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SSRI und SNRI Antidepressiva

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind eine Wirkstoffgruppe der Antidepressiva. Die meisten werden gegen Depressionen eingesetzt. Zu den SSRI gehören Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin und Vilazodon. Trazodon und Vortioxetin werden, obwohl sie eng verwandt sind, nicht zu den SSRI im engeren Sinn gezählt, da sie zusätzlich antagonistisch an 5-HT2-Rezeptoren wirken. Sie werden als Serotoninantagonisten mit gleichzeitiger SSRI-Wirkung (SARI, Serotonin Antagonists and Reuptake Inhibitors) bezeichnet. Trazodon potenziert in erster Linie die Serotoninaktivität im ZNS.
Die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SNRI) weisen einen dualen Wirkmechanismus auf und werden zur Behandlung von Depressionen, chronischen Schmerzen, generalisierter Angststörung, Fibromyalgie und Fettleibigkeit eingesetzt. Zu den SNRI gehören Desvenlafaxin, Duloxetin, Levomilnacipran, Milnacipran, Sibutramin und Venlafaxin.
 
SSRIlogPSNRIlogP
Citalopram3.76Desvenlafaxin2.6
Escitalopram1.34Duloxetin4.3
Fluoxetin4.05Levomilnacipran1.4
Fluvoxamine2.6Milnacipran1.42
Paroxetine2.53Sibutramin5.4
Sertralin4.8Venlafaxin3.76
Vilazodon4.0  
Vortioxetin2.9  
 

2. Quellen

Die SSRI, SNRI und SARI sind Humanarzneimittel. Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Setralin werden auch in der Veterinärmedizin, bei Hunden und Katzen mit Verhaltensstörungen, eingesetzt; Trazodon bei Hunden und Katzen zur Anxiolyse.
 

3. Kinetik

Die meisten SSRI und SNRI werden vom Magen-Darm-Trakt gut absorbiert. Der Plasmapeak ist bei Produkten mit sofortiger Freisetzung nach 1-2 Stunden, bei solchen mit verlängerter/verzögerter Freisetzung nach 6-8 Stunden. Die meisten SSRI und SNRI sind stark proteingebunden und werden hepatisch metabolisiert. Die Ausscheidung kann renal oder biliär erfolgen.
 

4. Toxisches Prinzip

-Die SSRI sind hochselektive Wiederaufnahmehemmer von Serotonin an der präsynaptischen Membran mit geringer bis keiner Wirkung auf andere Neurotransmitter. Serotonin ist ein Neurotransmitter, der insbesondere eine Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System, den Magen-Darm-Trakt und das Nervensystem hat. Es dämpft es eine ganze Reihe unterschiedlicher Gefühlszustände wie Aggression, Angst, Appetit, Depression, hat einen Einfluss auf den Schlaf-Wach-Rhythmus indem es den Wachzustand fördert und ist ein direkter Aktivator von Schmerzreizen und vermag über absteigende serotoninerge Neurone in das Hinterhorn des Rückenmarks Schmerzreize zu verstärken oder abzuschwächen. Ein niedriger Serotoninspiegel in bestimmten Hirnarealen wird mit Migräne in Verbindung gebracht. Eine übermässige Stimulation der Serotoninrezeptoren führt zum sogenannten Serotonin-Syndrom, das beim Menschen durch eine Kombination von Symptomen gekennzeichnet, zu denen mindestens drei der folgenden gehören: Myoklonus, geistige Verwirrung, Unruhe, Hyperreflexie, Zittern, Durchfall, Ataxie oder Hyperthermie.
-Die SNRI sind starke Hemmer der neuronalen Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme. Noradrenalin wirkt sowohl als Hormon als auch als Neurotransmitter. Es ist am sympathischen System beteiligt und kann den Blutdruck und die Herzfrequenz erhöhen. Das Serotonin-Syndrom kann bei den SNRI mit kardiovaskulären Symptomen (Tachykardie, Hypertonie) einhergehen.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Die akute orale LD50 ist wie folgt (in mg/kg Körpergewicht):
 MausRatte
Citalopram 300-2000
Escitalopram 300-2000
Fluoxetin234-262397-500
Fluvoxamine550-2410862-2910
Paroxetine350350
Sertralin419-5481327-1591
Vilazodon  
Vortioxetin  
Desvenlafaxin succinat 700
Duloxetin ≤2000
Levomilnacipran 238
Milnacipran 213
Silbutramin64 
Venlafaxin 336
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

-Fluoxetin: LD50 Hund oral: > 100 mg/kg Körpergewicht; TD Hund oral: ab einer medianen Dosis von 15.9 mg/kg Körpergewicht werden Symptome erwartet; TD Katze oral: 3.7 mg/kg Körpergewicht.
Therapeutische Dosis: Hund: 1-2 mg/kg Körpergewicht p.o., 1-mal täglich; Katze: 0.5-1.3 mg/Katze p.o., 1-mal täglich, Pruritus: 1-5 mg pro Katze p.o., 1 × täglich, für 1-4 Wochen.
-Fluvoxamin: TD Hund oral: > 10 mg/kg Körpergewicht: Tremor, Lethargie, Fallbericht: ZNS-Depression nach 1.5 mg/kg Körpergewicht.
Therapeutische Dosis: Hund: 1-2 mg/kg Körpergewicht p.o., 1-mal täglich; Katze: 0.25-0.5 mg/kg Körpergewicht p.o., 1-mal täglich.
-Paroxetin: TD Hund oral: > 3 mg/kg Körpergewicht: Agitation, Krampfanfälle, 1-3 mg/kg Körpergewicht: Vomitus, Salivation, Lethargie; retard: > 4.5 mg/kg Körpergewicht: Agitation, keine Krampfanfälle, > 4 mg/kg Körpergewicht: Vomitus, Salivation, Apathie.
Therapeutische Dosis: Hund: 0.5-2 mg/kg Körpergewicht p.o., 1-mal täglich; Katze: 0.25-1 mg/kg Körpergewicht p.o., 1- bis 2-mal täglich.
-Sertralin: LD50 Hund oral: 80 mg/kg Körpergewicht; TD Hund oral: > 25 mg/kg Körpergewicht: Krampfanfälle, > 8 mg/kg Körpergewicht: Tremor, Hyperthermie.
-Trazodon: eine Überdosierung führt bei Hunden und Katzen häufig zu Sedierung oder Lethargie, Ataxie und Erbrechen.
Therapeutische Dosis: Hund: 2-10 mg/kg Körpergewicht p.o. (maximal 300 mg/Dosis), 1- bis 3-mal täglich; Katze: 50 mg/Tier, 60-90 Minuten vor dem Tierarztbesuch.
 

2. Latenz

Die ersten Symptome können innerhalb von 1-2 Stunden, bei Produkten mit sofortiger Freisetzung, und bis zu 8 Stunden, bei Retard-Produkten (verlängerte/verzögerte Freisetzung), auftreten. Bei den Letzteren können die Symptome bis zu 72 Stunden andauern.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Unruhe, Hyperaktivität oder Lethargie; Ataxie; Desorientiertheit, Vokalisation; Hyperthermie; Tod
  
3.2Nervensystem
Hyperreflexie, Myoklonus, Tremor; zentrale Krampfanfälle
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Hypersalivation, Vomitus
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Diarrhoe
  
3.5Respirationstrakt
Dyspnoe
  
3.6Herz, Kreislauf
Hypertonie, Hypotonie, Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Mydriasis, Nystagmus, Blindheit
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Haut, Schleimhäute
Keine Symptome
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Keine spezifischen Befunde
 

5. Weiterführende Untersuchungen

-Blutchemie: erhöhte Kreatininkinase bei Patienten mit Tremor und/oder Krampfanfällen, sekundär erhöhte Harnstoff- und Kreatininwerte sowie Pigmenturie als Folge einer Rhabdomyolyse.
-Blutgase: metabolische Azidose und Hyperlaktatämie.
-Es gibt keine diagnostischen Tests zur Bestätigung des Serotonin-Syndroms.
-Tests auf einzelne SSRI/SNRI können durchgeführt werden, sind aber klinisch nicht sinnvoll.
 

6. Differentialdiagnose

-Intoxikation mit Trizyklischen Antidepressiva, Monoaminoxidase-Hemmern, 5-Hydroxytryptophan, Metaldehyd, Blei, Ethylenglykol, Hopfen, Anticholinergika, Antihistaminika, Amphetaminen
-Meningitis (z.B. Tollwut, Hundestaupe), Neoplasie, Hitzschlag, maligne Hyperthermie
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren
-Atmung stabilisieren
-Krämpfe kontrollieren
 
7.2Dekontamination und Elimination
-Provozierte Emesis: bei asymptomatischen Patienten und kürzlicher Einnahme.
-Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml): wenn schwere Symptome zu erwarten sind.
-Magenspülung: bei Einnahme einer grossen Anzahl von Tabletten.
 
7.3Weitere symptomatische Massnahmen
-Intravenöse Flüssigkeitsgabe zur Regulierung von Körpertemperatur und Blutdruck sowie zum Schutz der Nieren vor Myoglobinurie infolge Rhabdomyolyse.
-Sinnesreize minimieren.
-Überwachung des Säure-Basen-Status bei Tremor oder Krampfanfällen.
-EKG: Herzrhythmusstörungen.
-Antidot: einige Medikamente (z.B. Cyproheptadin) können den Serotoninspiegel senken, es gibt jedoch kein spezifisches Gegenmittel.
Medikation bei Agitation:
-Acepromazin: 0.01-0.05 mg/kg Körpergewicht i.v. oder i.m., je nach Bedarf.
-Cyproheptadin: Hunde: 1.1 mg/kg Körpergewicht p.o. oder rektal; Katze: 2-4 mg/Katze.
Medikation bei Tachykardie:
-Betablocker: Propranolol 0.02-0.06 mg/kg Körpergewicht i.v. oder Esmolol: Ladedosis 0.1 mg/kg Körpergewicht, dann 10-200 µg/kg Körpergewicht/min i.v. als konstante Infusion, titriert nach Wirkung.
Medikation bei Tremor:
-Methocarbamol 50-100 mg/kg Körpergewicht i.v., nach Bedarf hochtitrieren.
Medikation bei Krampfanfällen:
-Benzodiazepine: Diazepam 0.5-2 mg/kg Körpergewicht i.v. nach Bedarf oder Midazolam 0.3-0.5 mg/kg Körpergewicht i.v., nach Bedarf.
-Barbiturate: Phenobarbital 3-4 mg/kg Körpergewicht i.v., nach Bedarf.
-Levetiracetam 30-60 mg/kg Körpergewicht i.v., nach Bedarf.
 
Vorsichtsmassnahmen/Interaktionen
-Jedes Medikament, das den Serotoninspiegel beeinflusst oder über die CYP Enzyme in der Leber metabolisiert wird, kann zu Wechselwirkungen führen.
-Die folgenden Medikamente sollten nicht verwendet werden, da sie klinischen Symptome des Serotonin-Syndroms verschlimmern können: Trazodon, Tramadol, Trizyklische Antidepressiva, Cimetidin, Amiodaron und Antiarrhythmika der Klasse Ic (Propafenon, Flecainid).
 
Alternative Medikamente
-Kontrolle von Krampfanfällen: Inhalationsanästhetika (Isofluran, Sevofluran) oder Propofol als konstante Infusion.
-Eine intravenöse Lipidemulsion (ILE) kann in Betracht gezogen werden, wenn die SSRI und SNRI lipidlöslich sind: Lipidinfusion: 1.5 ml/kg Körpergewicht i.v. als schneller Bolus (bei Herzstillstand oder Beinahe-Herzstillstand), dann kann eine konstante Infusion von 0.25 ml/kg Körpergewicht/min für 30-60 Minuten verwendet werden. Die Therapie kann bei ungenügendem Effekt nach 4-6 Stunden, wenn die Lipämie abgeklungen ist, wiederholt werden.
 
Patientenüberwachung
-Stündliche Überwachung von Herzfrequenz, Blutdruck und Temperatur, bei klinischer Verbesserung können die Intervalle verlängert werden.
-Kontrolle der Urin-Farbe wegen möglicher Myoglobinurie.
 
Komplikationen
-In den meisten Fällen sind keine Langzeit-Probleme zu erwarten.
-Selten tritt eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) als Folge einer schwerer Hyperthermie auf.
-Selten kommt es zu einer Rhabdomyolyse und sekundärem Nierenversagen.
 

8. Erwarteter Verlauf und Prognose

Sofern die ZNS- und Herzsymptome kontrolliert werden können, ist die Prognose gut.
 

9. Literatur

Budde JA, McCluskey DM (2023) Plumbs Veterinary Drug Handbook, 10th Edition. Wiley-Blackwell, Hoboken NJ, pp. 547-549, 554-556, 988-990, 1153-1155 & 1266-1269
 
Carvalho JM, da Silva AR, da Cunha ALMC, Aucélio RQ, Alberti ALM & Leandro KC (2012) Voltammetric determination of sibutramine in beverages and in pharmaceutical formulations. Quim. Nova 35(5), 988-992
 
Drugbank online (2024) https://go.drugbank.com/drugs (erfasst am 18.11.2024)
 
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Product monograph Fluoxetine (2017) https://pdf.hres.ca/dpd_pm/00037938.PDF (erfasst am 18.11.2024)
 
Product monograph Fluvoxamine (2018) https://pdf.hres.ca/dpd_pm/00044886.PDF (erfasst am 18.11.2024)
 
PubChem (2024) pubchem.ncbi.nlm.nih.gov
 
SDS Citalopram (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600207_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1498249443 (erfasst am 18.11.2024)
 
SDS Escitalopram (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600991_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1681278668 (erfasst am 18.11.2024)
 
SDS Fluvoxamine maleate (2024) https://www.sigmaaldrich.com/CH/de/sds/sigma/f2802?userType=anonymous (erfasst am 18.11.2024)
 
SDS Desvenlafaxine (2022) https://www.lupin.com/US/wp-content/uploads/2022/08/SDS-Desvenlafaxine-ER-Tablets-May-2022.pdf (erfasst am 18.11.2024)
 
SDS Duloxetine (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600329_1.0_SDS_EN.pdf?ref=1681368876 (erfasst am 18.11.2024)
 
SDS Levomilnacipran (2018) https://media.allergan.com/actavis/actavis/media/allergan-pdf-documents/safety-data-sheets/FETZIMA-EN-AGHS-2018100295254.pdf (erfasst am 18.11.2024)
 
SDS Milnacipran (2017) https://media.allergan.com/actavis/actavis/media/allergan-pdf-documents/safety-data-sheets/Milnicpran-HCL-EN-AGHS-2017030917523.pdf (erfasst am 18.11.2024)
 
SDS Venlafaxin (2021) https://assets.lgcstandards.com/sys-master%2 Fpdfs%2Fh26%2Fh5e%2F10330560102430%2FSDS_MM0393.00-0250_ST-WB-MSDS-3385051-1-1-1.PDF (erfasst am 18.11.2024)
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