mdi-book-open-variant Impressum mdi-help Hilfe / Anleitung mdi-printer Webseite ausdrucken mdi-bookmark Bookmark der Webseite speichern mdi-magnify Suche & Index Toxikologie mdi-sitemap Sitemap CliniPharm/CliniTox-Webserver mdi-home Startseite CliniPharm/CliniTox-Webserver mdi-email Beratungsdienst: Email / Post / Telefon

Atypische Neuroleptika

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Atypische Neuroleptika sind Antipsychotika der zweiten Generation. Sie haben keine oder nur eine geringe Wirkung auf das extrapyramidalmotorische System und blockieren neben den Dopamin- auch die Serotoninrezeptoren (5-HT2-Rezeptoren), wodurch sie eine gute Wirkung auf die Negativsymptomatik haben. Zu den atypische Neuroleptika zählen Aripiprazol, Asenapin, Clozapin, Olanzapin, Paliperidon, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon.
 

2. Quellen

Die atypische Antipsychotika werden primär in der Humanmedizin eingesetzt, nur in Einzelfälle wurden sie zur Behandlung aggressiver Hunden verwendet.
 

3. Kinetik

Mangels an Informationen über Tiere basieren diese primär auf der Humanliteratur. Alle atypischen Antipsychotika werden oral gut resorbiert und haben generell eine hohe Proteinbindung und/oder ein grosses Verteilungsvolumen. Sie werden in unterschiedlichem Masse hepatisch metabolisiert. Alle atypischen Antipsychotika werden renal eliminiert, als unverändertes Medikament oder als Metabolit.
Risperidon, Hund, oral: schnelle und umfangreiche Resorption, Bioverfügbarkeit 80-100%, Plasmapeak der Muttersubstanz nach 80 Minuten, Plasmapeak des aktiven Metaboliten nach 18 Stunden; Proteinbindung der Muttersubstanz 92%, Proteinbindung des aktiven Metaboliten 80%.
 

4. Toxisches Prinzip

Der genaue Wirkmechanismus der atypischen Antipsychotika ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass sie als Antagonisten der Serotonin (5-HT2)- und Dopamin (D2)-Rezeptoren fungieren. Eine Ausnahme ist Aripiprazol, das die Dopamin (D2)- und Serotonin 5-HT2(1A)-Rezeptoren nur partiell und die Serotonin 5-HT2(2A)-Rezeptoren vollständig antagonisiert.
Viele der atypischen Antipsychotika weisen einen mehr oder weniger ausgeprägten Antagonismus an α1-Adrenozeptoren und Histamin(H1)-Rezeptoren auf, was eine orthostatische Hypotonie oder Somnolenz verursachen kann.
Risperidon, Quetiapin und Paliperidon zeigen einen Antagonismus an den α2-Adrenozeptoren. Quetiapin und Olanzapin weisen einen Antagonismus an mACh-Rezeptoren auf und können anticholinerge Symptome verursachen.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatte
Aripiprazol 300-2000
Asenapin 110-178
Clozapin 251
Quetiapin 300-2000
Risperidon63.1-82.156.6-113
Paliperidon 65
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

Die toxischen Dosen sind bei Tieren nicht gut etabliert.
-Asenapin: LD50 bei Hunden oral > 200 mg (bei dieser Dosierung wurde keine Mortalität festgestellt).
-Quetiapin: Dekontamination bei Hunden: > 10 mg/kg Körpergewicht, oral; Katze: > 6 mg/kg Körpergewicht, oral. Katarakt-Bildung nach 4-facher Humandosis bei Beagles (keine Zeitangabe).
-Risperidon: die LD50 bei Hunden oral beträgt 14-24 mg/kg. Gemäss Studien sollten Tiere eine Gesamtdosis von mindestens 5 mg mit unterstützenden Massnahmen überleben.
-Ziprasidon: die LD50 bei Hunden oral beträgt 2000 mg/kg.
-Risikofaktoren sind Grunderkrankungen wie: Epilepsie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Trächtigkeit, Laktation oder signifikante Nierenfunktionsstörung (reduzierte Clearance).
 

2. Latenz

Die Symptome treten i.d.R. nach 60 Minuten auf und dauern 12-24 Stunden an.
Schwere Fälle benötigen eine Überwachung auf der Intensivstation.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
ZNS-Depression mit Ataxie, Apathie, Lethargie, Desorientierung, Unruhe, Angst
  
3.2Nervensystem
Tremor, Krampfanfälle
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Salivation, Vomitus
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Keine Symptome
  
3.5Respirationstrakt
Atmendepression
  
3.6Herz, Kreislauf
Hypotonie, Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Haut, Schleimhäute
Keine Symptome
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Keine spezifischen Befunde.
 

5. Weiterführende Untersuchungen

-Elektrolyte: Hyponatriämie, Hypokaliämie
-Blutdruck
-EKG
 

6. Differentialdiagnose

-Intoxikationen mit ZNS-Depressiva wie Barbiturate, Benzodiazepine, Cannabis, Phenothiazin (Neuroleprikum).
-Intoxikationen mit Herz-Kreislauf-Medikamenten wie ACE-Hemmer, Betablocker, Calciumkanalblocker.
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren
-Atmung stabilisieren
-Krämpfe kontrollieren
 
7.2Dekontamination und Elimination
-Erbrechen auslösen: innerhalb von 30-60 Minuten nach Einnahme, sofern der Patient asymptomatisch ist und einen guten Schluckreflex aufweist.
Hinweis: Risperidon und Olanzapin können die Wirksamkeit von Dopamin-Agonisten wie Ropinirol und Apomorphin verringern!
-Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml), innerhalb von 60 Minuten nach Einnahme, kann bei Retardformulierungen wiederholt verabreicht werden, im Abstand von 8 Stunden für maximal 48 Stunden.
-Bei schweren Fällen kann eine intravenöse Lipidemulsion (ILE) in Betracht gezogen werden, da zumindest einige der atypischen Antipsychotika fettlöslich sind: Lipidinfusion: Katze: Bolus von 1.5 ml/kg Körpergewicht i.v., dann 0.25 ml/kg Körpergewicht/Minute während 30 Minuten. Hund: Bolus von 2 ml/kg Körpergewicht i.v., dann 0.5 ml/kg Körpergewicht/Minute während 30 Minuten. Die Therapie kann bei ungenügendem Effekt nach 4-6 Stunden, wenn die Lipämie abgeklungen ist, wiederholt werden. Bei mdr1-defizienten Hunden kann die Wirksamkeit verlangsamt sein, da die intestinale Elimination der Avermectine durch P-Glykoproteine vermittelt wird.
-Bei Arzneimitteln mit hoher Proteinbindung kann eine therapeutische Plasmapherese von Nutzen sein, wenn die klinischen Symptome schwerwiegend sind.
-Die forcierte Diurese der Hämodialyse bringen wegen der hohen Proteinbindung und/oder des grossen Verteilungsvolumens keinen Vorteil.
 
7.3Weitere symptomatische Massnahmen
-Bei wiederholter Kohlegabe: Dehydratation ausgleichen und Überwachung auf Hypernatriämie.
-Flüssigkeitsgabe zur Verbesserung der Nierendurchblutung und Korrektur der Hypotonie.
-Vasopressoren: erst nach genügender Rehydratation und wenn die Hypotonie auf die intravenöse Flüssigkeitszufuhr nicht anspricht, mit Norepinephrin (Noradrenalin) 0.05-0.3 µg/kg/min., intravenös, konstante Infusionsrate oder Phenylephrin 1-3 µg/kg/min., intravenös, konstante Infusionsrate.
 

8. Erwarteter Verlauf und Prognose

Bei frühzeitiger Behandlung ist die Prognose sehr gut.
 

9. Fallbeispiel

Eine 3-monatige Jack Russell Terrier Hündin (*11.08.24), 3.3 kg hatte 10 mg Zyprexa (Olanzapin) gefressen. Sie zeigte 60 Minuten nach der Einnahme nur leichte Somnolenz und leicht erhöhten Puls, die Kapillarfüllungszeit (KFZ) und die Atmung waren normal. Sie wurde mit Flüssigkeit s.c. und einem Probiotikum behandelt. Ausser der leichten Somnolenz und Durchfall während einem Tag, traten keine weiteren Symptome auf (Tierklinik Au AG, Bütschwil, 19.11.2024).
 

10. Literatur

Hovda LR, Brutlag AG, Poppenga RH & Epstein SE (2024) Blackwell's five-minute veterinary consult clinical companion: small animal toxicology, 3rd edition. Wiley Blackwell, pp. 124-128
 
Kendrick J., Stow R., Ibbotson N., Adjin-Tettey G., Murphy B., Bailey G., Miller J., Helleberg H., Finderup Grove M., Ovlisen K. & Hansen J.J. (2020) A novel welfare and scientific approach to conducting dog metabolism studies allowing dogs to be pair housed. Lab Anim. 54(6), 588-598
 
O'Neil M.J. (2001) The Merck index - An encyclopedia of chemicals, drugs, and biologicals. 13th Edition, Merck and Co., Whitehouse Station, p. 1478
 
Paliperidon (2019) https://www.blogs.uni-mainz.de/fb09-pharmazie/files/2019/01/Paliperidon_korr.pdf (erfasst am 9.9.2024)
 
Shahzad S., Suleman M.I., Shahab H., Mazour I., Kaur A., Rudzinskiy P. & Lippmann S. (2002) Cataract occurrence with antipsychotic drugs. Psychosomatics 43(5), 354-359
 
Sicherheitsdatenblatt Asenapin (2020) https://www.organon.com/docs/product/safety-data-sheets/Asenapine Formulation_HH_SG_6N.pdf (erfasst am 9.9.2024)
 
Sicherheitsdatenblatt Aripiprazol (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600062_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1542511331 (erfasst am 9.9.2024)
 
Sicherheitsdatenblatt Clozapin (2022) https://www.agilent.com/cs/library/msds/5190-0566_EUGerman.pdf (erfasst am 9.9.2024)
 
Sicherheitsdatenblatt Quetiapin (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600780_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1681297332 (erfasst am 9.9.2024)
© 2024 - Institut für Veterinärpharmakologie und ‑toxikologie

Es kann keinerlei Haftung für Ansprüche übernommen werden, die aus dieser Webseite erwachsen könnten.