2. Quellen
Phenoxycarbonsäuren werden als Herbizide verwendet und zeichnen sich durch eine ausgesprochen geringe Säugetiertoxizität aus. Tiervergiftungen können nur nach Einnahme grosser Mengen dieser Substanzen als Folge unvorsichtiger Lagerung oder fahrlässiger Handhabung auftreten.
3. Kinetik
Phenoxycarbonsäurederivate werden enteral schnell resorbiert. Von Bedeutung ist aber auch die Resorption über die Haut. Es findet eine starke Plasmaproteinbindung statt, ohne dass es zur Anreicherung der Substanz im Organismus kommt.
Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich über den Harn und nur zu einem sehr kleinen Teil über Kot oder Milch. Drei Tage nach oraler Aufnahme sind 90% des Wirkstoffes, überwiegend in unveränderter Form, wieder ausgeschieden.
4. Toxisches Prinzip
Bei Vergiftungen mit Phenoxycarbonsäure-Herbiziden steht deren schleimhautreizende Wirkung im Vordergrund, weswegen sich die Vergiftung mit Anorexie und weiteren gastrointestinalen Symptomen äussert. Die Verbindungen sind auch stark augenreizend.
In hohen Dosen wirken die Phenoxycarbonsäurederivate depressiv auf das ZNS ("narkoseähnliche" Wirkung).
Bei den mit Phenoxycarbonsäure-Herbiziden behandelten Pflanzen kann es darüber hinausgehend zur Anreicherung von Nitrat in der Futterpflanze und somit sekundär zu Nitratvergiftungen kommen.
Über die toxische Wirkung der Substanz hinausgehend enthalten einige Präparate toxische Lösungsmittel, die Vergiftungen verursachen können, zum Beispiel Dichlorphenol.
Bei der chemischen Synthese der Phenoxycarbonsäure-Herbizide entsteht als Verunreinigung eine äusserst gefährliche Substanz, nämlich 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin (TCDD). Während des Vietnam-Krieges wurden zwischen 1962 und 1970 50'000 Tonnen "Agent Orange" zum Entlauben der Bäume versprüht. Dieses Mittel bestand aus verschiedenen Phenoxycarbonsäuren und war so stark mit TCDD verunreinigt, dass die Bevölkerung in Südvietnam noch Jahrzehnte später erhöhte Dioxinkonzentrationen in Blut und Gewebe aufweist.
5. Toxizität bei Labortieren
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
2,4-D (= 2,4-Dichlorphenoxy-essigsäure) | 347 | 375-1'200 | | |
Dicamba | 1'190 | 1'040-2'900 | 2'000 | |
2,4-DB (= 4-(2,4-Dichlorphenoxy)-buttersäure) | 400 | 370-1'500 | | 541 |
Dichlorprop | | 450-800 | | |
Diclofopmethyl | | 557-580 | | |
Fenoprop | | 500-1'000 | | |
Fenoxaprop | 4'670-5'490 | 2'357-2'500 | | |
Fluazifopbutyl | 1'490-1'770 | 3'328 | 621 | |
Flurenol | > 5'000 | > 5'000 | | |
Flurprimidol | 602-702 | 709-914 | | |
Flutolanil | > 10'000 | > 10'000 | | |
Fluvalinat | | > 3'000 | | |
Fomesan | | 1'250-2'000 | | |
Haloxyfop | | 518-531 | | |
2,4-MCPA (= 4-Chlor-2-methyl-phenoxy-essigsäure) | 440-550 | 700 | | |
2,4-MCPB (= 4-(4-Chlor-2-methyl-phenoxy)-buttersäure) | 700 | 680 | | |
Mecoprop (MCPP) | 369 | 580-1'490 | | |
2,4,5-T (= 2,4,5-Trichlorophenoxy-essigsäure) | 240-380 | 300-500 | | 310 |
2,3,6-TBA (= 2,3,6-Trichlor-benzoesäure) | 1'000 | 750-1'500 | | |
II. Spezielle Toxikologie - Wiederkäuer
1. Toxizität
Ernsthafte Vergiftungen bei Nutztieren sind durch die Aufnahme von besprühtem Gras nicht möglich. Nur durch die direkte Aufnahme grösserer Mengen der Konzentrate oder Spritzlösungen kann es zu Vergiftungserscheinungen kommen. Einzelne Toxizitätsdaten sind wie folgt angegeben:
1.1 | 2,4-D |
Kalb: | Die minimale letale Dosis beträgt 200 mg/kg Körpergewicht p.o. |
Rind: | Die minimale toxische Dosis beträgt 300 mg/kg. |
Schaf: | Die minimale toxische Dosis beträgt 250 mg/kg p.o. während 2-10 Tagen. |
|
1.2 | Dicamba |
Rind, Schaf: | Die minimale letale Dosis beträgt 500 mg/kg/Tag p.o. |
|
1.3 | MCPA |
|
Rind: | Die minimale toxische Dosis beträgt 50 mg/kg p.o. während 8 Tagen. |
Schaf: | Die minimale toxische Dosis beträgt 250 mg/kg p.o. während 6 Tagen. |
|
1.4 | MCPB |
Rind: | Die minimale toxische Dosis beträgt 500 mg/kg p.o. während 8 Tagen. |
Schaf: | Die minimale toxische Dosis beträgt 250 mg/kg p.o. während 6 Tagen. |
|
1.5 | 2,4,5-T |
Rind, Schaf: | Die minimal toxische Dosis beträgt 250 mg/kg p.o. während 4 Tagen. |
2. Latenz
Die Latenzzeit beträgt in der Regel einige Stunden, die Gefahr einer chronischen Vergiftungen ist auf Grund der raschen Ausscheidungskinetik gering.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Teilnahmslosigkeit, Fress- und Saufunlust, trockenes Flotzmaul, Schwäche, Ataxie, Lethargie, Koma, Exitus ohne Todeskampf nach 2-3 Tagen |
|
3.2 | Nervensystem |
| Tremor, Nachhandschwäche |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Salivation |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Durchfall, verminderte Vormagentätigkeit, Tympanie, Kolik |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Keine Symptome |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Selten Kammerflimmern und Kreislaufversagen (Tachyarrhythmie) |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Keine Symptome |
|
3.9 | Harntrakt |
| Proteinurie |
|
3.10 | Fell, Haut, Schleimhäute |
| Keine Symptome |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Keine Symptome |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefunde
Panseninhalt trocken, geruchslos, kaum zerkleinert; Entzündungen, Nekrosen und Ulcerationen im Gastrointestinaltrakt; Nierendegeneration, Leber leicht geschwollen mit feinen nekrotischen Herden, petechiale Blutungen am Herz.
5. Weiterführende Diagnostik
Die Wirkstoffe sind im Futter und Panseninhalt nachweisbar, wie auch in Urin und Plasma.
6. Differentialdiagnosen
Weidetetanie, Enteritiden anderer Ursache , Nitrat- oder Nitritvergiftung.
7. Therapie
- | Kreislauf: Dehydratation ausgleichen, Elektrolytsubstitution. |
7.3 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Um eine bakterielle Infektion der Schleimhautläsionen zu verhindern systemisch Antibiotika verabreichen. |
- | Analgetika und Kolikbehandlung: Bei starken Schmerzen Verabreichung eines Analgetikums (Metamizol, Flunixin). |
8. Fallbeispiele
8.1 | Vier adulte Schafe haben Gras gefressen, das erst kürzlich mit Herbizid (Wirkstoff: MCPB) behandelt wurde. Sie zeigten daraufhin Anorexie. Behandelt wurden sie mit Aktivkohle, Cortison und Penicillin. Alle Tiere erholten sich rasch (Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum). |
|
8.2 | Holstein-Stieren mit einem Gewicht von 320-430 kg wurde 2,4-D in verschiedenen Dosierungen verabreicht. Nach der Behandlung mit 100 mg/kg Körpergewicht waren keine Symptome zu beobachten. Tiere, die 300 mg/kg erhalten hatten, zeigten Schwäche, vor allem in der Nachhand, und herabgesetzte Pansenmotorik. Bei einer Dosierung von 600 mg/kg zeigten die Tiere Apathie, Lethargie, Ataxie, Hypersalivation und Kolik. Die Pansenmotorik war herabgesetzt und einige Tiere wiesen eine Proteinurie auf. Die meisten Symptome verschwanden nach 12 Stunden, die Vormagentätigkeit war insgesamt über 48 Stunden vermindert. Eine Woche nach der Exposition konnten keinerlei Abnormitäten mehr festgestellt werden (Paulino et al., 1994). |
9. Literatur
Arnold EK & Beasley VR (1988) The pharmacokinetics of chlorinated phenoxy acid herbicides: a literature review. Vet Human Toxicol 31, 121-125
Buck WB (1978) Clinical toxicosis induced by pesticides in livestock. Vet Med 73, 810-819
Clark DE & Palmer JS (1971) Residual aspects of 2,4,5-T and an ester in sheep and cattle with observations on concominant effects. J Agr Food Chem 19, 761-764
Clark DE, Palmer JS, Radeleff RD, Crookshank HR & Farr FM (1975) Residues of chlorphenoxy acid herbicides and their phenolic metabolites in tissues of sheep and cattle. J Agr Food Chem 23, 573-578
Bukowska B, Reszka E & Duda W (1998) Influence of phenoxyherbicides and their metabolites on the form of oxy- and deoxyhemoglobin of vertebrates. Biochem Mol Biol Int 45, 47-59
Kelley M & Vessey DA (1986) Interaction of 2,4-dichorophenoxyacetate (2,4-D) and 2,4,5-trichlorophenoxyacetate (2,4,5-T) with the acyl-CoA:amino acid N-acyltransferase enzymes of bovine liver mitochondria. Biochem Pharmacol 35, 289-295
Lorgue G, Lechenet J & Rivière A (1996) Clinical Veterinary Toxicology, Blackwell, London, pp 153-154
Orberg J (1980) Observations on the 2,4-dichlorophenoxyacetic acid (2,4-D) excretion in the goat. Acta Pharmacol Toxicol 46, 78-80
Orberg J (1980) Effects of low protein consumption on the renal clearance of 2,4-dichlorophenoxyacetic acide (2,4-D) in goats. Acta Pharmacol Toxicol 46, 138-140
Paulino CA, Oliveira GH & Palermo-Neto J (1994) Acute 2,4-dichlorophenoxyacetic acid intoxication in cattle. Vet Hum Toxicol 36, 433-436
Paulino CA & Palermo-Neto J (1995) Effects of acute 2,4-dichlorophenoxyacetic acid on cattle serum components and enzyme acitivities. Vet Hum Toxicol 37, 329-332
Radostits OM, Gay CC, Blood DC & Hinchcliff KW (1999) Herbicides. In: Veterinary Medicine (Radostits OM, Gay CC, Blood DC & Hinchcliff KW eds) Saunders Company London, pp 1618-1619
Smith EA & Oehme FW (1991) A rewiew of selected herbicides and their toxicity. Vet Human Toxicol 33, 596-616