2. Quellen
Die atypische Antipsychotika werden primär in der Humanmedizin eingesetzt, nur in Einzelfälle wurden sie zur Behandlung aggressiver Hunden verwendet.
3. Kinetik
Mangels an Informationen über Tiere basieren diese primär auf der Humanliteratur. Alle atypischen Antipsychotika werden oral gut resorbiert und haben generell eine hohe Proteinbindung und/oder ein grosses Verteilungsvolumen. Sie werden in unterschiedlichem Masse hepatisch metabolisiert. Alle atypischen Antipsychotika werden renal eliminiert, als unverändertes Medikament oder als Metabolit.
Risperidon, Hund, oral: schnelle und umfangreiche Resorption, Bioverfügbarkeit 80-100%, Plasmapeak der Muttersubstanz nach 80 Minuten, Plasmapeak des aktiven Metaboliten nach 18 Stunden; Proteinbindung der Muttersubstanz 92%, Proteinbindung des aktiven Metaboliten 80%.
4. Toxisches Prinzip
Der genaue Wirkmechanismus der atypischen Antipsychotika ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass sie als Antagonisten der Serotonin (5-HT
2)- und Dopamin (D
2)-Rezeptoren fungieren. Eine Ausnahme ist
Aripiprazol, das die Dopamin (D
2)- und Serotonin 5-HT
2(1A)-Rezeptoren nur partiell und die Serotonin 5-HT
2(2A)-Rezeptoren vollständig antagonisiert.
Viele der atypischen Antipsychotika weisen einen mehr oder weniger ausgeprägten Antagonismus an α1-Adrenozeptoren und Histamin(H
1)-Rezeptoren auf, was eine orthostatische Hypotonie oder Somnolenz verursachen kann.
Risperidon,
Quetiapin und
Paliperidon zeigen einen Antagonismus an den α2-Adrenozeptoren.
Quetiapin und
Olanzapin weisen einen Antagonismus an mACh-Rezeptoren auf und können anticholinerge Symptome verursachen.
5. Toxizität bei Labortieren
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte |
Aripiprazol | | 300-2000 |
Asenapin | | 110-178 |
Clozapin | | 251 |
Quetiapin | | 300-2000 |
Risperidon | 63.1-82.1 | 56.6-113 |
Paliperidon | | 65 |
II. Spezielle Toxikologie - Kleintier
1. Toxizität
Die toxischen Dosen sind bei Tieren
nicht gut etabliert.
- | Asenapin: LD50 bei Hunden oral > 200 mg (bei dieser Dosierung wurde keine Mortalität festgestellt). |
- | Quetiapin: Dekontamination bei Hunden: > 10 mg/kg Körpergewicht, oral; Katze: > 6 mg/kg Körpergewicht, oral. Katarakt-Bildung nach 4-facher Humandosis bei Beagles (keine Zeitangabe). |
- | Risperidon: die LD50 bei Hunden oral beträgt 14-24 mg/kg. Gemäss Studien sollten Tiere eine Gesamtdosis von mindestens 5 mg mit unterstützenden Massnahmen überleben. |
- | Ziprasidon: die LD50 bei Hunden oral beträgt 2000 mg/kg. |
- | Risikofaktoren sind Grunderkrankungen wie: Epilepsie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Trächtigkeit, Laktation oder signifikante Nierenfunktionsstörung (reduzierte Clearance). |
2. Latenz
Die Symptome treten i.d.R. nach 60 Minuten auf und dauern 12-24 Stunden an.
Schwere Fälle benötigen eine Überwachung auf der Intensivstation.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| ZNS-Depression mit Ataxie, Apathie, Lethargie, Desorientierung, Unruhe, Angst |
|
3.2 | Nervensystem |
| Tremor, Krampfanfälle |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Salivation, Vomitus |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Atmendepression |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Hypotonie, Tachykardie |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Keine Symptome |
|
3.9 | Harntrakt |
| Keine Symptome |
|
3.10 | Haut, Schleimhäute |
| Keine Symptome |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Keine Symptome |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefunde
Keine spezifischen Befunde.
5. Weiterführende Untersuchungen
- | Elektrolyte: Hyponatriämie, Hypokaliämie |
- | Blutdruck |
- | EKG |
6. Differentialdiagnose
- | Intoxikationen mit ZNS-Depressiva wie Barbiturate, Benzodiazepine, Cannabis, Phenothiazin (Neuroleprikum). |
- | Intoxikationen mit Herz-Kreislauf-Medikamenten wie ACE-Hemmer, Betablocker, Calciumkanalblocker. |
7. Therapie
7.2 | Dekontamination und Elimination |
- | Erbrechen auslösen: innerhalb von 30-60 Minuten nach Einnahme, sofern der Patient asymptomatisch ist und einen guten Schluckreflex aufweist. |
| Hinweis: Risperidon und Olanzapin können die Wirksamkeit von Dopamin-Agonisten wie Ropinirol und Apomorphin verringern! |
- | Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml), innerhalb von 60 Minuten nach Einnahme, kann bei Retardformulierungen wiederholt verabreicht werden, im Abstand von 8 Stunden für maximal 48 Stunden. |
- | Bei schweren Fällen kann eine intravenöse Lipidemulsion (ILE) in Betracht gezogen werden, da zumindest einige der atypischen Antipsychotika fettlöslich sind: Lipidinfusion: Katze: Bolus von 1.5 ml/kg Körpergewicht i.v., dann 0.25 ml/kg Körpergewicht/Minute während 30 Minuten. Hund: Bolus von 2 ml/kg Körpergewicht i.v., dann 0.5 ml/kg Körpergewicht/Minute während 30 Minuten. Die Therapie kann bei ungenügendem Effekt nach 4-6 Stunden, wenn die Lipämie abgeklungen ist, wiederholt werden. Bei mdr1-defizienten Hunden kann die Wirksamkeit verlangsamt sein, da die intestinale Elimination der Avermectine durch P-Glykoproteine vermittelt wird. |
- | Bei Arzneimitteln mit hoher Proteinbindung kann eine therapeutische Plasmapherese von Nutzen sein, wenn die klinischen Symptome schwerwiegend sind. |
- | Die forcierte Diurese der Hämodialyse bringen wegen der hohen Proteinbindung und/oder des grossen Verteilungsvolumens keinen Vorteil. |
7.3 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Bei wiederholter Kohlegabe: Dehydratation ausgleichen und Überwachung auf Hypernatriämie. |
- | Flüssigkeitsgabe zur Verbesserung der Nierendurchblutung und Korrektur der Hypotonie. |
- | Vasopressoren: erst nach genügender Rehydratation und wenn die Hypotonie auf die intravenöse Flüssigkeitszufuhr nicht anspricht, mit Norepinephrin (Noradrenalin) 0.05-0.3 µg/kg/min., intravenös, konstante Infusionsrate oder Phenylephrin 1-3 µg/kg/min., intravenös, konstante Infusionsrate. |
8. Erwarteter Verlauf und Prognose
Bei frühzeitiger Behandlung ist die Prognose sehr gut.
9. Fallbeispiel
Eine 3-monatige Jack Russell Terrier Hündin (*11.08.24), 3.3 kg hatte 10 mg Zyprexa (Olanzapin) gefressen. Sie zeigte 60 Minuten nach der Einnahme nur leichte Somnolenz und leicht erhöhten Puls, die Kapillarfüllungszeit (KFZ) und die Atmung waren normal. Sie wurde mit Flüssigkeit s.c. und einem Probiotikum behandelt. Ausser der leichten Somnolenz und Durchfall während einem Tag, traten keine weiteren Symptome auf (Tierklinik Au AG, Bütschwil, 19.11.2024).
10. Literatur
Hovda LR, Brutlag AG, Poppenga RH & Epstein SE (2024) Blackwell's five-minute veterinary consult clinical companion: small animal toxicology, 3rd edition. Wiley Blackwell, pp. 124-128
Kendrick J., Stow R., Ibbotson N., Adjin-Tettey G., Murphy B., Bailey G., Miller J., Helleberg H., Finderup Grove M., Ovlisen K. & Hansen J.J. (2020) A novel welfare and scientific approach to conducting dog metabolism studies allowing dogs to be pair housed. Lab Anim. 54(6), 588-598
O'Neil M.J. (2001) The Merck index - An encyclopedia of chemicals, drugs, and biologicals. 13th Edition, Merck and Co., Whitehouse Station, p. 1478
Paliperidon (2019) https://www.blogs.uni-mainz.de/fb09-pharmazie/files/2019/01/Paliperidon_korr.pdf (erfasst am 9.9.2024)
Shahzad S., Suleman M.I., Shahab H., Mazour I., Kaur A., Rudzinskiy P. & Lippmann S. (2002) Cataract occurrence with antipsychotic drugs. Psychosomatics 43(5), 354-359
Sicherheitsdatenblatt Asenapin (2020) https://www.organon.com/docs/product/safety-data-sheets/Asenapine Formulation_HH_SG_6N.pdf (erfasst am 9.9.2024)
Sicherheitsdatenblatt Aripiprazol (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600062_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1542511331 (erfasst am 9.9.2024)
Sicherheitsdatenblatt Clozapin (2022) https://www.agilent.com/cs/library/msds/5190-0566_EUGerman.pdf (erfasst am 9.9.2024)
Sicherheitsdatenblatt Quetiapin (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600780_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1681297332 (erfasst am 9.9.2024)