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Harnstoff

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Harnstoff bildet weisse Kristalle; die Verbindung ist gut wasserlöslich und geruchlos.
 

2. Quellen

Vergiftungsursachen sind zu hohe Harnstoffkonzentrationen in Futtermitteln für Rinder, die Verwendung von Rinderfutter bei anderen Spezies oder die unkontrollierte Aufnahme von Harnstoffdüngern.
 

3. Kinetik

Durch die bakterielle Urease im Pansen (bei Wiederkäuern) oder im Caecum (bei anderen Spezies) wird Harnstoff in Ammoniak umgewandelt:

Bedingung für die Resorption von Ammoniak ist ein hoher pH-Wert, weil Ammoniak nur in der nicht-ionisierten Form über die Membranen des Magen-Darm-Traktes aufgenommen werden kann. Der Stickstoff im Ammoniak wird nach der Resorption metabolisiert und wiederum als Harnstoff mit dem Harn ausgeschieden. Beim Rind wird ein Teil des Harnstoffes über den ruminohepatischen Kreislauf in den Pansen sezerniert. Ammoniak überwindet die Blut-Hirnschranke.
 

4. Toxisches Prinzip

Die Harnstoffvergiftung ist eigentlich eine Ammoniakvergiftung, weil im Magen-Darm-Trakt Harnstoff in das giftigere Ammoniak umgewandelt wird. Ammoniak hemmt den Zitronensäurezyklus, ein zentraler Umsatzplatz im Stoffwechsel der Kohlenhydrate, Proteine und Lipide. Die anaerobe Glycolyse wird begünstigt und es entsteht vermehrt Laktat, womit die betroffenen Tiere eine Azidose zeigen. Durch Hemmung der Zellatmung entsteht eine Zellschädigung, die vor allem im Nervensystem irreversibel ist.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatteKaninchenHuhn
Ammoniak 350  
Ammoniumchlorid 1'650> 1'000 
Ammoniumchlorplatinat 1  
Ammoniumhydroxid 350  
Ammoniumpersulfat, (NH4)2S2O8 820  
Ammoniumsulfamat, NH2S(O)2ONH4 2'000-3'900  
Ammoniumsulfat, (NH4)2SO4 3'000  
Ammoniumsulfid, (NH4)2S> 80   
Ammoniumtrisulfid, (NH4)2S3 150  
Ammoniumvanadat (NH4VO3) 160  
Harnstoff 8'471  
 

II. Spezielle Toxikologie - Pferd

1. Toxizität

Die letale Dosis von Harnstoff wird für Equiden mit 3.5 g/kg Körpergewicht p.o. angegeben (siehe Fallbeispiel); die minimale toxische Dosis von Ammoniumsulfat liegt für das Pferd bei 1.5 g/kg p.o. Die Konzentration von Ammoniakgas sollte in der Stalluft nicht über 5 ppm betragen.
 

2. Latenz

Die Latenz zwischen Harnstoffaufnahme und Ausbruch der Symptome beträgt 30 Minuten bis höchstens 4 Stunden.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Unruhe, Inkoordination, Kopfpressen gegen feste Gegenstände, Hyperthermie
  
3.2Nervensystem
Hyperästhesie, Tremor, Zuckungen, Konvulsionen, Streckkrämpfe, Tetanie
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Speicheln
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Kolik
  
3.5Respirationstrakt
Dyspnoe, Atemlähmung
  
3.6Herz, Kreislauf
Tachykardie, Herzstillstand
  
3.7Bewegungsapparat
Streckkrämpfe gefolgt von Muskelschwäche
  
3.8Augen, Augenlider
Mydriasis
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Keine Symptome
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Es treten keine charakteristische Veränderungen auf.
 

5. Weiterführende Diagnostik

Harnstoffbestimmung in Futter oder Mageninhalt; Ammoniakbestimmung im Plasma (EDTA) mittels enzymkinetische Messung (Normalwerte unter 20 µg/ml): die Proben für eine Ammoniakanalyse müssen allerdings umgehend untersucht oder im gefrorenen Zustand (Plasma) aufbewahrt und verschickt werden.
 

6. Differentialdiagnosen

Indigestion, Nitrat/Nitrit-Vergiftung, Bleivergiftung.
 

7. Therapie

7.1Säurezusatz
-Um die Resorption von Ammoniak zu vermindern werden mindestens 4 Liter 5%iger Essigsäure per Nasenschlundsonde verabreicht.
 
7.2Kreislauf
-Flüssigkeit- und Elektrolytersatz.
 
7.3Azidose
-Ringerlaktat oder Bikarbonat.
 
7.4Krämpfe
-Diazepam oder Barbiturate verabreichen.
 
7.5Atmung
-Beatmung mit Sauerstoff.
 

8. Fallbeispiel

Acht Ponys (Körpergewicht: 125-136 kg) wurde je 450 g Harnstoff über Nasenschlundsonde verabreicht. Drei starben innerhalb von drei Stunden, weitere vier innerhalb von 12 Stunden. Ein Pony überlebte. Es traten folgende Symptome auf: Unruhe, Inkoordination, Pressen des Kopfes gegen feste Gegenstände, Festliegen, Streckkrämpfe. Vor der Harnstoffverabreichung lag der durchschnittliche Blutammoniakgehalt bei 1.8 mg/ml, dieser Wert stieg auf 28.8 mg/ml kurz vor dem Tod (Hintz et al., 1970).
 

9. Literatur

Hintz HF, Lowe JE, Clifford AJ & Visek WS (1970) Ammonia intoxication resulting from ingestion by ponies. J Am Vet Med Ass 157, 963-966
 
Humphreys DJ (1988) Veterinary Toxikology, Bailliere Tindall, London, pp 16-19
 
Lorgue G, Lechenet J & Rivière A (1987) Précis de Toxicologie Clinique Vétérinaire, Édition du Point Vétérinaire, Maisons-Alfort, pp 187-188
 
Gangolli S (1999) The Dictionary of Substances and their Effects, Second Edition. The Royal Society of Chemistry, Cambridge
 
Windholz M (1983) The Merck Index. Merck & Co, Rahway, New Jersey
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