2. Quellen
2.1 | Natürliche Cumarinderivate |
Durch
Aspergillus- oder
Penicillium-Arten kann in feuchtem (verschimmelten) Heu mit hohem Anteil an
Melolitus (
M. officinalis, M. altissimus, M. albus) aus Melilotsäure (Dihydro-
o-cumarsäure) Dicumarol gebildet werden. Die Substanz hemmt als Vitamin-K
1-Antagonist die Synthese von Vitamin K
1-abhängigen Blutgerinnungsfaktoren (u.a. Prothrombin, Faktoren VII, IX und X) und führt damit zu Hämorrhagien, auch Süsskleekrankheit (sweet clover disease) genannt. Dicumarol kann im Heu über Jahren persistieren und bei Kaninchen, Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen zur Erkrankung führen.
2.2 | Synthetische Cumarinderivate |
Diese Substanzen werden chemisch synthetisiert und als Rodentizide oder zu Therapiezwecken als Gerinnungshemmer (zur Thromboseprophylaxe) eingesetzt. Haus- und Nutztiere sind durch Köder gefährdet, die synthetische Cumarinderivate enthalten. Zweitvergiftungen durch Aufnahme der Kadaver von vergifteten Ratten oder Mäusen sind bei Hund und Katze möglich, aber nur mit den neueren Cumarinderivaten der zweiten Generation.
3. Kinetik
Cumarinderivate werden langsam aber vollständig aus dem Darmtrakt resorbiert. Im Blut findet eine starke Bindung an Plasmaalbumine statt. Die neueren Cumarinderivate der zweiten Generation weisen eine lange Eliminationshalbwertszeit von mehreren Tagen bis Wochen auf. Die Ausscheidung erfolgt über Harn und Faeces in Form konjugierter Metaboliten.
4. Toxisches Prinzip
Cumarin (Synonym Kumarin) selber ist nur wenig toxisch. Nur in hohen Dosen oder bei langandauerner Verabreichung von Cumarin konnten bei Hunden, Schafen, Ratten, Pferden und Rindern eine Leberschädigung mit zentrolobulärer Nekrose festgestellt werden.
Dicumarol (Synonym Dicumarin) und synthetische Cumarinderivate wirken gerinnungshemmend indem sie die Reaktivierung von Vitamin K
1 durch das Enzym Vitamin-K
1-Epoxidreduktase kompetitiv hemmen. Die Gerinnungsfaktoren II (Prothrombin), VII (Proconvertin), IX (Christmas-Faktor) und X (Stuart-Faktor) werden in der Leber zuerst als inaktive Vorstufen synthetisiert. Im endoplasmatischen Retikulum werden diese Vorläufer durch Carboxylierung eines Glutaminsäurerestes in die aktiven Gerinnungsfaktoren überführt. Dieser Vorgang der Carboxylierung ist mit der Oxidation eines Kofaktors - Vitamin K
1 - verbunden, wobei als Oxidationsprodukt das Vitamin-K
1-Epoxid entsteht (siehe Abbildung). Die Rückführung dieses Epoxids in die ursprünglich aktive Form von Vitamin K
1 wird durch das Enzym Vitamin-K
1-Epoxidreduktase besorgt. Der biochemische Schritt der Reaktivierung von Vitamin K
1 ist es, der durch die Cumarinderivate verhindert wird:
In der Gegenwart der Cumarinderivate fällt somit die posttranslationelle Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X aus. Diese Blockierung im Aufbau des Blutgerinnungssystems führt nach Verbrauch der noch vorhandenen Gerinnungsfaktoren zu multiplen Hämorrhagien. Diagnostisch sehr wertvoll ist die Tatsache, dass Faktor VII immer zuerst aufgebraucht wird, beim Hund beträgt die Halbwertszeit von Faktor VII zum Beispiel nur 4-6 Stunden. Zur Ermittlung der exogenen (oder extrinsischen) Gerinnungsaktivität - an dem Faktor VII beteiligt ist - eignet sich der Prothrombinzeit-Test nach Quick. Somit steht eine einfache Laboruntersuchung für die Früherkennung von Cumarinvergiftungen zur Verfügung: während der Anfangsphase der Vergiftung ist der Quick-Test bereits verlängert, bevor klinisch manifeste Blutungen auftreten.
5. Toxizität bei Labortieren
Die Toxizität ist abhängig von der jeweiligen Substanz. Cumarinderivate der ersten Generation (Chlorophacinon, Coumachlor, Coumatetralyl, Diphacinon, Pindon, Warfarin) sind bedeutend weniger toxisch als Cumarinderivate der zweiten Generation (Brodifacoum, Bromadiolon, Difenacoum, Difethialon, Flocoumafen).
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Brodifacoum | 0.4 | 0.16-0.4 | 0.2 | 2-12 |
Bromadiolon | 1.75 | 0.59-1.13 | 1 | |
Chlorophacinon | 1.16 | 2-20.5 | 50 | |
Coumachlor | | 900-1'200 | | |
Coumafen | 374 | 3 | 800 | 1'000 |
Coumafuryl | | 400 | | |
Cumarin | | 293-680 | | |
Coumatetralyl | | 16.5 | | 50 |
Dicoumarol | | 542 | | |
Difenacoum | 0.8 | 1.8 | 2 | 100 |
Difethialon | 1.29 | 0.56 | | |
Diphacinon | 340 | 1.5-17 | 35 | |
Flocoumafen | 0.8 | 0.25 | 0.2 | |
Methoxycumarin | | 4'300 | | |
Phentolacin | | 3.75 | | |
Pindon (Pivaldion) | | 280 | 150-170 | |
Pyranocumarin | | > 4'000 | | |
Valon | | 100-200 | 100-150 | |
Warfarin | 374 | 60 | | 942 |
Bei wiederholter Verabreichung verteilt auf mehreren Tage können die oralen LD
50-Werte für Cumarinderivate um bis zu zwei Zehnerpotenzen tiefer liegen. Zum Beispiel ist die orale LD
50 für Coumafuryl bei Verabreichung während 5 aufeinanderfolgenden Tagen an Ratten 1.4 mg/kg/Tag. Für Warfarin, Coumatetralyl, Difenacoum und Diphacinon betragen diese mehrtägigen Toxizitätswerten 1 mg/kg/Tag, 1.5 mg/kg/Tag, 0.16 mg/kg/Tag und 0.5 mg/kg/Tag.
II. Spezielle Toxikologie - Schwein
1. Toxizität
1.1 | Cumarinderivate der ersten Generation |
Wie zum Beispiel Warfarin, Fumarin, Pindon und Coumachlor werden bei einmaliger Einnahme meist symptomlos ertragen. Die toxische Dosis von 3.3 mg Warfarin/kg Körpergewicht und die letale Dosis von 6 mg Warfarin/kg Körpergewicht für vierwöchige Ferkel stehen im Gegensatz zur massiven Toxizität bei repetitiver Aufnahme. Bereits 0.055 mg Warfarin/kg Körpergewicht führen nach 5 Tagen zu klinischen Symptomen, 0.4 mg Warfarin/kg Körpergewicht während einer Woche führen zum Tod.
1.2 | Neuere Cumarinderivate der zweiten Generation |
Wie zum Beispiel Brodifacoum and Bromadiolon können schon in tieferer Dosis nach einmaliger Einnahme zu klinischen Symptomen und Todesfällen führen. Tödliche Dosis bei einmaliger Einnahme ist 0.5-2 mg Brodifacoum/kg Körpergewicht.
Mit zunehmendem Alter abnehmend.
2. Latenz
Je nach Alter des Tieres, Dosis und Präparat zwischen wenigen Stunden und mehreren Tagen.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Zunehmende Apathie bis Festliegen, Schwäche, Teilnahmslosigkeit, (plötzlicher) Tod, steifer Gang |
|
3.2 | Nervensystem |
| Keine Symptome |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Meläna, blutiger Kot, dunkler/schwarzer Kot |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Tachypnoe, Epistaxis |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Tachykardie |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Lahmheit, (periartikuläre) Gelenksschwellungen |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Blutungen im Augeninnern |
|
3.9 | Harntrakt |
| Hämaturie |
|
3.10 | Haut, Schleimhäute |
| Subkutane und submuköse Blutungen v.a. an vorstehenden Körperteilen/-partien |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Anämie, Blutungen, verlängerte Blutungszeit |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Abort |
4. Sektionsbefunde
Recht typisches Bild mit Blutungen/Hämorrhagien in Muskulatur, Subkutis, Lunge, Körperhöhlen, Gelenken und im subkutanen und submukösen Gewebe. Das Blut ist nicht geronnen.
5. Weiterführende Untersuchungen
In Futter, vermuteter Toxinquelle, Köder, Blut oder Leber mit chromatografischen Methoden.
Verlängerte Prothrombinzeit (PT nach Quick), verlängerte Partielle Thromboplastinzeit (PTT). Die PT oder die PTT sollten innerhalb von 4 Stunden nach Blutabnahme bestimmt werden. Wird das Citratplasma gefroren, können die Gerinnungsparameter bis zu 1 Monat lang bestimmt werden. Empfehlung: vor der Therapie mit Vitamin K
1 Blut für eine spätere Quick-Bestimmung entnehmen.
6. Differentialdiagnosen
Perakute oder akute Verlaufsformen von diversen infektiösen Krankheiten wie Schweinepest, Salmonellose, Porcine Intestinale Adenomatose, Milzbrand, Morbus maculosus, Eperythrozoonose; Vitamin K-Mangel; Magenulcera.
6.1 | Plötzliche Todesfälle ohne oder mit wenig vorausgehenden Symptomen |
Perakut oder akut verlaufende Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Oedemkrankheit, Rotlauf; hochgradige Anämie oder Blutverlust; Herz-/Kreislaufversagen; Unfälle mit Blitzschlag oder Elektrizität; andere Intoxikationen (Aflatoxine, Botulismus, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Cholecalciferol, Cyanamid, Dipyridinium-Herbizide, Eisenverbindungen, Ethylenglykol, Fumonisin, Ionophore, Kochsalz, Kohlenmonoxid, Metaldehyd, Nitrat/Nitrit, Organophosphate und Carbamate, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Quecksilber, Schwefelwasserstoff, Selen, Strychnin).
6.2 | Steifer Gang anderer Genese |
|
6.3 | Blutige oder schwarze Fäzes |
Verletzungen im Rektal- oder Analbereich; massiver Befall mit Peitschenwürmern; Erkrankungen, die zu Blutverlust in den Gastrointestinaltrakt führen wie Magengeschwüre, Bezoare, Darminfektionen mit Lawsonia intracellularis, Brachyspira pilosicoli; andere Intoxikationen (Aflatoxine, anorganische Arsenverbindungen, Blei, Cadmium, Dipyridinium-Herbizide, Eisenverbindungen, Fusarientoxine, Kupfer, Metaldehyd).
6.4 | Tachypnoe anderer Genese |
|
6.5 | Epistaxis |
Traumatisch bedingtes Nasenbluten, progressive Rhinitis atrophicans, thrombozytopenische Purpura.
Panaritium; Beinschwächesyndrom/Osteochondrose; Trauma; Arthritiden (zum Beispiel Gelenksrotlauf, Glässer'sche Krankheit, Polyarthritis der Saugferkel); andere Intoxikationen (Cholecalciferol, Eisenverbindungen, Fluor, Selen, Zink).
6.7 | Vergrösserte Gelenke und/oder Arthrits |
Bakterielle Arthritiden; Osteochondrose/Beinschwächesyndrom; andere Intoxikationen (Blei, Cadmium, Zink).
6.8 | Pigmenturie (Hämo- oder Myoglobinurie) |
Harnwegsinfektionen; andere Intoxikationen (Ionophore, Kupfer).
6.9 | Subkutane und submuköse Blutungen anderer Genese |
|
6.10 | Anämie |
Eisenmangelanämie; Infektionskrankheiten, die zu Blutverlust führen wie PIA/Lawsonia intracellularis, Brachyspira pilosicoli; hochgradiger Ekto- (Sarcoptesräude, Läuse) und/oder Endoparasitenbefall (Peitschenwürmer); Magengeschwüre, Bezoare; andere Intoxikationen (Aflatoxine, Blei, Cadmium, Eisenverbindungen, Fusarientoxine, Kupfer, Mutterkornalkaloide, Selen, Zink).
6.11 | Abort oder Totgeburten |
Virale, bakterielle und parasitäre Aborterreger, Uterusinfektionen; Allgemeinerkrankungen mit (mehrtägiger) Hyperthermie; Stress; saisonale Aborte; andere Intoxikationen (Aflatoxine, Blei, Botulismus, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Fusarientoxine, Fumonisin, Kohlenmonoxid, Mutterkornalkaloide, Organophosphate und Carbamate, Quinoxalinderivate, Selen, Stachybotryotoxin, Zearalenon).
7. Therapie
- | Sofern die Köderaufnahme beobachtet wurde, kann wiederholt Aktivkohle (bei Obstipation in Verbindung mit Glaubersalz) verabreicht werden. Beim Eintritt der Symptome ist die Dekontamination jedoch zwecklos. |
- | Vitamin K1: 0.5-2.5 mg Vitamin K1/kg Körpergewicht i.m. (in Ausnahmefällen auch i.v., nur verdünnt in NaCl-Lösung und sehr langsam, maximal 5 mg/Minute). Vitamin K3 darf wegen Unwirksamkeit nicht verwendet werden! |
- | Bei akuter Hypoprothrombinämie mit Blutung: 0.5-2.5 mg Vitamin K1/kg Körpergewicht i.v., maximal 10 mg/Minute bei vollentwickelten Schweinen und maximal 5 mg/Minute bei Neugeborenen und sehr jungen Tieren. Bei nicht-akuter Hypoprothrombinämie: 0.5-2.5 mg Vitamin K1/kg Körpergewicht i.m. |
7.3 | Bluttransfusion mit Citratblut |
|
7.4 | Prophylaxe |
- | Vorbeugend gegen Cumarinderivat-Vergiftungen wirkt ein hoher Selengehalt des Futtters. Ein Gehalt von 2.5 ppm bietet einen relativ guten Schutz der Hepatozyten gegen Cumarinderivate. |
8. Fallbeispiel
In einem Zuchtbetrieb fiel bei 18 Ferkeln aus zwei Würfen blasse Haut, Nasenbluten, blutigrote Skleren, Lahmheit und eine erhöhte Mortalität von 50% auf. Eine Muttersau war ebenfalls lahm und blass und eine verlängerte Blutgerinnungszeit von 10 Minuten, sie erholte sich aber innerhalb einiger Tage ohne Behandlung. Bei der Sektion von drei verendeten Ferkeln fielen hochgradige Blutungen und Oedeme an verschiedenen Körperstellen und in die Körperhöhlen auf. Der Verdacht auf Cumarinderivat-Vergiftung wurde durch die Anamnese bestätigt: Es wurde ein 0.8 prozentiges Coumatetralylpulver während mehrerer aufeinanderfolgender Tage in den betroffenen Buchten eingesetzt (Dobson, 1973).
9. Literaturverzeichnis
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Davila JC, Edds GT, Osuna O & Simpson CF (1983) Modification of the effects of aflatoxin B
1 and warfarin in young pigs given selenium. Am J Vet Res 44, 1877-1883
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1, Austr Vet J 49, 98-100
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