Wirkstoff - Pharmakologie
Acetazolamid

Eigenschaften

Acetazolamid ist ein effizienter Hemmer des Enzyms Carboanhydrase (Rose 1979a; Hokins 1977a; Petit 1989a; Frey 1990a; Shaikh 1996a; Kokko 1984a; Buntenkötter 1985a).
 

Wirkungsort

Die Carboanhydrase kommt in zahlreichen Geweben des Körpers vor, unter anderem ist das Enzym auch im Ziliarkörper des Auges und im Nephron, hier hauptsächlich im proximalen Tubulus, zu finden (Effros 1978a; Fox 1992a; Kokko 1984a; Warnock 1989a; Jurna 1987a; DiBartola 1992a; Petit 1989a). Somit wirken die Carboanhydrasehemmer in der Niere vor allem im proximalen Tubulus (Ellison 1994a; Petit 1989a; Kokko 1984a).
 

Wirkungsmechanismus

Das Enzym Carboanhydrase katalysiert die Schlüsselreaktion für die Abgabe von Wasserstoffionen in die Tubulusflüssigkeit und für die Rückgewinnung von Bicarbonat und Natriumionen (Jurna 1987a).
 
Bei der Hemmung der Carboanhydrase durch Acetazolamid bindet die anionische Form der Sulfonamidgruppe wahrscheinlich an ein Zinkatom der Carboanhydrase (Petit 1989a). Es fehlen nun durch die Hemmung Wasserstoffionen in den Tubuluszellen, und die tubuläre Resorption von Bicarbonat nimmt bis zu 80 - 90% ab (Petit 1989a; Jurna 1987a; Frey 1990a; Jacobson 1982a; Cogan 1979a; Preisig 1987a). Auch die Rückresorption von Natrium nimmt stark ab, und ein diuretischer Effekt resultiert durch die erhöhte Natriumkonzentration im Tubuluslumen (Gougoux 1987a; Petit 1989a).
 
Chlor wird zurückgehalten (Collins 1995a; Frey 1990a). Dies ist wahrscheinlich das Resultat eines Kompensationsmechanismus zur Aufrechterhaltung des Plasma-Ionengleichgewichtes während der Bicarbonatausscheidung (Collins 1995a).
 
Zusammenfassend entsteht also ein erhöhter Verlust an Natrium, Kalium und Bicarbonat (Pugh 1991a; Haskins 1981a; Shaikh 1996a) und im Plasma kommt es innerhalb weniger Tage zu einer Hypokaliämie (Frimmer 1986a). Die systemische Konsequenz all dieser Vorgänge ist eine hyperchlorämische metabolische Azidose (Haskins 1981a; Rose 1979a; Rose 1990a; Warnock 1989a). Dies verursacht eine erhöhte Verfügbarkeit der Wasserstoffionen, damit aber wird der diuretische Effekt selbstlimitierend beendet (Frey 1990a; Haskins 1981a; Petit 1989a). Deshalb besteht die Diurese und die Kaliurese normalerweise nur während der ersten 2 - 3 Tage der Acetazolamidverabreichung (Haskins 1981a).
 
Da der Einfluss auf die Natriumrückresorption nur im proximalen Tubulus stattfindet, kann die natriuretische Wirkung durch Regulationsmechanismen im distalen Abschnitt wieder verringert werden und das distale Nephron kann Salze und Wasser wieder zurückresorbieren (DiBartola 1992a; Kokko 1984a).
 
Aus diesen Gründen ist Acetazolamid nur ein schwaches Diuretikum (Vestweber 1989a; Kokko 1984a). Wegen seiner begrenzten Wirkung und seiner erheblichen Auswirkung auf die ionale Zusammensetzung der extrazellulären Flüssigkeit wird es deshalb als eigentliches Diuretikum nicht mehr verwendet (Jurna 1987a).
 

Glomeruläre Filtrationsrate und renaler Blutfluss

In einer Studie mit Hunden wurde festgestellt, dass Acetazolamid (20 mg/kg i.v.) eine Reduktion der glomerulären Filtrationsrate um 16% und eine Verminderung des renalen Blutflusses um 18% herbeiführte. Der Mechanismus wird noch diskutiert (Yeyati 1992a). Es gibt aber Hinweise, dass ein tubulo-glomerulärer Feedback-Mechanismus besteht (Persson 1982a).
 

Urinzusammensetzung

Nach einer Verabreichung von Acetazolamid enthält der Endharn viel Kalium, Natrium und Bicarbonat, dagegen wenig Chlorid und Ammonium (Jurna 1987a). Der Harn wird stark alkalisch (Pugh 1991a; Shaikh 1996a; Gougoux 1987a), und der pH steigt auf einen Wert von über 8 an (Frey 1990a).
 

Extrarenale Wirkungen

Glaukom

Acetazolamid bewirkt auch eine Senkung des Augeninnendruckes. Die systemische Diurese ist dafür aber nicht verantwortlich, wie Versuche an nephrektomierten Hunden gezeigt haben (Gelatt 1981a). Vielmehr wird die Carboanhydrase, welche sich im nichtpigmentierten Ziliarepithel des Auges befindet und für die Bildung des bicarbonatreichen Kammerwassers sorgt, gehemmt (Frey 1990a; Chiou 1980a; Gelatt 1981a). Somit reduziert Acetazolamid den Augeninnendruck dadurch, dass es die Produktion des Kammerwassers erniedrigt (Slatter 1990a; Jurna 1987a; Gelatt 1981a; Othman 1987a). Bei Versuchen an Menschen und Tieren wurde gezeigt, dass durch systemisch verabreichtes Acetazolamid die Kammerwasserproduktion bis zu 60% reduziert werden kann (Friedland 1994a).
 

Hydrocephalus

Acetazolamid kann auch den Druck der cerebrospinalen Flüssigkeit erniedrigen, indem es die Produktion derselben reduziert (Itoh 1996a). Eine andere Quelle berichtet aber, dass bei Hunden mit experimentell erhöhtem intrakraniellem Druck, welchen 0,01 mg/kg Acetazolamid intravenös verabreicht wurde, ein starkes Ansteigen des intrakraniellen Druckes auf gefährliche Werte beobachtet wurde (Wilkinson 1989a).
 

Epilepsie

Acetazolamid besitzt auch eine antikonvulsive Wirkung, d.h. beim mit Acetazolamid behandelten Menschen wurde eine Reduktion der Anzahl epileptischer Anfälle beobachtet. Der Wirkmechanismus ist jedoch noch nicht vollständig bekannt (Jackson 1996a).
 

Hyperkaliämische periodische Paralyse

Ebenso ist der Mechanismus, welcher beim Pferd zur erfolgreichen Prävention von Episoden der HYPP (= hyperkaliämische periodische Paralyse, im englischen Sprachraum unter dem Namen "hyperkalemic periodic paralysis" bekannt) durch Acetazolamid führt, nicht vollständig klar (Rüdel 1985a). Vermutlich kommt es durch eine Stimulierung der Insulinsekretion zu einer Stabilisierung der Blutglucose und der Kaliumkonzentrationen. Dies wiederum erhöht die Kaliumverschiebung durch die Zellmembran der Muskelzelle. Somit korrigiert Acetazolamid die Störung im Kaliumtransportmechanismus, welche die hyperkaliämische periodische Paralyse auslöst (Hokins 1977a).