2. Quellen
Phenolhaltige Desinfektionsmittel gehören zu den am häufigsten verwendeten Präparaten in der Tierproduktion. Daneben werden Phenolderivate in Holzschutzmitteln, Entwicklerlösungen, Antiseptika, Hautseifen, Shampoos, Haarfärbemitteln und Anthelminthika angetroffen. Carbolineum ist ein Imprägnierungsmittel.
Es existieren auch natürliche Phenolderivate, wie das Thymol (aus Thymian) oder Eugenol (aus Gewürznelken), deren Toxizität um ein vielfaches geringer ist.
3. Kinetik
Sowohl über den Magen-Darm-Trakt, als auch über die Haut oder Lungen erfolgt eine schnelle Resorption der substituierten Phenole. Die Resorption des mittlerweile kaum mehr verwendeten reinen Phenols ist nur als mittelmässig zu bezeichnen.
Die Biotransformation erfolgt auf unterschiedliche Weise: Ein wichtiger Abbauweg beginnt mit der Oxidation, die zur Entstehung von Chinonen führt. Daneben findet die Konjugation durch Sulfatierung und Glukuronidierung statt.
Hierauf erfolgt die Ausscheidung über die Nieren.
Katzen, Reptilien und gewisse Vögel reagieren besonders empfindlich auf Phenole, da die Glukuronidierung bei diesen Spezies nur rudimentär ausgeprägt ist, und der Giftstoff daher nicht genügend abgebaut werden kann.
4. Toxisches Prinzip
Ihre lokale toxische Wirkung erlangen Phenole aufgrund der Denaturierung von Zellproteinen. Sie verursachen schon beim alleinigen Kontakt mit Haut oder Schleimhäuten tiefgehende Verätzungen, die anfangs weisslich erscheinen, sich später zu verbrennungsartigen Gewebszerstörungen entwickeln.
Die systemische Wirkung beruht auf radikalvermittelten Reaktionen und manifestiert sich in Form einer Leber- und Nierentoxizität. Phenolderivate stimulieren ausserdem das Respirationszentrum im Stammhirn, so dass es zur Hyperventilation und in Folge dessen zu einer respiratorischen Alkalose kommt. Über Kompensationsmechanismen (Bikarbonatausscheidung) folgt eine metabolische Azidose. Schliesslich können Phenole durch Oxidation des Hämoglobins Methämoglobinämie und Hämolyse verursachen. Hexachlorophen bewirkt eine Demyelinisierung im ZNS.
5. Toxizität bei Labortieren
Die akute, orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht) ist wie folgt:
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Benzoesäure | | 1'700 | | |
4-Chlor-m-cresol | | 1'830 | | |
4-Chlor-o-cresol | 1'320 | 1'190 | | 2 |
6-Chlor-o-cresol | 710 | | | |
2-Chlorphenol | 345 | 670 | | |
3-Chlorphenol | | 570 | 2 | |
4-Chlorphenol | | 670 | | |
Chlorxylenol | | 3'830 | | |
m-Cresol | 828 | 242 | | |
o-Cresol | 344 | 121 | | |
p-Cresol | 344 | 1'800 | 620 | |
Hexachlorophen | 67-187 | 56-66 | 41 | |
Pentachlorphenol | | 50-210 | | |
Phenol | 270 | 370 | | |
2-Phenylphenol (= o-Phenyl-phenol) | 1'050 | 2'000 | | |
Pyrogallol | 300 | | 1'600 | |
Resorcinol (= Resorcin) | | 301 | | |
2,4-Xylenol | 809 | 3'200 | 620 | |
2,5-Xylenol | 380 | 440 | 940 | |
3,5-Xylenol | 480 | 600 | 1'300 | |
II. Spezielle Toxikologie - Kleintier
1. Toxizität
Phenol: | Die minimal toxische Dosis (oral) beträgt 150 mg/kg beim Hund und 30 mg/kg bei der Katze. Die akute, orale LD50 für den Hund ist 0.5 g/kg Körpergewicht. |
Benzoesäure: | Die akute toxische Dosis (oral) für die Katze ist 450 mg/kg Körpergewicht, repetitiv 200 mg/kg Körpergewicht/Tag während 15 Tagen. |
Hexachlorophen: | Die akute, orale LD50 für den Hund ist 90 mg/kg. |
Katzen reagieren empfindlicher auf Phenole und Phenolderivate wegen der geringeren Glucuronidierungsfähigkeit.
2. Latenz
Die Latenzzeit bis zum Auftreten der ersten Symptome beträgt 1-4 Stunden; Leber- und Nierenschäden manifestieren sich erst nach 12-24 Stunden.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Depression, Schwäche, Anorexie, Ataxie, Schock oder Koma bei akutem Leber- oder Nierenversagen |
|
3.2 | Nervensystem |
| Krämpfe, Muskelzuckungen, Konvulsionen, Paralyse |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Hypersalivation, Erbrechen |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Polypnoe, Dyspnoe |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Tachykardie, Arrhythmien |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Korneanekrosen, -ulcera bis -penetration |
|
3.9 | Harntrakt |
| Grün oder schwarz gefärbter Harn, Hämoglobinurie, Proteinurie |
|
3.10 | Fell, Haut, Schleimhäute |
| Braun oder ikterisch gefärbte Schleimhäute |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Methämoglobinämie, Anämie, Ikterus |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefunde
Der typische weisse Schorf, der durch die Verätzungen entsteht, ist in den meisten Organen nachzuweisen. Die Organe sind ikterisch verfärbt.
Histopathologische Befunde: In der Leber finden sich zentrolobuläre Nekrosen, in der Niere Tubulusnekrosen. Hexachlorophen verursacht eine Vakuolisierung der Myelinscheiden in Gehirn und Rückenmark.
5. Weiterführende Diagnostik
- | Nachweis von Phenol im Harn mittels Farbreaktion: Die Vermischung von Urin mit Eisenchlorid führt zu Violettfärbung. |
- | Blutchemie: Leberenzyme, Harnstoff, Kreatinin und Bilirubin sind erhöht. |
- | Nachweis der Methämoglobinämie. |
- | Differentialblutbild: Hämatokrit erniedrigt wegen aplastischer Anämie, Thrombozytopenie; erst Leukozytose, dann Leukopenie. |
- | Mikroskopische Veränderung des Blutbilds: Heinz' Körperchen, basophile Tüpfelung der Erythrozyten. |
6. Differentialdiagnosen
- | Hämolytische Anämien |
- | Hämobartonellose |
- | Leptospirose |
- | Babesiose |
- | Andere Vergiftungen, die zu Hämolyse führen: Zink |
- | Autoimmunerkrankungen |
- | Bakterielle Infektion mit hämolysierenden Bakterien |
7. Therapie
7.2 | Dekontamination und Elimination |
- | Bei dermalem Kontakt sofortige Reinigung von Fell und Haut mit lauwarmem Wasser, mindestens 15 Minuten: Polyethylenglycol oder Glycerol erleichtert die Entfernung der Phenolderivate, danach kann ein mildes Detergens eingesetzt werden. |
- | Wenn das Auge, beziehungsweise die Kornea in Kontakt mit Phenolderivaten gekommen ist, muss mindestens 20 Minuten mit steriler Kochsalzlösung (oder lauwarmem Wasser) gespült werden. |
- | Bei oraler Aufnahme kann Milch oder Eiweiss eingegeben werden. |
- | Eine Verdünnung der oral aufgenommenen Substanz mit Wasser ist umstritten, weil die Resorption erleichtert werden könnte. |
- | Eine provozierte Emesis oder Magenspülung soll nur dann durchgeführt werden, wenn Verletzungen des Ösophagus mit Sicherheit auszuschliessen sind. |
- | Sofern guter Schluckreflex: wiederholte Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml). |
7.3 | Forcierte renale Elimination |
7.4 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Hautverbrennungen abdecken mit Binden, die in 0.5%igem Bicarbonat getaucht sind. |
- | Behandlung der Korneaverletzungen: Antibiotische Salbe, Vitamin A |
- | Aufhebung der Azidose: Bicarbonatinfusion, Ringerlaktat |
- | Antiemetika |
- | Antibiotische Versorgung |
- | Regulierung der Körpertemperatur |
- | Analgetika |
- | Die Behandlung des Hirnödems nach Hexachlorophenvergiftung bei Katzen ist mit 30%igem Harnstoff am erfolgreichsten. |
- | Behandlung der Methämoglobinämie mit Vitamin C und Methylenblau. Dosierung von Vitamin C: 30 mg/kg p.o. oder i.v. 6mal im Abstand von 6 Stunden; Dosierung von Methylenblau: 3-4 mg/kg langsam i.v. (Hund) oder 1.5 mg/kg langsam i.v. (Katze) |
- | N-Acetylcystein als Prophylaxe vor Lebernekrosen. Initialdosis 140 mg/kg i.v., dann 70 mg/kg p.o. 5-7mal im Abstand von 6 Stunden |
8. Fallbeispiele
8.1 | Eine Katze (4 Jahre) wurde mit Kresolseife gewaschen. |
| Symptome: Mydriasis, Zittern, Krämpfe, Erbrechen, Hypersalivation, Verätzungen der Maulschleimhaut |
| Therapie: Mehrmals gewaschen mit Wasser und Seife, Infusionen mit Glukosezusatz, Antibiotika, Glucocorticoide, homöopathische Vergiftungstropfen |
| Verlauf: Nach einer Woche langsame Besserung, nimmt selber wieder Wasser und Futter auf, nach 2 weiteren Tagen beginnt die Haut an Beinen und Bauch sich zu lösen. Es entstehen Eiterungen, die Katze hört auf zu fressen und wird euthanasiert |
| (Tox Info Suisse). |
9. Literatur
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Ellenhorn MJ (1997) Medical Toxicology, Williams & Wilkins, Baltimore, 1421-1424
Finnie JW, Abbott DP & Allan ET (1978) Hexachlorophene poisoning in a dog. Austr Vet J 54, 365
Gfeller RW & Messonnier SP (2004) Handbook of Small Animal Toxikology and Poisonings; Mosby, St. Louis, pp 265-268
Humphreys DJ (1988) Veterinary Toxicology, Baillere Tindall, London, pp 205-207
Kietzmann M (1993) Arzneimittelunverträglichkeiten und Intoxikationen bei der Katze. Mh Vet Med 48, 507-511
Kojda G (1997) Lösemittel. In: Pharmakologie/Toxikologie Systematisch (Kojda G, ed), UNI-MED, Bremen, pp 965-967
Moeschlin S (1952) Klinik und Therapie der Vergiftungen, Georg Thieme, Stuttgart, pp 267-269
Owens J & Dorman D (1997) Common household hazards for small animals. Vet Med 92, 140-148
Poppenga RH, Trapp L, Braselton WE, Louden CG, Gumbs JM & Dalley JB (1990) Hexachlorophene toxicosis in a litter of Doberman pinschers. J Vet Diagn Invest 2, 129-131
Windholz M (1983) The Merck Index. Merck & Co, Rahway, New Jersey