Neonatale Diarrhoe
Wichtige Hinweise
Bedeutung
● | weltweit wichtigste Ursache für Aufzuchtverluste auf Milchviehbetrieben |
● | schwere Durchfallerkrankungen |
- | verursachen hohe Kosten durch erhöhten Betreuungsaufwand, Behandlungskosten und erhebliche Wachstumseinbussen; |
- | haben langfristige negative Konsequenzen für das spätere Leistungspotential der Tiere. |
Krankheitsbild / Symptomatik / Risikofaktoren
Häufigste und verlustreichste Faktorenkrankheit in der Kälberaufzucht
● | akuter Verlauf während der ersten drei Lebenswochen |
● | im Kot erkrankter Tiere werden häufig Infektionserreger nachgewiesen: |
- | Cryptosporidium parvum |
- | Rota- und Coronaviren |
- | enterotoxische Escherichia coli (insbesondere K 99/F 5) |
● | Mischinfektionen sind häufig und haben meist einen schwereren klinischen Verlauf als Monoinfektionen. |
● | abiotische Faktoren sind ebenfalls von ausschlaggebender Bedeutung |
- | Hypo- oder Agammaglobulinämie aufgrund ungenügender Kolostrumversorgung |
- | hoher Infektionsdruck aufgrund ungenügender Reinigung der Kälberiglus/-buchten |
- | schlechte Konstitution der Kälber aufgrund zu geringer Energieversorgung (restriktives Tränken), feuchter Einstreu und niedriger Umgebungstemperaturen |
● | Cryptosporidium parvum und Rota-Viren sind wichtige Zoonose-Erreger (insbesondere gefährlich für Kinder und immunsupprimierte Erwachsene) |
Krankheitsbild Kalb
● | Infektion häufig bereits im Abkalbebereich |
● | nach Inkubationszeit von 2 bis 5 Tagen suppiger oder wässriger Kot, teilweise mit Blutbeimengungen |
● | enterale Flüssigkeitsverluste (1, 2, 4, 8 Liter pro Tag) führen zu: |
- | Dehydratation |
- | metabolischer Azidose |
- | Hyperkaliämie |
- | Hämokonzentration |
- | Festliegen |
Diagnose / Tests
● | Erregernachweis im Serum/Plasma bzw. Kot |
- | Kultur mit spezifischer Agglutination für E. coli K99/F5 |
- | immunchromatographischer Schnelltest (z. B. Fassisi) |
- | Anfärbung von Cryptosporidien (modifizierte Ziehl-Neelsen, Heine) |
- | PCR für Virusnachweis |
Therapieleitlinien
Impfleitlinien
Aktive Impfung
Ein gehäuftes Auftreten von ND ist i. d. R. auf systematische Fehler bei Kolostrum-Management, Fütterung und Haltung der Kälber zurückzuführen. ND ist eine klassische Faktorenerkrankung - entsprechend kann Impfen als singuläre Massnahme ein Bestandesproblem nicht lösen. In einem Gesamtkonzept mit gleichzeitiger Einbeziehung der abiotischen Ursachen ist Impfen jedoch ein wertvolles Tool.Eine Impfung hat sich vor allem als Muttertiervakzination (MTV) als vorteilhaft erwiesen: Ziel dieser Vakzination ist die Erhöhung der Konzentration maternaler Antikörper im Kolostrum gegen E. coli K99/F5 sowie virale Duchfallerreger. Die Impfung der Kühe erfolgt 1- bis 2-mal ante partum. Signifikant erhöhte Spiegel maternaler Antikörper gegen die Impf-Antigene wurden nachgewiesen. Es gilt aber einige Voraussetzungen zu beachten, um tatsächlich ein Bestandesproblem lösen zu können:
● | zunächst muss über die Untersuchung des Kotes von mehreren akut erkrankten Kälbern der vorherrschende Erreger nachgewiesen werden: |
- | die MTV hat eine besonders gute Wirkung bei Durchfallerkrankungen durch enterotoxische E. coli; für diese Erreger ist typisch, dass die Durchfälle bereits innerhalb der ersten zwei Lebenstage des Kalbes auftreten. |
- | die MTV hat eine relativ gute Wirkung bei Durchfallerkrankungen durch virale Durchfallerreger; diese treten meist gegen Ende der ersten und während der zweiten Lebenswoche des Kalbes auf. |
- | die MTV hat keine Wirkung bei Durchfallerkrankungen durch Cryptosporidien - diese sind aber tatsächlich auf vielen Betrieben die vorherrschenden Erreger! |
● | jede MTV bleibt wirkungslos, wenn das Kolostrum-Management auf dem Betrieb nicht funktioniert: |
- | erste Verabreichung innerhalb der ersten Lebensstunde möglichst per Nuckelflasche ad libitum |
- | Kontrolle des Kolostrum-Managements auf dem Betrieb mindestens einmal jährlich |
- | mindestens vier Kälber beproben, die routinemässig versorgt wurden und älter als 24 Stunden bzw. jünger als 12 Tage sind |
- | Konzentration des Gesamteiweisses im Serum bestimmen (z. B. mittels Refraktometer) |
- | wenn mindestens drei der vier Kälber eine Gesamtproteinkonzentration von > 55 g/L aufweisen, kann von einer guten Versorgung der neugeborenen Kälber ausgegangen werden |
● | es sollten stets alle zur Kalbung anstehenden Muttertiere geimpft werden, um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen. |
● | ohne Verbesserung der Haltungs-, Hygiene- und Fütterungsbedingungen bleibt jedes Impfprogramm erfolglos. |
Passive Impfung
In der Schweiz sind mehrere kommerzielle polyvalente Präparate verfügbar, die Antikörper gegen pathogene Coli-Isolate und Rota- bzw. Corona-Viren enthalten. Diese haben eine Zulassung für die orale und/oder parenterale Anwendung.Solche Präparate können sinnvoll sein:
● | bei Kälbern, für die - aus welchen Gründen auch immer - kein Kolostrum des Muttertieres verfügbar war; |
● | bei Kälbern von Kühen mit einer schlechten Qualität des Kolostrums (nachweisbar mittels ColostroCheck, Brix-Refraktometer oder Glasspindel). |
● | Die zusätzliche Verabreichung an Kälber, die ausreichende Mengen guten Kolostrums des Muttertieres bekamen, ist weder notwendig noch erfolgversprechend. |
Situation in der Schweiz
In der Schweiz sind fünf Muttertiervakzinen (Tabelle 11) und drei Immunglobulinpräparate zugelassen (Tabelle 12).Tabelle 11: Zugelassene Muttertiervakzinen und Impfschemata gegen neonatale Diarrhoe in der Schweiz
Handelsname | Antigen | Impfstoff-typ | Anwendung | Vertrieb |
Bovigen Scour | Bovines Rotavirus Stamm TM-91, Serotyp G6P1 Bovines Coronavirus Stamm C-197 E. coli Stamm EC/17, exprimierend F5 (K99) Adhäsine | inaktiviert | 3 ml i. m., einmalig 12 bis 3 Wochen vor jeder Abkalbung | Virbac (Switzerland) AG |
Coroniffa RC | Bovines Rotavirus Stamm IFFA Bovines Coronavirus Stamm INRA | inaktiviert | 5 ml s.c.; 2 Injektionen im Abstand von mindestens 2 Wochen (erste Injektion: 1 bis 3 Monate vor der Geburt, zweite Injektion: 2 bis 6 Wochen vor oder am Tag der Geburt) Jährliche Wiederholung: 2 bis 6 Wochen vor oder am Tag der Geburt | Biokema SA |
Bovilis Rotavec Corona | Bovines Rotavirus Stamm UK-Compton, Serotyp G6 Bovines Coronavirus Stamm Mebus, E. coli F5 (K99) Adhäsin | inaktiviert | 2 ml i. m., einmalig 12 bis 3 Wochen vor jeder Abkalbung | MSD Animal Health GmbH |
Scourguard 3 | Bovines Rotavirus Stamm Lincoln, Bovines Coronavirus Stamm Hansen E. coli Stamm NADC 1471 O101, Adhäsionsfaktor K99 | lebend attenuiert (Viren) bzw. inaktiviert (E. coli) | 2 ml i. m., 8 bis 6 Wochen und Wiederholung 3 bis 2 Wochen vor Abkalbung | Zoetis Schweiz GmbH |
Imocolibov | Escherichia (E.) coli, Serotyp O:78 E. coli, Serotypen O:09 und O:101, Antigen K99 E. coli, Serotypen O:117 und O:8, Antigen Y E. coli, Serotypen O:15 und O:8, | inaktiviert | 5 ml s. c. 2 - 6 Wochen vor der Geburt; Wiederholungsimpfungen: 1 Injektion 2 bis 6 Wochen vor jeder Geburt. | Biokema SA |
Tabelle 12: Zugelassene polyvalente Immunglobulinpräparate und Impfschemata gegen neonatale Diarrhoe in der Schweiz
Handelsname | Inhaltsstoffe | Anwendung | Vertrieb |
LOCATIM | Antikörper gegen Rotavirus Antikörper gegen Coronavirus Haftfaktoren E. coli K99, F41, Att25, Cs31A Serotypen E. coli 0101:K99 F41, 09:K30 K99 F41, 08:K85 K99 und 0101:K30 F41 Serotypen E. coli 078:80B, 0115:B, 015:K, 086:B7, 0117:K98 | orale Lösung Prophylaxe: einmalig 60 ml nach der Geburt Therapie: initial 60 ml, tägliche Wiederholung mit 30 ml | Biokema SA |
LOCATIM Plus | Antikörper gegen Rotavirus Antikörper gegen Coronavirus Serotypen von E. coli 078:80B, 0115:B, 015:K, 086:B7, 0117:K98 Haftfaktoren von E. coli K99, F41, Att25, CS31A und die Serotypen 0101:K99 F41, 09:K30 K99 F41, 08:K85 K99, 0101:K30 F41 | i.v. / i.m. / s.c. Prophylaxe: 0.5 ml pro kg Therapie: 1 bis 2 ml pro kg | Biokema SA |
Gammaserin | spezifischen Antikörper gegen Rotavirus Coronavirus E. coli 78:80 B E. coli K99 | Prophylaxe: 20 ml s. c. / p. o. Therapie: 0.5 - 1 ml pro kg s. c. | Dr. E. Graeub AG |