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Cyanamid

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Cynamid (CH2N2; Synonym: Cyansäureamid, Carbamidsäurenitril, Carbimid) ist kristallin, farblos und gut wasserlöslich.
 

2. Quellen

Herbizid (Alzodef). Als Alzogur auf dem Stallboden und in der Gülle: Wachstumshemmer von Bakterien; Vernichtung von Eiern und Larven der Stallfliege und Verringerung der Freisetzung von Schadgasen aus der Gülle.
 

3. Kinetik

Orale und inhalative Resorption. Bei Probanden: 0.1, 0.3, 0.6 und 1 mg/kg i.v.: Halbwertszeit von 42-52 Minuten, totale Plasmaclearance 14.4-20.5 ml/kg. Orale Verabreichung von 1-1.5 mg/kg: Halbwertszeit von 75 und 61 Minuten, orale Bioverfügbarkeit 53% und 70%.
Hund: 1, 2 und 4 mg/kg i.v.: Halbwertszeit 39 bis 61 Minuten, Bioverfügbarkeit 65%.
 

4. Toxisches Prinzip

Vasomotorische Reaktion nach Cyanamid-Aufnahme (oral oder inhalativ) in Verbindung mit Alkohol, zusätzlich Inhibitor der Alkoholdehydrogenase, deshalb kein Alkoholgenuss vor, während und nach der Arbeit. Reizwirkung auf Haut und Augen, nach Kontakt mit viel Wasser spülen.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Die akute orale LD50 von Cynamid liegt für die Ratte bei 125-300 mg/kg Körpergewicht.
 

6. Umwelttoxikologie

Keine Rückstandsprobleme in der Pflanze und im Boden. Bienengefährlich und Fischgiftig.
 

II. Spezielle Toxikologie - Schwein

1. Toxizität

Da Cyanamid einen leicht salzigen Geschmack hat, wird es gern von Böden und Wänden aufgeleckt. Auch eine perkutane Aufnahme ist möglich.
Bei Läuferschweinen ist ab einer Aufnahme von 25 mg Cyanamid/kg Körpergewicht p.o. mit Vergiftungsfällen zu rechnen. Die einmalige Aufnahme von 200 mg Cyanamid/kg Körpergewicht ist tödlich.
 

2. Latenz

Dosisabhängig. Meist eine bis mehrere Stunden.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Apathie, Festliegen, Hyperthermie, Tod, Ataxie
  
3.2Nervensystem
Muskeltremor, Parese der Hinterextremitäten (hundesitzige Haltung) übergehend in Festliegen
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Erbrechen, Zähneknirschen
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Auffälliger gelbgrüner Durchfall
  
3.5Respirationstrakt
Dyspnoe, Tachypnoe
  
3.6Herz, Kreislauf
Keine Symptome
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Haut, Schleimhäute
Ikterische Schleimhäute, Gelbverfärbung der Haut
  
3.11Blut, Blutbildung
Ikterus
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Typische Sektionsbefunde sind ein generalisierter, leichtgradiger Ikterus, eine geschwollene, blassgelbe Leber mit vermehrter Läppchenzeichnung, deren Konsistenz leicht brüchig ist, und blasse Nieren.
Bei der histopathologischen Untersuchung der Leber fallen eine Einzelzelldegeneration mit Verfettung der Leberzellen und eine zentrolobuläre Leberzellnekrose und -nekrobiose auf.
 

5. Weiterführende Untersuchungen

5.1Blutuntersuchung
Massiv erhöhte Billirubin- und Leberenzymwerte (Aspart-Aminotransferase/AST, Alanin-Aminotransferase/ALT, alkalische Phosphatase/AP) im Akutstadium der Vergiftung. Bei überlebenden Tieren sind die obengenannten Werte bereits nach drei Tagen wieder im Referenzbereich.
 
5.2Lokalisation der Giftquelle
Wegen der dunkelblauen Einfärbung des üblichen Handelpräparates ist die Giftquelle häufig schnell gefunden.
 

6. Differentialdiagnosen

6.1Neurologische Symptomatik mit gestörtem Allgemeinbefinden
Meningitis, Sepsis; Infektionskrankheiten wie Ödemkrankheit, Glässer'sche Krankheit, Schweinepest, Aujeszky'sche Krankheit, Tollwut, Listeriose; andere Intoxikationen (Organische Arsenverbindungen, Avermectine, Blei, Botulismus, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Dipyridinium-Herbizide, Ethylenglykol, Ionophore, Kochsalz/Trinkwassermangel, Metaldehyd, Nitrofurane, Organophosphate und Carbamate, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Pyrethroide, Quecksilber, Quinoxalinderivate, Schwefelwasserstoff, Selen, Strychnin).
 
6.2Plötzliche Todesfälle ohne oder mit wenig vorausgehenden Symptomen
Perakut oder akut verlaufende Infektionskrankheiten wie z.B. Ödemkrankheit; hochgradige Anämie oder Blutverlust; Herz-/Kreislaufversagen; Unfälle mit Blitzschlag und Elektrizität; andere Intoxikationen (Aflatoxine, Botulismus, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Cholecalciferol, Coumarinderivate, Dipyridinium-Herbizide, Eisenverbindungen, Ethylenglykol, Fumonisine, Ionophore, Kochsalz/Trinkwassermangel, Kohlenmonoxid, Metaldehyd, Nitrat/Nitrit, Organophosphate und Carbamate, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Quecksilber, Schwefelwasserstoff, Selen, Strychnin).
 
6.3Erbrechen
Diätetisch, viral, bakteriell; Magengeschwüre, Haarballen, Fremdkörper; Vitaminmangel (Thiamin, Riboflavin); andere Intoxikationen (Aflatoxine, Amitraz, anorganische Arsenverbindungen, Avermectine, Blei, Cadmium, Cholecaliferol, Dipyridinium-Herbizide, Eisenverbindungen, Ethylenglykol, Fusarientoxine, Fluor, Ionophore, Kochsalz/Trinkwassermangel, Kupfer, Metaldehyd, Nitrat/Nitrit, Organophospahte und Carbamate, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Pyrethtroide, Quecksilber, Schwefelwasserstoff, Selen, Stachybotryotoxin, Stickstoffdioxid).
 
6.4Durchfall
Diätetisch, viral, bakteriell, parasitär; andere Intoxikationen (Aflatoxine, anorganische Arsenverbindungen, Blei, Cadmium, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Cholecalciferol, Eisenverbindungen, Fusarientoxine, Fluor, Ionophore, Kochsalz/Trinkwassermangel, Metaldehyd, Mutterkornalkaloide, Ochratoxine, Organophosphate und Carbamate, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Pyrethroide, Quecksilber, Schwefelwasserstoff, Zearalenon, Zink).
 
6.5Ikterische Schleimhäute/Ikterus
Infektionen (Eperythrozoonose, Leptospirose, systemische Salmonellose, Babesiose); Vitamin E-/Selenmangel; andere Intoxikationen (Cadmium, Fumonisin, Kupfer, Selen).
 

7. Therapie

-Mit einer gründlichen Dekontamination muss schnellstmöglich nach Giftaufnahme begonnen werden. Die Prognose bei Tieren, deren Zustand sich innerhalb der ersten 24 Stunden nach Giftaufnahme bessert oder deren Symptomatik nicht schlimmer geworden ist, ist günstig. Tiere, die zwei Tage nach Giftaufnahme noch festliegen, sterben.
-Schweine, Stallböden, Wände und Tröge mit reichlich Wasser abspritzen und Sprühwasser abfliessen lassen oder entfernen. Falls noch Reste in Unebenheiten sind, müssen diese ausgekratzt werden.
 

8. Fallbeispiel

In einem Mastbetrieb wurde auf den Teilspaltenboden Cyanamid aufgebracht. Von den darauf eingestallten 113 Mastjagern zeigten alle innerhalb von zwei Tagen Bewegungsstörungen, die bis zum Festliegen führten, und Atemnot. Zwei Tiere verstarben, die restlichen zeigten Hyperthermie, Ataxie, Zittern, Dyspnoe, Anorexie und einen auffälligen gelbgrünlichen Durchfall von unterschiedlicher Intensität. Sektionsresultate umfassten generalisierter leichter Ikterus, geschwollene, blassgelbe Leber von leicht brüchiger Konsistenz und übermässiger Läppchenzeichnung, und blasse Nieren. Histopathologisch fielen bei der Leber Einzelzelldegeneration mit feintropfiger Verfettung der Leberzellen, kombiniert mit zentrolobulärer Leberzellnekrose und -nekrobiose auf; in den Epithelien der Rindentubuli wurde eine fettige Infiltration gefunden. Bei den überlebenden Tieren klangen die akuten Vergiftungserscheinungen innerhalb weniger Tage ab (Heinritzi & Bollwahn, 1985).
 

9.Literaturverzeichnis

Eich KO & Schmidt U (1998) Handbuch Schweinekrankheiten. Verlagsunion Agrar, Münster pp 239-240
 
Heinritzi K & Bollwahn W (1985) Alzogur-Vergiftung beim Schwein. Tierärztl Umschau 40, 914-921
 
Perkow W (1985) Cyanamid. In: Wirksubstanzen der Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, 2. Auflage, Paul Parey
 
Plonait H & Waldmann KH (1997) Erkrankungen der Verdauungsorgane und des Abdomens. In: Lehrbuch der Schweinekrankheiten (H Plonait & K Bickhardt Hrsg.), Parey Berlin, p 376
 
Gangolli S (1999) Cyanamide. In: The Dictionary of Substances and their Effects, Second Edition, Volume 2, Royal Society of Chemistry, pp 773-774
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