Wirkstoff - Pharmakologie
Oxybutynin

Eigenschaften

Oxybutynin gehört zur Gruppe der muskarinergen Rezeptorantagonisten und wird vor allem wegen seiner antispasmodischen Wirkung eingesetzt (Brown 2001a). Der Wirkstoff hat eine geringe anticholinerge und eine stark spasmolytische Wirkung (Lish 1965a; Anderson 1977b), mit minimalen zentralnervösen, kardiovaskulären und systemischen Wirkungen (Anderson 1977b). In therapeutischer Dosierung führt Oxybutynin zu einer Verminderung von Spasmen des Gastrointestinaltrakts, des Gallentrakts, der Harnleiter und des Uterus (Brown 2001a). Die krampflösende Wirkung ist sehr ausgeprägt auf den Detrusormuskel der Harnblase und den Dünn- und Dickdarm (Plumb 2002a).
 

Wirkungsort

Oxybutynin führt zu einer direkten antimuskarinergen (atropinähnlichen) und spasmolytischen (papaverinähnlichen) Wirkung an der glatten Muskulatur. Die Wirkung auf die glatte Muskulatur der Blutgefässe ist jedoch sehr gering (Plumb 2002a). Oxybutynin besitzt die höchste Affinität für muskarinerge M3-Rezeptoren und die tiefste Affinität für muskarinerge M2- und M5-Rezeptoren. Die Selektivität für den M3-Rezeptor ist 10-fach höher als für den M2-Rezeptor (Nilvebrant 1997a).
 

Wirkungsmechanismus

Generell verhindern muskarinerge Rezeptorantagonisten die Wirkung von Acetylcholin, da die muskarinergen cholinergen Rezeptoren blockiert werden und Acetylcholin nicht mehr binden kann. Die Wirkung auf nikotinerge Rezeptoren ist in der Regel sehr gering (Brown 2001a). Oxybutynin ist ein mässig starker anticholinerger Wirkstoff mit einer potenten, muskulotropen antispasmodischen Wirkung (Lish 1965a; Fredericks 1975a). Zusätzlich besitzt der Wirkstoff eine lokal anästhetische (Lish 1965a) und eine geringe antihistaminische Aktivität (Fredericks 1975a).
 

Anticholinerge Wirkung

In-vitro-Studien zeigen, dass Oxybutynin Acetylcholin-, Carbamylcholin- oder Carbachol-induzierte Kontraktionen kompetitiv hemmt und somit eine anticholinerge Wirkung aufweist (Anderson 1977b; Fredericks 1978a; Tonini 1987a; Peterson 1990a). Die anticholinerge Wirkung von Oxybutynin ist geringer als diejenige von Atropin. Verschiedene Studien berichten von einer 10- bis 50-fach geringeren Wirkung im Vergleich zu Atropin (Levin 1982a; Lish 1965a). Laut Fredericks et al. beträgt die anticholinerge Aktivität von Oxybutynin ungefähr 1/13 derjenigen von Propanthelin und ¼ von Atropin (Fredericks 1975a).
 

Muskulotrope antispasmodische Wirkung

Oxybutynin hemmt in in-vitro-Studien Bariumchlorid-induzierte Kontraktionen und wirkt ungefähr 10-mal stärker als Atropin (Fredericks 1975a; Anderson 1977b) und doppelt so stark wie Propanthelin (Fredericks 1975a). Dieser muskulotrope spasmolytische Effekt ist nicht-kompetitiv (Fredericks 1978a) (Anderson 1977b). Oxybutynin wirkt erst in höheren Konzentrationen direkt spasmolytisch (Tonini 1987a). Die Wirkstoffkonzentration, die es für die direkte spasmolytische Wirkung braucht, ist ungefähr 500-mal höher als diejenige für eine antimuskarinerge Wirkung (Kachur 1988a). Es wird vermutet, dass die spasmolytische Wirkung durch eine Blockierung des transmembranösen Kalziumflusses zustande kommt und somit die Kontraktion der glatten Muskulatur hemmt (Tonini 1987a; Kachur 1988a).
 

Lokal anästhetische Wirkung

Der Wirkstoff hat eine geringe lokal anästhetische Wirkung (Fredericks 1978a). Oxybutynin, bei Kaninchen ins Auge appliziert, bewirkt bei Konzentrationen von 0,02% und höher eine Anästhesie der Kornea (Lish 1965a). Die Wirkung ist ungefähr doppelt so stark und länger wirksam als diejenige von Lidocain (Lish 1965a; Kachur 1988a).
 

Antihistaminische Wirkung

In in-vitro-Studien weist Oxybutynin nur eine geringe Hemmung von Histamin-induzierten Detrusorkontraktionen auf (Fredericks 1975a).
 

Harnblase

Von den cholinergen Rezeptoren sind in der Harnblase vorwiegend M2-Rezeptoren präsent. Die kleinere Anzahl der M3-Rezeptoren scheint jedoch funktionell wichtiger zu sein und führt bei einer Aktivierung zur Kontraktion des Detrusormuskels der Harnblase (Chapple 2002a; Choppin 2001a). Oxybutynin als M3-selektiver Antagonist hat somit eine hemmende Wirkung auf die Harnblasenkontraktion (Chapple 2002a). In Studien bei Minipigs vermindert Oxybutynin Carbachol-induzierte Kontraktionen der Harnblase geringer als Atropin oder Propanthelin. Nach intravenöser Verabreichung von cholinergen Antagonisten findet eine dosisabhängige Verminderung des Harnblasendruckes statt. Oxybutynin wirkt gleich stark wie Propanthelin, jedoch schwächer als Atropin (Peterson 1990a).
 

Gastrointestinaltrakt

Oxybutynin führt zu einer verminderten Kontraktion des Gastrointestinaltraktes. Eine Studie beim Hund zeigt, dass Dünndarmkontraktionen durch 0,05 bis 0,5 mg/kg Oxybutynin stärker vermindert werden als mit 0,01 bis 0,1 mg/kg Atropin. Die Kontraktion und der intraluminale Druck des Kolons beim Hund werden durch i.v. 0,32 mg/kg Oxybutynin um 40 - 75% vermindert (Lish 1965a). Nebst der kontraktionshemmenden Wirkung wird die Säuresekretion im Magen vermindert. Die säuresekretionshemmende Wirkung von intraduodenal verabreichtem Oxybutynin bei Ratten ist 10-mal geringer als diejenige von Atropin. Nach subkutaner Verabreichung ist der Wirkstoff ungefähr halb so wirksam wie Atropin (Lish 1965a).
 

Speicheldrüsen

Als M3-selektiver Antagonist verursacht Oxybutynin als Nebenwirkung unter anderem ein trockenes Maul, da die Speichelsekretion über M3-Rezeptoren geregelt wird (Chapple 2002a). Die Speichelsekretion wird signifikant stärker vermindert als die Harnblasenkontraktion. Bei Katzen wird bei gleicher Dosis 80% des Speichelflusses und 50% der Harnblasenkontraktion gehemmt (Nilvebrant 1997a). Atropin hemmt die Speichelsekretion 12- bis 16-mal stärker als Oxybutynin (Lish 1965a).
 

Auge

Die mydriatische Wirkung von Oxybutynin ist ungefähr 25-mal schwächer als diejenige von Atropin (Lish 1965a).
 

Kardiovaskuläres System

Die Wirkung auf das kardiovaskuläre System ist sehr gering (Lish 1965a).
 

ZNS

Als tertiäres Amin kann Oxybutynin ins ZNS eindringen (Brown 2001a). Die Affinität für muskarinerge Rezeptoren im Gehirn von Ratten ist ca. 10-mal geringer als diejenige von Atropin (Aaltonen 1984a).