mdi-book-open-variant Impressum mdi-help Hilfe / Anleitung mdi-printer Webseite ausdrucken mdi-bookmark Bookmark der Webseite speichern mdi-magnify Suche & Index Toxikologie mdi-sitemap Sitemap CliniPharm/CliniTox-Webserver mdi-home Startseite CliniPharm/CliniTox-Webserver mdi-email Beratungsdienst: Email / Post / Fax / Telefon

Erdölderivate

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Erdöl besteht aus einem komplizierten Gemisch von Kohlenwasserstoffen. Alle Verbindungen zeichnen sich durch eine hohe Lipidlöslichkeit aus. Die verschiedenen Kohlenwasserstoffe unterscheiden sich durch Molekulargrösse, Viskosität sowie Volatilität oder Oberflächenspannung. Ferner können die Bestandteile verschieden halogeniert sein.
Die in Mottenkugeln enthaltenen Wirkstoffe (Napthalin, Paradichlorbenzol) liegen in Form eines weissen kristallinen Pulvers vor.
 

2. Quellen

Erdölderivate werden als Brennstoffe (Propan, Benzin, Kerosin, Dieselöl, Heizöl, Lampenöl, Petroleum), Gleitmittel (zum Beispiel Motorenöl, Paraffinöl) oder Lösungsmittel (Pinselreiniger, Farbenverdünner, Entfetter, Fleckenentferner) verwendet.
Daneben sind Erdölderivate in Insektizidpräparaten, Mottenkugeln, Lacken, Desinfektionsmitteln, Parfums, Reinigungsmitteln, Kühlmitteln und Klebstoffen enthalten.
Nitroverdünner besteht aus aromatischen Nitroverbindungen (zum Beispiel Nitrobenzaldehyd, Nitrobenzol) und anderen organischen Lösungsmitteln.
 

3. Kinetik

Die enterale und perkutane Resorption hängt stark von der Molekulargrösse der Substanz ab, weshalb es nicht immer zu Intoxikationssymptomen kommen muss. Napthalin und Paradichlorbenzol werden enteral teilweise resorbiert. Langkettige Kohlenwasserstoffe (zum Beispiel Motorenöl) werden schlecht bis gar nicht resorbiert. Die kurzkettigen, weniger viskösen Verbindungen (zum Beispiel Benzin) werden hingegen schnell und vollständig resorbiert.
Auch die inhalatorische Resorption der flüchtigen Verbindungen ist sehr gut, so dass bei Aufnahme über die Lunge ebenfalls Vergiftungsfälle auftreten können. Bei gleicher Molekülgrösse werden aromatische Verbindungen besser resorbiert als aliphatische Kohlenwasserstoffe.
Nach Übergang ins Plasma durchdringen die Substanzen leicht die Blut-Hirn-Schranke. Sie werden im Fettgewebe angereichert.
Der Abbau im Organismus geschieht hauptsächlich mittels Oxidation. Die Metaboliten werden glukuoronidiert, sulfatiert oder mit Glycin konjugiert, bevor sie über die Niere ausgeschieden werden. Flüchtige Verbindungen werden auch über die Lungen ausgeschieden. Die Elimination der kurzkettigen Verbindungen ist nach 24 Stunden weitgehend abgeschlossen. Xylol wird als Methyl-Hippursäure renal ausgeschieden.
 

4. Toxisches Prinzip

Auf Grund der grossen Substanzvariabilität sind vielfältige Wirkungen zu beobachten.
An der Kontaktstelle verursachen die Präparate eine direkte Schädigung der Haut, Schleimhaut und Augen. Es entsteht eine lokale Entzündung bis hin zu Erosionen und Ulcerationen der Oberfläche. Auf zellulärer Ebene wird die lokale Toxizität durch Auflösung der Lipidmembranen ausgelöst.
Nach inhalatorischer Aufnahme kurzkettiger, flüchtiger Kohlenwasserstoffe kann sich die Schädigung entlang des Respirationstraktes fortsetzen und das Lungenparenchym angreifen. Wenige Tropfen Leichtbenzin können bereits zu schwersten Lungenveränderungen (Lungenödem, -emphysem und Aspirationspneumonie) führen.
Die resorbierten Verbindungen wirken meist depressiv auf das ZNS. Die narkotische Wirkung ist besonders bei halogenierten Kohlenwasserstoffen ausgeprägt. Daneben erhöhen sie die Ansprechbarkeit des Myokards gegenüber Katecholaminen, was zu Arrhythmien und Herzstillstand führt. Paradichlorbenzol (ein Wirkstoff in Mottenkugeln) depolarisiert hingegen die Nervenzellen, und induziert so eine Übererregbarkeit (vergleichbar mit Organochlorinsektiziden).
Im Zuge der Biotransformation der Substanzen im Organismus entstehen Radikale oder Epoxide, die durch Reaktion mit Makromolekülen (Membranlipiden, Proteinen, Nukleinsäuren) zu Zellnekrosen führen. Eine Schädigung der DNA kann die Entstehung von Karzinomen induzieren.
Die Nitroverbindungen der Erdölderivate führen zu Methämoglobinämie (siehe die Nitrat-/Nitrit-Vergiftung).
 

5. Toxizität bei Labortieren

Produkte mit hohem Siedepunkt wie Asphalt, Paraffinöl oder Wachse sind relativ untoxisch. Flüchtige Kohlenwasserstoffe werden hingegen gut resorbiert und sind daher von grösserer Bedeutung.
 

Akute, orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatteKaninchenHuhn
Aceton3'0005'8005'340 
Acetophenon 815  
Benzol (= Benzen, Naphtha)4'7003'400  
1-Butanol2'6804'3604'250 
2-Butanol6'480   
1-Chlornaphthalin1'0901'540  
2-Chlornaphthalin8862'080  
Chloroform (= Trichlormethan) 1'000  
Cyclohexan813 > 5'500 
Cyclohexanol 2'060-2'200  
Cyclohexanon1'5351'400  
Cyclopenten 1'660  
1,2-Dichlorbenzol 500500 
1,4-Dichlorbenzol (= Paradichlor-benzol)2'950500  
1,1-Dichlorethan 725  
1,2-Dichlorethan 500-970  
1,1-Dichlorethylen2001'500  
Dichlormethan 2'100  
1,1-Dichlorpropan 6'500  
1,2-Dichlorpropan 2'196  
1,3-Dichlor-2-propanol100110  
Diethylether 1'213  
Dimethylformamid3'7502'800  
Ethylacetat 11.32 
Ethylbenzol (= Phenylethan) 5'460  
2-Ethyl-1-butanol 1'8501'200 
Heptan >15000  
n-Hexan 28'710  
Isobutanol 2'460  
3-Methyl-1-butanol 1'3004'250 
Methylcyclohexan2'250 4'000 
Methylcyclohexanol 1'6602'000 
Methylcyclohexanon 2'140  
Naphthalin533490  
Nitrobenzol 590-750  
4-Nitrobenzolsäure 1'960  
Nitroethan8601'100  
Nitromethan 940  
1-Nitronaphthalin 120  
2-Nitronaphthalin 2'7004'400 
1-Nitropropan800460  
2-Nitropropan 720500 
2-Propanol (= Isopropanol, Isopropylalkohol)3'6005'045  
Styrol (= Styren)3165'000  
Styroloxid (= Styrenoxid)1'5002'000  
Tetrachloraceton 1'2001'500 
1,2,3,5-Tetrachlorbenzol 1'700-2'300  
1,2,4,5-Tetrachlorbenzol1'0001'5003'100 
Tetrachlorethan 320  
Tetrachlorethylen8'1002'629  
Tetrachlorkohlenstoff (= Tetrachlormethan)8'2632'3505'760 
Toluol (= Toluol, Methylbenzol) 5'000-7'530  
1,2,4-Trichlorbenzol300750  
1,3,5-Trichlorbenzol350800  
1,1,1-Trichlorethan9'70011'00010'500 
1.1,2-Trichlorethan 836  
Trichlorethylen (= Trichlorethen)2'4027'200  
Trinitrotoluol    
Xylol (= Xylen) 3'600-5'800  
 
Auswahl einiger MAK-Werte: Butanol, 300 mg/m3; Chloroform, 50 mg/m3; Ethylbenzol, 440 mg/m3; n-Hexan, 180 mg/m3; Isopropanol, 980 mg/m3; Stryol 85 mg/m3; Tetrachlorethan, 345 mg/m3; Tetrachlrokohlenstoff, 65 mg/m3; Toluol, 190 mg/m3; Trichlorethylen, 270 mg/m3
 

II. Spezielle Toxikologie - Wiederkäuer

1. Toxizität

Viele Vertreter dieser Substanzgruppe werden wegen des abstossenden Geruches und Geschmackes kaum aufgenommen, manchmal werden sie aber wegen der in ihnen enthaltenen Zusätze von Wiederkäuern geradezu gierig verzehrt. Dies gilt zum Beispiel für Beimengungen von Blei (Motorenöl). Folgende Angaben zur Toxizität sind in der Literatur auffindbar:
-Benzin: 1`000 ppm in der Atemluft führt zu rauschartigen Zuständen; die Toxizität von Benzin und anderen flüchtigen Gemischen ist stark abhängig von der Menge, die in die Bronchien gelangt.
-Dieselöl: 13 ml/kg p.o. sind toxisch, 21 ml/kg p.o. letal
-Kerosen: 200 ml/Tier/Tag p.o. führen lediglich zu Inappetenz nach 3-4 Tagen, 20 ml/kg p.o. sind toxisch.
-Heizöl: 0.5-1.0 Liter/Tier p.o. sind wenig toxisch.
-Motorenöl: Ein Rind kann 2-3 Liter p.o. ertragen.
-Petroleum: Dermale Applikation von mehr als 50 ml sind toxisch; 0.5-1.0 Liter/Tier p.o. sind toxisch bis letal.
-Rohöl: 17 ml/kg p.o. sind toxisch, 34 ml/kg p.o. sind letal.
 

2. Latenz

Möglich sind sowohl akute wie chronische Vergiftungen. Substanzen, bei deren Abbau Radikale oder Epoxide entstehen, führen zu einer biphasischen Symptomatik: die narkotische Wirkung beginnt innerhalb von wenigen Minuten, während die Leber- und Nierenschädigung erst nach längerer Zeit auftritt.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Inappetenz, Anorexie, Depression, Inkoordination, narkoseähnlicher Zustand, Koma, Abmagerung bei chronischer Intoxikation; Fieber und Todesfälle wegen Aspirationspneumonien
  
3.2Nervensystem
Tremor, Krämpfe, Konvulsionen
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Salivation, Regurgitation von Öl kann vorkommen
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Kot nach Öl riechend, Pansenatonie
  
3.5Respirationstrakt
Husten, Dyspnoe, Atemgeräusche, Atemluft nach Öl riechend, Atemdepression
  
3.6Herz, Kreislauf
Tachykardie, Arrhythmie, Kreislaufkollaps
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Nystagmus, Konjunktivitis, Lakrimation, Mydriasis im Endstadium
  
3.9Harntrakt
Hämaturie
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Bei äusserlichem Kontakt Dermatitis, Schaf: Wollausfall
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefund

Schleimhauterosionen und -ulcera, Bronchitis, Bronchopneumonie, Lungenemphysem, zentrolobuläre Lebernekrose, degenerative Nierenveränderungen.
 

5. Weiterführende Diagnostik

Nachweis der Substanzen in Panseninhalt mittels chromatographischen Methoden; Einfacher Test: Magen-Darm-Inhalt mit warmen Wasser vermischen, Erdölderivate bilden einen Film auf der Oberfläche.
 

6. Differentialdiagnosen

Infektionskrankheiten, Pneumonien anderer Ursache, Bleivergiftung, Kochsalzvergiftung, Hypomagnesiämie.
 

7. Therapie

Das primäre Behandlungsziel ist die Verhinderung einer Aspirationspneumonie. Oft genügt es, den Patienten in ruhiger Umgebung zu beobachten. Heu und frisches Wasser anbieten.
 
7.1Notfalltherapie
-Krämpfe: Xylazin oder Diazepam
 
7.2Dekontamination
-Waschen von Fell und Haut mit warmem Wasser und mildem Detergens; stark klebende Stoffe können durch wechselweises Waschen mit Speiseöl und Detergens entfernt werden, falls notwendig Scheren.
-Langes und sorgfältiges Waschen der Augen mit lauwarmem Wasser.
-Wiederholt Aktivkohle, bei Verstopfung in Kombination mit Glaubersalz.
-Entleerung des Pansens mittels Rumenotomie.
 
7.3Weitere symptomatische Massnahmen
-Antibiotische Versorgung: Prophylaxe einer bakteriellen Infektion nach Aspiration und der Schleimhautverätzungen mit Antibiotika, der Einsatz von Glucocorticoiden ist umstritten.
 
7.4Kontraindizierte Mittel
Milch oder pflanzliche Öle können die orale Resorption steigern und sollen deshalb nicht verabreicht werden.
 

8. Fallbeispiele

8.1Vier Kälber haben zusammen 5-6 Liter Motorenöl aufgenommen. Später haben diese Tiere Milch gesoffen. Eine Stunde darauf zeigten die Kälber Salivation, Dyspnoe, zyanotische Schleimhäute, sowie schwarzen Kot und Durchfall. Zwei Kälber verendeten, die anderen wurden mit Infusionen, Sulfonamid, Cortisol, Butylscopolamin und Vitaminen behandelt. Beurteilung: Die Resorption der Giftstoffe wurde vermutlich durch die Milchaufnahme gesteigert (Tox Info Suisse).
  
8.2In einem anderen Fall wurde von zwei Kühen eine unbestimmte Menge Altöl aufgenommen. Diese beiden Tiere zeigten ausser schwarz gefärbtem Kot keine Symptome (Tox Info Suisse).
  
8.3Ein weibliches Schaf zeigte Inappetenz, Apathie, Schwäche, Gewichtsverlust und Dyspnoe. Bei der Auskultation waren Bronchialatmen und verschärftes Vesikuläratmen zu hören. Die rektale Temperatur und der Puls waren leichtgradig erhöht. Der Kot war weich und roch nach Öl, wie auch die Atemluft, der Harn und entnommenes venöses Blut diesen Geruch aufwiesen. Auf der Weide wurden dann auch Reste von Dieselöl gefunden. In den ersten Tagen wurde das Schaf mit je 120 ml Olivenöl p.o. behandelt, der Zustand des Tieres veränderte sich kaum. Nach 10 Tagen war das Schaf ausgezehrt und es wurde eine Rumenotomie vorgenommen. Der Panseninhalt roch stark nach Dieselöl, obwohl von Auge kein Öl erkennbar war. Der Zustand des Schafes verbesserte sich daraufhin schlagartig und es erholte sich vollständig (Ranger, 1976). Beurteilung: Der therapeutische Nutzen des Pflanzenöls ist zweifelhaft.
 

9. Literatur

Barber DML, Cousin DAH & Seawright D (1987) An episode of kerosene poisoning in dairy heifers. Vet Rec 120, 462-462
 
Coppock RW, Mostrom MS, Khan AA & Semalulu SS (1995) Toxicology of oil field pollutants in cattel: a review. Vet Hum Toxicol 37, 569-576
 
Coppock RW, Mostrom MS, Stair EL & Semalulu SS (1996) Toxicopathology of oilfield poisoning in cattel: a review. Vet Hum Toxicol 38, 36-42
 
Edwards WC, Coppock RW & Zinn LL (1979) Toxicoses related to the petroleum industry. Vet Hum Toxicol 21, 328-337
 
Edwards WC & Gregory DG (1991) Livestock poisoing from oil field drilling fluids, muds and additives. Vet Hum Toxicol 33, 502-504
 
Edwards WC & Zinn LL (1979) Diagnosis of petroleum hydrocarbon poisoning in cattle. Vet Med 74, 1516-1518
 
Gardner DL (1977) Toxicity of waste petroleum products in cattle. Vet Med 72, 1874-1876
 
Khan AA, Coppock RW, Schuler MM, Florence LZ, Lillie LE & Mostrom MS (1995) Biochemical effects of Pembina Cardium Crude Oil exposure in cattle. Archives of Environmental Contamination and Toxicology 30, 349-355
 
Lorgue G, Lechenet J & Rivière A (1996) Hydrocarbons. In: Clinical Veterinary Toxicology (Chapman MJ ed) Blackwell Science Ltd Oxford, pp 117-118
 
Meadows DL & Waltner-Toews D (1979) Toxicosis in dairy cattle: Was it crude-oil poisoning? Vet Med 74, 545-546
 
Messerli W (1969) Poisoning by diesel oil in a herd of cattle. Schweiz Archiv Tierhkeilkunde 111, 642-644
 
Moore ED, Dowlen HH, Owen JR & Richardson DO (1976) Bovine hyperkeratosis of the skin from oil carriers and an insecticide on backrubbers. J Dairy Sci 59 24
 
Plumlee KH (1996) Industrial toxicants. In: Large Animal Internal Medicine (Smith BP ed) Mosby-Year Book, St. Louis, p 1913
 
Radostits OM, Blood DC, Gay CC & Hinchcliff KW (1999) Oil and petroleum product poisoning. In: Veterinary Medicine (Radostits OM, Blood DC, Gay CC & Hinchcliff KW eds) Saunders Company London, pp.1628-1629
 
Ranger FS (1976) A case of diesel oil poisoning in a ewe. Vet Rec 99 508-509
 
Rowe LD, Dollahite JW & Camp BJ (1973) Toxicity of Two Crude Oils and of Kerosine to Cattle. J Am Vet Med Ass 162, 61-66
 
Winkler JK & Gibbons WJ (1973) Petroleum poisoning in cattle. Mod Vet Pract 54, 45-46
© 2024 - Institut für Veterinärpharmakologie und ‑toxikologie

Es kann keinerlei Haftung für Ansprüche übernommen werden, die aus dieser Webseite erwachsen könnten.