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Anwendungssicherheit

Dichlorvos gehört zu den höher toxischen Organophosphaten und verfügt nur über eine sehr geringe Verträglichkeit. Es ist etwa 10 mal toxischer als Trichlorfon. Die therapeutische Breite beträgt weniger als 3.
 
Besonders junge und geschwächte Tiere, Katzen, bestimmte Hunderassen (Greyhounds und andere Windhunde), Vögel (z.B. Gänse), Fische und Bienen sind sehr empfindlich (Kühnert 1991a; Ungemach 1994b; Van Miert 1994a).
 
Die Toxizität der Organophosphate wird durch die Formulierungszusatzstoffe, insbesondere die organischen Lösungsmittel, beeinflusst. Dabei spielen die Transmitter- oder Carrierfunktionen dieser Stoffe (Transportgeschwindigkeit durch die Haut oder Schleimhaut) eine besondere Rolle.
 
Auch das Vorhandensein weiterer chemischer Verbindungen im Körper kann die Toxizität der Organophosphate beeinflussen. Zwei Organophosphate können im Organismus sowohl als Synergisten wirken (z.B. Malathion und Trichlorfon) als auch antagonistisch reagieren (Malathion und Parathion).
 
Auch Arzneimittel mit esterasesenkender Wirkung (z.B. Succinylcholin, Phenothiazine, Procaine) und Arzneimittel mit neuromuskulären Angriffsort (z.B. Anästhetika, Magnesiumionen) können die Toxizität von Organophosphaten erhöhen (Kühnert 1991a).
 
Bei der Applikation von Dichlorvos in Form eines imprägnierten Halsbandes wird die Freisetzung des Wirkstoffes von der Umgebungstemperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit beeinflusst. So beträgt der Dampfdruck von Dichlorvos bei einer Temperatur von 32°C 0,032 mmHg, bei 60°C bereits 0,296 mmHg. Bei Anwesenheit von Feuchtigkeit wird Dichlorvos nach dem Verdampfen sehr schnell hydrolysiert und entgiftet. Bei einer Erhöhung der Luftfeuchtigkeit um 30% sinkt die freigesetzte Dichlorvosmenge um 50%.
Bei Katzen konnte eine Erhöhung der Toxizität von Dichlorvoshalsbändern bei hohen Umgebungstemperaturen und gleichzeitiger niedriger relativen Luftfeuchtigkeit beobachtet werden (Bell 1975a).
 

Akute Toxizität

Eine akute Organophosphatintoxikation wird durch die irreversible Hemmung des Enzyms Acetylcholinesterase verursacht. Organophosphate blockieren die Acetylcholinesterase durch Phosphorylierung an der esteratischen Gruppe. Das gebildete Phosphorylenzym blockiert die Kopplung von Enzym und Acetylcholin und damit die biokatalytische Spaltung durch die Esterase. In der Folge findet eine Anreicherung von Acetylcholin an neuromuskulären Verbindungstellen, den parasympathischen postganglionären Enden der glatten Muskulatur, am Herzmuskel und an den Drüsen, allen autonomen Ganglien und an den cholinergen Synapsen im Zentralnervensystem statt. Damit sind alle muskarin- und nikotinartigen cholinergen Rezeptoren übererregt, es kommt zu unkontrollierten und für den Organismus dysphysiologischen Organreaktionen (Hass 1970a; Kühnert 1991a).
 

LD50

Ratteoral: unter 80 mg/kg
dermal: 107 mg/kg
Inhalation: LC50: 17,5 - 70 mg/m3 (Kühnert 1991a)
Hundoral: 100 - 316 mg/kg (Todenhöfer 1970a)
Kalboral: 10 mg/kg
Schaforal: 25 mg/kg
Schweinoral: 157, toxische Dosis: 32 mg/kg (Stanton 1979a)
 

Letale Dosen

Todesfälle sind nach oraler Gabe von freiem Dichlorvos bei Kälbern ab 10 mg/kg, bei Hunden ab 22 mg/kg (Snow 1973a), bei Pferden ab 25 mg/kg und bei Schweinen ab 50 mg/kg beobachtet wurden (Ungemach 1994b).
 
Bei der an PVC-gebundenen slow-release-Formulierung werden 10 - 20-fach höhere Dosierungen toleriert (Stanton 1979a; Ungemach 1994b).
 

Hund

Beim Hund ist die orale LD50 für die an PVC-gebundene Formulierung abhängig vom Alter und beträgt für Hunde im Alter von 1 - 5 Wochen 483 mg/kg, von 10 - 21 Wochen 562 mg/kg und von 25 - 30 Wochen 886 mg/kg Körpergewicht (Hass 1970a; Todenhöfer 1970a).
 

Pferd

Bei Pferden kommt es ab 105 mg/kg zu Intoxikationssymptomen. Meist bestehen diese in einer leichten, sich selbst limitierenden Diarrhoe (DiPietro 1987a).
 

Hühner

Nach einer Entwurmung von Pferden mit Dichlorvos sind Reste des Wurmmittels und auch die abgetöteten Würmer im Kot hochtoxisch für Hühner.
Dasselbe gilt auch für die mit Dichlorvosdämpfen abgetöteten Ektoparasiten. Klinische Symptome sind Krämpfe, Lähmungen, wässrige Durchfälle, Atemnot und akute Todesfälle. Die Therapie besteht in der Spülung des Kropfes, der Gabe von Abführmitteln, wie Paraffinöl (10 ml/kg), oder Glaubersalz (5 g/kg), und der intramuskulären Injektion von 0,5 - 1,0 mg/kg Atropin (Kummerfeld 1998b).
 

Reptilien

Für Reptilien sind Organophosphate ebenfalls nicht ungefährlich. Stark geschwächte Tiere verenden mitunter nach einer Behandlung oder zeigen Anzeichen von Intoxikationen. Einen sehr beachtenswerten Faktor stellt die Umgebungstemperatur dar. Höhere oder niedrigere Temperaturwerte als das Optimum (in Abhängigkeit von der Reptilienspezies) können unter Umständen fatale Folgen haben, da neben der Aktivität des Reptilienstoffwechsels die Toxizität der Wirkstoffe zu- bzw. abnimmt. Die Toxizität der Organophosphate korreliert positiv mit einer Temperaturerhöhung (Mutschmann 1993a).
 

Symptome der Dichlorvosintoxikation

Die Vergiftung läuft nach der Giftaufnahme im allgemeinen perakut bis akut, chronische Vergiftungen sind selten. Nach oraler Aufnahme werden die Organophosphate vom Magen schnell resorbiert, so dass klinische Symptome schon wenige Minuten bis 2 Stunden nach der Aufnahme auftreten (Kühnert 1991a; Snow 1973a). Auch nach dermalen Kontakt treten die Krankheitsbilder schnell auf. Der Vergiftungsverlauf ist ebenfalls rasch und dramatisch. Überlebt der Patient die ersten 24 - 48 Stunden, verbessert sich die Prognose (Kühnert 1991a).
 
Die Symptomatik kann sowohl durch muskarinartige, nikotinartige oder zentralnervöse Effekte bestimmt sein (Courtney 1995a).
 

Stimulation der muskarinartigen Rezeptoren an parasympathischen Nervenendigungen

Exokrine Drüsen:Salivation, Lakrimation, Schwitzen
Augen:Miosis (beim Schwein Nystagmus), injizierte Konjunktivalgefässe
Gastrointestinaltrakt:Übelkeit, Erbrechen (besonders beim Hund), Diarrhoe, Tenesmus, fäkale Inkontinenz
Respirationsapparat:Bronchokonstriktion, Bronchospasmus, Husten, Bradypnoe, Dyspnoe
Kardiovaskuläres System:Bradykardie, Blutdruckabfall
Blase:frequenter Harnabsatz (Courtney 1995a; Snow 1973a; Adam 1987a; Allen 1978a; Todenhöfer 1970a).
 

Stimulation nikotinartiger Rezeptoren an vegetativen Ganglien und motorischen Endplatten

Muskulatur:Unruhe, später Depression, Tremor, Ataxie, Muskelsteife, generalisierten Muskelzuckungen und schliesslich Paralyse (Courtney 1995a; Adam 1987a; Snow 1973a; Stanton 1979a; Bell 1975a).
 

Stimulation der Acetylcholinrezeptoren im Gehirn

ZNS:Nach Passieren der Blut-Hirnschranke und Erregung zentraler Cholinozeptoren kommt es zu Lethargie, Müdigkeit, Tremor, Krämpfen und Koma mit Atemlähmung (Adam 1987a; Courtney 1995a).
 
Der Tod tritt infolge einer, durch Lähmung der Atemmuskulatur, Hemmung des Atemzentrums und gesteigerte Bronchokonstriktion und -sekretion verursachten Dyspnoe ein (Courtney 1995a; Snow 1973a). Bei Schweinen erfolgt der Tod bereits 15 - 30 Minuten nach der Aufnahme einer toxischen Dosis (Stanton 1979a)
 

Diagnose

Die Gesamtblut-Acetylcholinesteraseaktivität ist ein wichtiger Parameter für eine Organophosphatvergiftung. Ein Absinken unter 25% des Normalwertes, weist auf die Wirkung eines Acetylcholinesterase-Hemmers hin (allerdings nicht spezifisch für Organophosphate) (Kühnert 1991a).
 

Pathologie

Bei der pathologischen Untersuchung stehen bei sehr schnell verstorbenen Hunden pulmonale Veränderungen mit generalisierter Kongestion, Hyperämie und Bronchokonstriktion im Vordergrund. Hunde,welche etwas länger überleben, zeigen vor allem kardio-vaskuläre Veränderungen, einschliesslich extensiver Hämorrhagien (Snow 1973b).
 

Therapie der Dichlorvosintoxikation

Da die Hemmung der Acetylcholinesterase durch Alkylphosphate nahezu irreversibel ist, muss die esteratische Aktivität grösstenteils durch Neusynthese wiederhergestellt werden, was entsprechend lange Zeiträume in Anspruch nimmt (Adam 1987a). Eine völlige Enzymreversibilität ist von der Schwere des Vergiftungsfalles abhängig und verläuft über mehrere Tage bzw. Wochen (Kühnert 1991a).
 
Das bevorzugte Antidot für die akuten, lebensbedrohlichen, muskarinartigen Symptome ist Atropin (parasympatholytisch). Es antagonisiert kompetitiv die Wirkung von Acetylcholin an den muskarinartigen Rezeptoren im autonomen Nervensystem und auch an nicht definierten Rezeptoren des ZNS (Douglas 1952a).
 
Dosierung (ein Drittel intravenös, den Rest subkutan):
-Rind:0,6 mg/kg
-Schaf:1,0 mg/kg
-Pferd:0,1 mg/kg
-Hund:0,3 mg/kg
-Katze:0,3 mg/kg
 
Eine wirksame Atropinisierung ist erreicht, wenn die Pupillen dilatieren und die Salivation sistiert; Wiederholung falls nötig alle 4 - 6 Stunden bis maximal 6 mg/kg Totaldosis erreicht sind (Kühnert 1991a; Adam 1987a; Courtney 1995a).
 
Darüberhinaus ist der Einsatz kausaler Antidote mit Eingriff in den toxischen Wirkungsmechanismus möglich. Mit Pralidoxim und Obidoxim kann die Cholinesterase durch Ablösen des Organophosphates und Dephosphorylierung des Enzyms reaktiviert werden. Dies ist jedoch nur bis maximal 24 h nach der Giftaufnahme möglich. Obidoxim oder Pralidoxim sollten erst nach der Behandlung der akuten Vergiftungsymptome mit Atropin verabreicht werden. Die Dosierung für Obidoxim ist 2 - 5 mg/kg i.v. (evtl. auch i.m.) Wiederholung frühestens nach 20 min, in der Regel nach 2 h, für Pralidoxim 20 - 100 mg/kg i.v. zweimal täglich.
CAVE: Obidoxim selbst kann auch Cholinesterasen hemmen (Courtney 1995a; Ungemach 1994b; Adam 1987a) !
 
Als weitere symptomatische Therapiemassnahmen sind nötig:
  1.Aufrechterhaltung der Atmung (Absaugen des Bronchialsekretes und Beatmung)
  2.Bei oraler Aufnahme Giftentfernung durch Emesis oder Magenspülung, Aktivkohle, Glaubersalz oder neutrales Mineralöl
  3.Bei Aufnahme über die Haut Waschbehandlung mit wässriger, alkalischer, detergenzienhaltiger Lösung
  4.Bei zentralnervöser Symptomatik Diphenhydraminhydrochlorid: 4 mg/kg i.v. (Hund) oder i.m. (Hund oder Katze) alle 8 Stunden bis zum Verschwinden der Symptome. Bei einsetzender Depression Dosis auf 1 - 2 mg/kg senken (Courtney 1995a).
  5.Azidose- und Krampfbehandlung (Ungemach 1994b).
  6.Elektrolyt- und Multivitamingaben zur Unterstützung des Leberstoffwechsels (Kühnert 1991a; Adam 1987a; Ungemach 1994b)
 

Chronische Toxizität

Bei einigen Organophosphaten ist ein verspäteter neurotoxischer Effekt bekannt. Die sogenannte OPIDN (organophosphorus ester-induced delayed neuropathy) tritt ca. 7 - 21 Tage nach der Exposition zu einer neurotoxischen Dosis eines Organophosphates auf und äussert sich in Schwäche, Ataxie, propriozeptiven Defiziten, insbesondere in den Hintergliedmassen, bis hin zur Paralyse. Histologisch kann eine symmetrische, distale, primäre axonale Degeneration im zentralen und peripheren Nervensystem, mit sekundärer Myelindegeneration beobachtet werden (Fikes 1990a; Francis 1985a; Richardson 1992a). Dieses Syndrom ist speziesspezifisch (Francis 1985a) und konnte experimentell bei verschiedenen Spezies, einschliesslich Hunden, Katzen, Kaninchen und Meerschweinchen, hervorgerufen werden (Johnson 1975a). Je nach Organophosphatverbindung kann die Symptomatik irreversibel verlaufen oder aber auch langsam über Wochen zur Regeneration führen (Kühnert 1991a).
 
Auch eine andauernde oder sich wiederholende starke Hemmung der Cholinesterasen durch Organophosphate führt zu degenerativen Veränderungen an den Nervenachsen (Demyelinisierung), beginnend an den peripheren motorischen Bahnen, über den Spinalstrang zum Hirnstrang fortschreitend (Kühnert 1991a).
 
Bei oraler Verabreichung von Dichlorvos über 103 Wochen an Ratten und Mäuse, wurde ein vermehrtes Auftreten verschiedener Neoplasien, insbesondere Adenome des exokrinen Pankreas, Leukämie, Plattenepithelpapillome des Vormagens und Fibroadenome der Milchdrüse beobachtet. Dichlorvos ist somit karzinogen für Ratten und Mäuse (Chan 1991a).
 

Reproduktion

Organophosphate sind im Allgemeinen nicht teratogen. Mutagenitätsuntersuchungen weisen jedoch bei Mikroorganismen, Pflanzenzellen und in-vivo-Test bei Labortieren positive Testergebnisse auf (Kühnert 1991a).
 

Schwein

Bei Schweinen verursacht Dichlorvos im Gegensatz zum Metrifonat bei Verabreichung zwischen dem 40. und 70. Tag der Trächtigkeit keine teratogenen Effekte oder funktionellen Abnormalitäten in den neugeborenen Ferkeln (Wrathall 1980a; Collins 1971a). Auch die tägliche Verabreichung von Dichlorvos während der letzten 30 Trächtigkeitstage hat keine negativen Effekte (Stanton 1979a)
 

Pferd

Eine Behandlung mit Dichlorvos im 8-wöchentlichen Intervall hat bei Stuten und Hengsten keine negativen Auswirkungen auf die Fertilität und Trächtigkeit (Drudge 1972b).
 

Hund

Die Anwendung von Dichlorvos bei 12 Tage bis 9 Wochen alten Hundewelpen ist gefahrlos möglich (Todenhöfer 1970a).
 

Umwelttoxizität

Dichlorvos ist relativ stark fischtoxisch (LC50: 1,0 mg/l) (Kühnert 1991a).
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