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Thallium und Thalliumverbindungen

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Thallium ist ein weiches, blau-weisses Metall, das an der Luft rasch oxidiert (graue Oxidschicht). Es gibt ein- und dreiwertige Thalliumverbindungen (Oxidationsstufen +1 und +3). Von den verschiedenen Thalliumsalzen sind vor allem die einwertigen Formen von toxikologischer Bedeutung.
Thalliumacetat und Thalliumsulfat sind weder durch Geruch noch durch Geschmack erkennbar. Beide Thalliumsalze erscheinen als farblose, wasserlösliche Pulver. Thalliumnitrat, Thalliumiodid, Thalliumphosphat und Thalliumacetat sind ebenfalls gut wasserlöslich. Thalliumsulfid ist dagegen nahezu unlöslich in Wasser.
 

2. Quellen

Thalliumacetat und Thalliumsulfat werden als Rodentizide eingesetzt (Köder als Paste oder Körner, in der Schweiz seit 1973 verboten); Thalliumpräparate wurden früher als kosmetische Enthaarungsmittel verwendet. Verschiedene Thalliumsalze werden bei Industrieprozessen eingesetzt (Chemie, Elektronik, zur Herstellung von Halbleitern und künstlichen Diamanten). Thalliumsalze werden in Ködern oder im Boden nicht abgebaut und besitzen daher eine hohe Persistenz. Alte Köder bleiben auch nach Jahrzehnten gefährlich!
 

3. Kinetik

Thallium wird über die Haut, über den Respirationstrakt und besonders über den Verdauungstrakt gut resorbiert, da das einwertige Thallium-Ion dem Kalium-Ion sehr ähnlich ist und dessen Transportmechanismen benutzen kann.
Thallium reichert sich vor allem in der Leber, in den Tubulusepithelien der Nieren, im Knochen und in der Schleimhaut, Haut und Hautanhangsgebilden an.
Die Halbwertzeit beträgt 14 Tagen oder länger. Die Ausscheidung erfolgt über die Nieren und den Darm, wobei Thallium einem enterohepatischen Kreislauf unterliegt. Thallium kann auch in der Milch nachgewiesen werden.
 

4. Toxisches Prinzip

Der genaue Mechanismus der Thalliumvergiftung ist unbekannt, möglicherweise besteht eine kompetitive Verdrängung von Kaliumionen. Thallium wird statt Kalium in Enzyme, Ionenkanäle oder Ionenpumpen eingebaut, die dadurch ihre physiologische Funktion verlieren.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatteKaninchenHuhn
Thalliumacetat221615 
Thalliumcarbonat2123  
Thalliumchlorid24   
Thalliumnitrat33   
Thalliumoxid 44  
Thalliumsulfat292525 
 

II. Spezielle Toxikologie - Pferd

1. Toxizität

-Minimale toxische Dosis (oral): Thalliumacetat 27 mg/kg Körpergewicht, Thalliumsulfat 10-24 mg/kg.
-Thalliumsulfat ist in der oralen Dosis von 50 mg/kg für das Pferd letal.
 

2. Latenz

Mindestens 12 Stunden, meistens 1-2 Tage; die Vergiftungserscheinungen beginnen schleichend.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Anorexie, Ataxie, Hyperthermie
  
3.2Nervensystem
Hyperästhesie, Muskeltremor, Krämpfe, Paresen, Paralyse
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Salivation, Gingivitis
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Durchfall, manchmal hämorrhagischer Durchfall, Kolik
  
3.5Respirationstrakt
Dyspnoe, Pneumonie
  
3.6Herz, Kreislauf
Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Muskelschwäche
  
3.8Augen, Augenlider
Konjunktivitis, Sehstörungen bis Erblindung
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Alopezie, Erytheme, Hyperkeratose
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Missbildungen
 

4. Sektionsbefunde

Magenulcera, Gastroenteritis, Leber- und Nierendegeneration (vor allem nach chronischen Vergiftungen)
 

5. Weiterführende Diagnostik

5.1Nachweis von Thallium im Urin mittels Flamme
Im Urin eingetauchte Platinöse mit Bunsenbrenner erhitzen, Thallium färbt die Flamme smaragd-grün.
  
5.2Nachweis von Thallium im Urin mittels Farbreaktion
Gleiche Teile von Urin, 10%igem Natriumjodid und 0.4%igem Natriumbismuth in 20%iger Salpetersäure vermischen. Ein backsteinrotes Präzipitat weist auf die Gegenwart von Thallium hin.
  
5.3Nachweis von Thallium in Urin, Blut, Mageninhalt, Haaren, Köder, Leber oder Niere mittels Atomabsorptionsspektrometrie (Normalwerte < 0.05 ppm).
 

6. Differentialdiagnosen

Vergiftungen mit Arsen, Blei, Chloraten, Fluor, Quecksilberverbindungen.
 

7. Therapie

7.1Dekontamination
Wiederholte Verabreichung von Aktivkohle und Glaubersalz oder Paraffinöl per Nasenschlundsonde
  
7.2Kalium
Infusion mit Kalium-Zusatz, dabei Herz- und Nierenfunktion überwachen!
  
7.3Vitamin B
Zusatz von Vitamin B-Komplex
  
7.4Antibiotika
Antibiotische Versorgung gegen Haut- und Lungeninfektionen
  
7.5Kolik
Metamizol verabreichen
  
7.6Krämpfe
Diazepam verabreichen
 

8. Fallbeispiel

Weder in der Literatur noch in den Aufzeichnungen des Tox Info Suisse konnte ein Fallbeispiel für eine Thalliumvergiftung beim Pferd gefunden werden.
 

9. Literatur

Gangolli S (1999) The dictionary of substances and their effects, Second Edition. Royal Society of Chemistry, Cambridge
 
Humphreys DJ (1988) Veterinary Toxicology, Baillière Tindall, London, pp 73-75
 
Kühnert M & Gaede W (1991) Vergiftungen durch Emissionen und Immissionen. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (M Kühnert, ed) Gustav Fischer, Jena, pp 174-175
 
Lorgue G, Lechenet J & Rivière A (1987) Précis de Toxicologie Clinique Vétérinaire, Édition du Point Vétérinaire, Maisons-Alfort, pp 180-181
 
Moeschlin S (1980) Klinik und Therapie der Vergiftungen, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, pp 99-115
 
Olson, KR (1999) Poisoning and Drug Overdose, Appleton and Lange, Stamford, Connecticut, pp 302-303
 
Perkow W (1988) Wirksubstanzen der Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, Paul Parey, Berlin
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