2. Quellen
Die wesentlichste Vergiftungsquelle für landwirtschaftliche Nutztiere ist die Speicherung von Nitrat in den Futterpflanzen. Ferner bildet die Kontamination des Futters mit nitrithaltigen Silierhilfsmitteln eine mögliche Gefahrenquelle. Auch der sorglose Umgang mit Nitratdüngern kann zu Vergiftungen führen. Ammoniumnitrat ist in Kühlbeuteln zu finden. Natriumnitrat und Kaliumnitrat werden auch als Konservierungsmittel in Futtermitteln verwendet.
Die Nitratspeicherung der Pflanzen ist stark abhängig von Düngung, Herbizideinsatz, ungünstigen Witterungsverhältnissen (Trockenheit oder Kälte), Mangel an Spurenelementen oder Pilzbefall.
Die höchsten Nitratkonzentrationen enthalten Kleemehl, Luzerne und Kartoffeln, die höchsten Nitritkonzentrationen die Zuckerrüben (Schrenk et al., 2020).
3. Kinetik
Nach oraler Aufnahme wird Nitrat (NO
3–) stufenweise in Nitrit (NO
2–), Stickoxid (NO) und Nitrosamine (RN-NO) umgesetzt:
Nitritbildung aus Nitrat
NO
3– + 2e
– + 2H
+ → NO
2– + H
2O
Stickoxidbildung aus Nitrit
NO
2– + e
– + 2H
+ → NO + H
2O
Durch Bakterien wird Nitrat bereits im Speichel - bei Wiederkäuern vor allem in den Vormägen - zu Nitrit reduziert, womit sich die Toxizität um einen Faktor 10 erhöht. Nitrat und Nitrit werden resorbiert, gelangen in die Blutbahn und werden über den Harn ausgeschieden. Wegen der raschen Umwandlung von Nitrat zu Nitrit im reduzierenden Milieu des Pansens reagieren Wiederkäuer besonders empfindlich auf eine erhöhte Nitratexposition. Aus Sicht des Verbraucherschutzes erhalten die Nitrosamine eine besondere Bedeutung, weil ihnen mutagene und kanzerogene Eigenschaften nachgewiesen wurden. Nitrosamine entstehen hauptsächlich im Magen von Monogastriern aus der Reaktion von Nitrit mit Aminen, Amiden oder Aminosäuren:
Nitrosaminbildung aus Nitrit
RNH + NO
2– + H
+ → RN-NO + H
2O
Ausganspunkt der genotoxischen Wirkung der Nitrosamine ist eine Cytochrom-P
450-vermittelte Oxidation an einem der Aminogruppen benachbarten C-Atom. Dadurch entstehen reaktionfähige Zwischenstufen, die zelluläre Makromoleküle alkylieren und unter anderem die DNS durch Adduktbildung schädigen.
Bildung alkylierender Verbindungen (zum Beispiel aus Dimethylnitrosamin)
CH
3CH
3N-NO → OHCH
2CH
3N-NO → HCH
3N-NO → Reaktion mit DNS
Für den Menschen hat dieser genotoxische Mechanismus zur Folge, dass Nitrit (im Pökelfleisch) sowie Nitrat (im Gemüse oder Trinkwasser) zu einem erhöhten Krebsrisiko führt.
4. Toxisches Prinzip
Im Verdauungstrakt wird Nitrat durch Reduktion in das giftigere Nitrit umgewandelt. Nitrat und Nitrit führen zu folgenden toxischen Wirkungen:
- | Reizung der Schleimhäute im Magen-Darm-Trakt durch Nitrat/Nitrit. |
- | Methämoglobinbildung: Nitrit ist ein potentes Oxidationsmittel, das Methämoglobin (Fe3+) aus Hämoglobin (Fe2+) erzeugt. Als Folge einer Verschiebung der Sauerstoff-Sättigungskurve kommt es zu einer ungenügenden Sauerstoffabgabe in der Peripherie. Die Methämoglobinbildung führt deshalb zu Gewebshypoxie. Im Allgemeinen treten Symptome ab einem Methämoglobinanteil von 10-20% auf, ab 30% ist die Blutfarbe deutlich ins Braune verändert, zum Tod kommt es bei 60-80% Methämoglobin durch innere Erstickung. |
- | Vasodilatation und Blutdruckabfall: bei der weiteren Reduktion von Nitrit entsteht Stickoxid, das zur Dilatation der Blutgefässe führt. Stickoxid ist ein Botenstoff, der bei vielen Signalprozessen beteiligt ist und beispielsweise auch von Endothelzellen freigesetzt wird. Bei Nitrat/Nitrit-Vergiftungen entsteht jedoch ein Überschuss dieses Botenstoffes, der durch Erweiterung der Blutkapillare den Blutdruck absinken lässt. Die Gewebshypoxie wird wegen der daraus resultierenden Kreislaufinsuffizienz bei gleichzeitiger Methämoglobinbildung noch verstärkt. |
- | Schilddrüsenunterfunktion: Nitrat kann die Schilddrüsenfunktion hemmen, indem es als kompetitiver Inhibitor des Transportproteins Natrium-Iodid-Symporter (NIS), das die Einschleusung von Iodid-Ionen aus dem Blut in die Zelle katalysiert, agiert. Dies führt zu einer Verringerung der Jodidaufnahme sowie der Schilddrüsenhormonsynthese (Schrenk et al., 2020). |
5. Toxizität bei Labortieren
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Ammoniumnitrat | | 4'820 | | |
Kaliumnitrat | | 1'600 | 3'750 | |
Kaliumnitrit | 110 | | 300 | |
Natriumnitrat | | 3'236 | 2'680 | |
Natriumnitrit | 85 | 175-180 | | |
6. Umwelttoxikologie
Die heutige Landwirtschaft nimmt eine Schlüsselstellung für die Stickstoffbelastung der Umwelt ein. Stickstoffdünger erlauben zwar eine massiv gesteigerte lanwirtschaftliche Produktivität, führen jedoch zur unerwünschten Steigerung der Nitratexposition und zur Überdüngung der Gewässer.
II. Spezielle Toxikologie - Schwein
1. Toxizität
- | Die TD für Mastjager ist 10 mg Kaliumnitrit/kg Körpergewicht p.o., die LD 20 mg Kaliumnitrit/kg Körpergewicht p.o. |
- | Der NOAEL von Natriumnitrat für Saugferkel in Milchpulver beträgt 500 mg/kg und für abgesetzte Ferkel 4000 mg/kg. |
- | Die Aufnahme von Nitrat ist für Jager und ausgewachsene Schweine auch in grossen Mengen (bis 2.0 mg Nitrat/kg Körpergewicht/Tag in Futter) untoxisch, da nur sehr geringe Mengen in Nitrit umgewandelt werden. Deshalb und wegen der kurzen Latenzzeit ist eine chronische Toxizität unwarscheinlich. |
- | Der NOAEL von Nitrat beträgt 410 mg/kg Körpergewicht/Tag, der NOAEL von Nitrit 20 mg/kg Körpergewicht/Tag (Schrenk et al., 2020). |
2. Latenz
Eine halbe bis mehrere Stunden.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Inital Unruhe und Erregung, später Schwäche, Apathie, Koma, Ataxie, Inkoordination, Festliegen, schneller Tod (90 bis 150 Minuten nach Toxinaufnahme) oder vollständige Erholung innerhalb weniger Stunden |
|
3.2 | Nervensystem |
| Terminal anoxische Anfälle |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Erbrechen, Salivation |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Zunehmende Dyspnoe, Tachypnoe |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Tachykardie |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Miosis |
|
3.9 | Harntrakt |
| Polyurie |
|
3.10 | Haut, Schleimhäute |
| Bläuliche oder braun verfärbte Schleinhäute, blasse Haut |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Wegen Methämoglobinbildung schokaladenbraun verfärbtes Blut |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefunde
Wegen der massiven Methämoglobinbildung schokoladenbraun verfärbtes Blut, Subkutis und innere Organe.
5. Weiterführende Diagnostik
5.1 | Toxinquantifizierung |
| Bestimmung des Nitritgehaltes in der (vermuteten) Toxinquelle (meist Futter oder Trinkwasser) und/oder Untersuchung des Mageninhalts auf mögliche Toxinquellen. |
|
5.3 | Bestimmung der Methämoglobinwertes im Blut |
| Erkrankungen treten ab 20 % Methämoglobin an der Gesamthämoglobinmenge auf, Todesfälle ab 80 %. Wegen der schnellen Veränderung der Methämoglobinwerte im lebenden Tier und bei der Lagerung sind unerwartet tiefe Methämoglobinwerte wenig aussagekräftig. |
6. Differentialdiagnose
6.1 | Salivation |
| Schleimhautreizende Stoffe, Infektionskrankheiten wie Vesikulärkrankheit/SVD, Aujeszky'sche Krankheit/AUJ, Tollwut, Maul- und Klauenseuche, andere Intoxikationen (Amitraz, Blei, Botulismus, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Dipyridinium-Herbizide, Fumonisin, Kochsalz/Trinkwassermangel, Metaldehyd, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Pyrethroide, Organophosphate und Carbamate, Quecksilber, Quinoxalinderivate, Selen, Schwefelwasserstoff). |
|
6.2 | Erbrechen |
| Viral, bakteriell, diätetisch, Magengeschwüre, Haarballen, Fremdkörper, Vitaminmangel (Thiamin, Riboflavin), andere Intoxikationen (Aflatoxine, Amitraz, anorganische Arsenverbindungen, Avermectine, Blei, Cadmium, Cholecalciferol, Cyanamid, Dipyridinium-Herbizide, Eisenverbindungen, Ethylenglykol, Fusarientoxine, Fluor, Ionophore, Kochsalz/Trinkwassermangel, Kupfer, Metaldehyd, Organophospahte und Carbamte, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Pyrethroide, Quecksilber, Schwefelwasserstoff, Selen, Stachybotryotoxikose, Stickstoffdioxid). |
|
6.3 | Miosis |
| Intoxikation mit Organophosphaten oder Carbamaten. |
|
6.4 | Polyurie |
| Zystitis, Hyperparathyreodismus, Nephritiden, hoher Salzgehalt des Futters, andere Intoxikationen (Amitraz, Cholecalciferol, Eisenverbindungen, Fusarientoxine, Harnstoff, Kochsalz/Trinkwassermangel, Ochratoxine, Quinoxalinderivate). |
|
6.5 | Braunverfärbte Schleimhäute |
| Stickstoffdioxidintoxikation |
|
6.6 | Schokoladebraunes Blut (Methämoglobinämie) |
| Stickstoffdioxidintoxikation |
7. Therapie
7.1 | Dekontamination |
| Aktivkohle und Glaubersalz |
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7.2 | Methämoglobinämie |
| Methylenblau: 10 mg Methylenblau pro kg Körpergewicht in vierprozentiger Lösung i.v. |
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7.3 | Prophylaxe |
| Um die Vergiftung weiterer Tiere zu verhindern, sollte ein Futter- und Tränkewechsel stattfinden. Grenzwerte für Nitritstickstoff sind 400 ppm in der Trockenmasse des Futters und 150 ppm im Trinkwasser. |
8. Fallbeispiele
8.1 | In einem Mastbetrieb, dessen Trinkwasserversorgung aus in einem Tank gesammelten Regenwasser bestand, das von einem mit verrottenden Blättern, Vogelmist und anderem Sediment verschmutzten Dach herunterlief, wurde eines Morgens Wasser, mit einem erhöhten Sedimentanteil vom Dach, an eine Gruppe fünfmonatiger Schweine verabreicht. Etwa eine Stunde später beobachtete ein Angestellter bei den betroffenen Schweinen Kolik und vereinzelt Erbrechen. Drei Stunden später traten die ersten Todesfälle auf. Sektionsresultate waren Methämoglobinämie, violette Verfärbung der Haut am Bauch, Kopf und Ohren, blasse Muskulatur und Nieren, Lungenödem und -emphysem und kein Gerinnen des schokoladebraunen Blutes. Laboruntersuchungen einer Blutprobe, die Herzblut enthielt, ergab 37 % Methämoglobin und in einer Wasserprobe wurde Nitrit gefunden (Counter et al., 1975) |
|
8.2 | In einem Mastbestand traten während zehn Monaten an drei verschiedenen Tagen Todesfälle (Mortalitätsraten von 17 bis 31 Prozent) auf. Bei den ersten beiden Fällen waren die Tiere vor dem Tod klinisch unauffällig und die Sektionen, die ungefähr 36 Stunden nach dem Verenden durchgeführt worden waren, ergaben hypoxische Schäden. Futterintoxikationen und Güllegasintoxikation wurden abgeklärt und konnten ausgeschlossen werden. Das Futter und sein Hersteller wurden jeweils gewechselt. Beim dritten Fall (mit einer Mortalität von 31 Prozent) lagen eines Morgens wieder verendete Mastschweine. Frisch erbrochenes Futter und Hautbezirke mit blaugrauer Verfärbung und Zyanose bei einigen überlebenden Schweinen wurden beobachtet. Noch auf dem Hof wurden zwei Schweine seziert und folgende Beobachtungen gemacht: Blasse und zyanotische Haut, Zyanose der Maulschleimhaut, schokoladenbraune Verfärbung des Blutes (bei den vorherigen Sektionen nicht beobachtet), weitegehend fehlende Blutgerinnung, mit Futterbrei gefüllter Magen und keine Veränderungen an den inneren Organen. Zwei Blutproben von überlebenden Schweinen, die anlässlich der klinischen Untersuchung entnommen worden waren, wiesen mit 22,7 % und 29,4 % erhöhte Methämoglobinwerte auf. Futter- und Wasserproben wurden am nächsten Tag gezogen, waren aber unauffällig. Als Ursache konnte eine mangelhaft funktionierende Pumpe eines Bioluftwäschers (wandelt Luftammoniak in Nitrat/Nitrit um) eruiert werden, weshalb das kontaminierte Wasser in die Sauentränke gelangen konnte (Grosse Beilage et al., 2002). |
9. Literaturverzeichnis
Carson TL (1999) Toxic Minerals, Chemicals, Plants and Gases. In: Diseases of Swine- 8th Edition (BE Straw, S D'Allaire, WL Mengeling & DJ Taylor ed.), Iowa State University Press, Ames, p 790
Counter DE, Giles N & Redmond MD (1975) Stored rainwater as a cause of nitrite poisoning in pigs. Vet Rec 101, 412
Gehrmann-Fink J & Kerber HJ (1978) Toxizität von Nitrat für Saugferkel. Dtsch Tierärztl Wschr 85, 50-55
Gibson R (1975) An outbreak of nitrite poisoning in sows. Vet Rec 101, 270
Grosse Beilage E, Zentek J & Wendt M (2002) Akute Nitritvergiftung bei Mastschweinen. Tierärztl Prax 30, 23-29
Heinritzi K, Plonait H (1997) Blutkrankheiten. In: Lehrbuch der Schweinekrankheiten (Plonait H, Bickhardt K Hrsg.), Parey Berlin, pp 194-195
London WT, Henderson W & Cross RF (1967) An attempt to produce chronic nitrite toxicosis in swine. JAVMA 150, 398-402
Mc Parland PJ, Mc Rory FJ, Bell N, Walls TJR & Mason WHS (1980) Nitrite poisoning in pigs. Vet Rec 106, 201
Ridder WE & Oehme FW (1974) Nitrates as an environmaental, animal and human hazard. Clin Tox 7, 145-149
Schrenk D, Bignami M, Bodin L, Chipman JK, del Mazo J, Grasl-Kraupp B, Hoogenboom L & Leblanc J-C (2020) Risk assessment of nitrate and nitrite in feed. EFSA-Q-2019-00098
Seerley RW, Emerick RJ, Embry LB & Olson OE (1965) Effect of nitrate or nitrite administered continuously in drinking water for swine or sheep. J Anim Sci 24, 1014-1019