation und dadurch zu einer stärkeren und längeren Atemdepression (Hug 1979a).
 
Hunde und Katzen bekamen 5 - 40 μg/kg Fentanyl i.v. verabreicht. Während die Hunde bei Dosierungen von 20 und 40 μg/kg eine Atemdepression zeigten und zyanotisch wurden, trat bei keiner Katze eine Atemdepression auf (Kamata 2012b).
 
Nach der transdermalen Applikation tritt selten eine Atemdepression auf (Plumb 1999a), trotzdem muss die Atmung überwacht werden (Egger 1998a). Es kann zu einem Abfall der Atemfrequenz kommen (Gilbert 2003a).
 
Schaf
Beim Schaf führte die i.v. Gabe von Fentanyl zusammen mit Propofol und Isofluran zu einer verlängerten Aufwachphase, welche mit einer Atemdepression und einer Hypoxämie einherging (Kronen 2005a).
 
Bei neugeborenen Lämmern führte die Kombination von Lachgas und Fentanyl zu einem Atemstillstand, was eine Intubation und künstliche Beatmung notwendig machte (Yaster 1994a).
 

Bewegungsapparat

Der Wirkstoff kann eine Muskelrigidität auslösen (Ammer 2010a).
 

Hormone

Opioide können eine Histaminfreisetzung bewirken und damit zur Blutdrucksenkung führen. Ausserdem kann sich der Flüssigkeitshaushalt durch die Freisetzung von ADH (Antidiuretisches Hormon) verschieben (Erhardt 2004a).
 

Kardiovaskuläres System

Fentanyl wirkt nur schwach auf das Myokard und die Blutgefässe (Kerr 2007b), kann jedoch eine ausgeprägte Sinusbradykardie verursachen (Erhardt 2004a) wobei die verminderte Herzfrequenz durch einen erhöhten Vagustonus zustande kommt. In sehr hohen Dosierungen wirkt es ausserdem negativ inotrop (Gross 2001a). Vorübergehend kann eine Hypotonie auftreten (Erhardt 2004a).
 
Schaf
Bei Schafen mit einer Sepsis waren die hämodynamischen Nebenwirkungen geringer, wenn i.v. Fentanyl und Propofol kombiniert verabreicht wurden als bei der alleinigen Gabe von Propofol. Ausserdem wurde der renale Blutfluss weniger stark beeinträchtigt (Booke 1996a).
 
Hund
Wenn Fentanyl mit einem Anästhetikum kombiniert wird, erhöht sich die Gefahr einer Bradykardie und Hypotension (Okushima 2015a). Hohe Dosen (0,05 - 2 mg/kg i.v.) führen zu einem markanten Abfall der Herzfrequenz, des arteriellen Blutdruckes, des peripheren vaskulären Widerstandes sowie zu einem verminderten Herzauswurf (Liu 1976a).
 
Nach der i.v. Injektion von 20 μg/kg Fentanyl kommt es zu einer Reduktion der Herzfrequenz und als Folge der vagalen Stimulation zu Arrhythmien (Hendrix 1995a). Ausserdem sind zwei Fälle beschrieben, bei denen die i.v. Gabe eines Fentanyl-Bolus zu einer Asystolie führten (Jang 2015a).
 
Anästhesierte man Hunde nach der i.v. Gabe von Fentanyl entweder mit Propofol oder Alfaxalon, so führt die Kombination von Fentanyl und Propofol bei mehr Probanden zu einer Reduktion der Herzfrequenz (Okushima 2015a).
 
Selten kann nach der transdermalen Applikation eine Bradykardie auftreten (Plumb 1999a; Gilbert 2003a).
 
Fallbericht 1:
Ein 1 Jahre alter Shih Tzu wurde im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs mit i.v. 0,2 mg/kg Midazolam prämediziert. Die Narkose wurde mit i.v. 6 mg/kg Propofol eingeleitet und mit 2% Isofluran aufrechterhalten. Die i.v. Gabe von 3 μg/kg Fentanyl als Bolus-Injektion während 30 Sekunden führte innerhalb von einer halben Minute zu einer Asystolie. Die Reanimationsmassnahmen sowie die Gabe von i.v. 0,04 mg/kg Atropin waren erfolgreich. Eine Woche später wurde der Hund erneut anästhesiert, diesmal aber mit Glykopyrrolat 10 μg/kg jeweils zur Hälfte i.v. und i.m. appliziert und i.v. 0,2 mg/kg Midazolam prämediziert. Nach der Anästhesieeinleitung mit i.v. Propofol 6 mg/kg und -aufrechterhaltung mit 2% Isofluran, wurden dem Hund i.v. 3 μg/kg Fentanyl während einer Minute appliziert. Im Folgenden kam es erneut zu einer Bradykardie und zu einer Asystolie. Nach der i.v. Verabreichung von 0,04 mg/kg Atropin stieg die Herzfrequenz auf 140/min. Das Tier überlebte (Jang 2015a).
 
Fallbericht 2:
Ein 3 Jahre alter Cocker Spaniel wurde mit i.v. 0,01 mg/kg Acepromazin prämediziert. Die Narkose wurde mit i.v. 6 mg/kg Propofol eingeleitet und mit 2% Isofluran aufrechterhalten. Fentanyl wurde i.v in einer Dosierung von 3 μg/kg appliziert, gefolgt von einer kontinuierlichen Fentanyl-Infusion in einer Dosierungsrate von 6 μg/kg/h. Aufgrund der auftretenden Bradykardie mit folgender Asystolie wurde die Infusion beendet und i.v. 5 μg/kg Glykopyrrolat, gefolgt von i.v. 0,04 mg/kg Atropin injiziert. Die Herzfrequenz stieg auf 140/min. Der Hund blieb während der Operation kardiovaskulär stabil (Jang 2015a).
 

Gastrointestinaltrakt

Initial verursachen Opioide häufig eine Stimulation der Darmmotilität, was zu einer spontanen Defäkation führen kann (Erhardt 2004a). Bei der Langzeitapplikation von Fentanyl verlangsamt sich die Magenentleerung, die Darmperistaltik nimmt ab und der Sphinktertonus des Pylorus wird erhöht (Kerr 2007b). Es kann zur Konstipation kommen (Plumb 1999a). Die emetische Wirkung ist bei i.v. Applikation gering. Erbrechen wird in der Regel nicht ausgelöst (Lukasik 1999a).
 
Hund / Katze
Eine Reduktion der Darmmotilität und damit verbundene Obstipationen sind in der Humanmedizin bekannte unerwünschte Wirkungen. Bei Katzen kommt es meist erst nach längerer Anwendungsdauer dazu. Bei Hunden können Defäkation (Lukasik 1999a) und Anorexie (Kerr 2007b) ausgelöst werden. Initial kann vor allem bei Hunden eine Defäkation auftreten; später kann es zu einer Konstipation kommen (Lamont 2007b).
 
Pferd
Bei Equiden bewirkt Fentanyl in niedriger Dosierung eine gesteigerte Darmperistaltik. In hohen Dosen (1 mg/kg) i.v. kommt es zu einer massiven Defäkation (Ammer 2010a). Darmgeräusche in allen 4 Quadranten sowie der Appetit waren 24 - 48 Stunden nach einer Anästhesie mit Fentanyl und Isofluran reduziert oder gar nicht vorhanden. Nach der Erholungsphase wurde während 12 Stunden zuerst kein Kot, später Kot von dünnebreiiger Konsistenz abgesetzt (Knych 2009a).
 

Harntrakt

μ-Agonisten erhöhen den Tonus des Blasensphinkters, was zur Urinretention führen kann (Kukanich 2009a; Plumb 1999a).
 
Hund
Hohe i.v. Dosen wirken beim Hund antidiuretisch und die Osmolarität des Urins steigt an (Biswai 1976a). Die intrathekale Applikation von Fentanyl (1,5 μg/kg) führt zu einer Relaxation der glatten Muskulatur von Blase und Urethra (Drenger 1989a).
 

Auge

Tierartspezifisch kommt es entweder zu einer Mydriasis oder einer Miosis. Tiere, bei denen die Pupillen weit gestellt sind, sollten vor grellem Licht geschützt werden. Zudem sollte man sich ihnen langsam nähern, damit sie nicht erschrecken (Plumb 2011a).
 
Hund
Fentanyl reduziert die Produktion von Tränenflüssigkeit (Biricik 2004a).
 

Körpertemperatur

Hund
12 Stunden nach dem Aufkleben eines Fentanyl-Pflasters kann bei Hunden ein Abfall der Körpertemperatur beobachtet werden (Gilbert 2003a). Bei der Katze kann es umgekehrt zu einer Hyperthermie kommen (Kerr 2007b).
 
Pferd
Bei ausgewachsenen Pferden und Fohlen kann es nach der transdermalen Applikation von Fentanyl zu einer vorübergehenden Hyperthermie kommen (Maxwell 2003a; Eberspächer 2008a).
 

Blutwerte

Durch einen gesteigerten Druck im Gallengangsystem (Plumb 2011a) können die Lipase und die Amylase bis zu 24 Stunden nach einer Opiat-Applikation erhöht sein (Plumb 1999a).
 

Toleranz / Abhängigkeit

Opioide können zu einer Toleranz führen. Das heisst, dass sich bei einer Langzeitgabe die analgetische Wirkung vermindert und höhere Dosen zur Aufrechterhaltung der Analgesie benötigt werden (Koppert 2004a). Opioide können auch zu einer Abhängigkeit führen (Schaefer 2013a).
 
Hund
Setzt man das Opiat nach 5 - 7 Tagen ab, können Entzugserscheinungen wie Übelkeit, Aggression, Vokalisation, Erbrechen, Hyperaktivität, Hyperthermie, Tremor und Salivation auftreten (Kukanich 2009a).
 

Hyperalgesie

Opioide können sowohl beim Tier als auch beim Menschen die Reizschwelle für die Schmerzwahrnehmung herabsetzen und das Schmerzempfinden steigern (Zöllner 2010a).