2. Quellen
Die Hauptvergiftungsursache mit quecksilberhaltigen Substanzen liegt in der Veterinärmedizin in der unbedachten Verfütterung von Getreide oder Getreideerzeugnisssen, die mit quecksilberhaltigen Saatbeizmitteln behandelt worden sind. Dieselbe Problematik hat in der Vergangenheit ebenfalls zu Vergiftungen beim Menschen, dies vor allem in Entwicklungsländern, wie Ghana, Guatemala, Irak oder Pakistan geführt.
Als Saatbeizmittel werden hauptsächlich organische Quecksilberverbindungen wie Methyl-, Dimethyl-, Ethyl- oder Phenylquecksilber verwendet.
Auch der Einsatz von quecksilberhaltigen Desinfektionsmitteln kann zu Vergiftungen führen. Es handelt sich hierbei vor allem um folgende Substanzen: Quecksilber(II)chlorid (Sublimat), Quecksilber(II)oxidcyanid, Phenylquecksilberacetat, -borat oder -nitrat. Merfen besteht aus Phenylquecksilberborat.
Quecksilberverbindungen sind auch als Konservierungsmittel in pharmazeutischen Präparaten und Impfstoffen enthalten (zum Beispiel Thiomersal).
Viele Quecksilberverbindungen wurden in früheren Zeiten für therapeutische Zwecke eingesetzt. Beispiele: Amidoquecksilber(II)chlorid (scharfe Einreibungen), Chlormerodrin (Diuretikum), Kalomel (Laxans und Diuretikum), Mersalyl (Diuretikum), Quecksilber(II)iodid (Rote Blister), Quecksilber(II)oxid (gelbe oder rote Augensalbe), Quecksilber(II)sulfid (rote Hautsalbe), anorganische Quecksilbersalze (gegen die Varroatose der Bienen).
Als weitere Vergiftungsquellen kommen in Frage: Quecksilberhaltige Farben, vor allem Quecksilber(II)sulfid, Thermometer, Barometer oder Batterien (eine Knopfbatterie enthält 1-5 g Quecksilber), aber auch Futtermittel, bei deren Herstellung quecksilberverseuchte Meeresfische (zum Beispiel Thunfisch) verwendet wurden.
3. Kinetik
Die Resorptionsquote und der damit in Verbindung stehende Grad der Toxizität, ist bei den einzelnen Quecksilberverbindungen stark unterschiedlich. Metallisches Quecksilber ist bei oraler Aufnahme und bei Hautkontakt praktisch ungiftig, da die Resorption dieser Substanzen sehr gering ist.
Organische Quecksilberverbindungen zeichnen sich infolge ihrer Lipidlöslichkeit durch eine allgemein gute Resorbierbarkeit und Gewebsverteilung aus, einschliesslich bei Hautkontakt. Die orale Bioverfügbarkeit von Organoquecksilberverbindungen liegt bei 50-100%.
Die Resorption der anorganischen Quecksilberverbindungen hängt von deren Wasserlöslichkeit ab und ist unterschiedlich, so wird zum Beispiel Quecksilber(II)chlorid (Sublimat) wesentlich besser über den Magen-Darm-Trakt resorbiert als Quecksilber(I)chlorid (Kalomel). Die orale Bioverfügbarkeit von anorganischen Quecksilberverbindungen liegt bei 2-15%.
Quecksilber besitzt einen hohen Dampfdruck: Quecksilberdampf wird über die Atemwege aufgenommen und kann somit zu Vergiftungen führen. Auch feinstverteilte Quecksilberpartikel (wie sie zum Beispiel in Salben vorkommen) können über Haut oder Schleimhäute resorbiert werden.
Die dermale Resorption von topischen Quecksilberpräparaten (Salben, Blistern) wird durch die gleichzeitige Applikation von DMSO (Dimethylsulfoxid) gesteigert.
Das resorbierte Quecksilber wird hauptsächlich in Nieren und Leber an Metallothionin gebunden oder in organischer Form (Methylquecksilber) gespeichert.
Die Ausscheidung des Metalls erfolgt nur langsam über Harn und Kot. Seine biologische Halbwertszeit beträgt 15 Tage bis mehrere Monate.
4. Toxisches Prinzip
Die toxische Wirkung von Quecksilber beruht auf der Reaktivität der Substanz gegenüber freien Sulfhydrylgruppen in Proteinen. Die klinischen Symptome sind dementsprechend äusserst vielfältig, da schwefelhaltige Enzyme fast ubiquitär im Körper vorkommen.
Vergiftungen durch organisches Quecksilber manifestieren sich in Form von zentralnervösen Störungen wie Ataxie, Hyperästhesie, Tremor, Krämpfen und Paralysen.
Anorganische Quecksilbersalze sind zum Teil stark korrosiv und erzeugen Hautirritationen, Verätzungen der Mundhöhle, des Rachens und des Magen-Darm-Traktes, sowie Nekrosen der renalen Tubuluszellen (Nierenversagen). Mit abnehmender Dosis der Quecksilbersalze treten Reaktionen des Gastrointestinaltraktes und der Nieren in den Hintergrund und werden wiederum von einer zunehmenden ZNS-Symptomatik überlagert.
Möglich sind auch allergische, oder sogar anaphylaktische Reaktionen, zum Beispiel nach Verabreichung von pharmazeutischen Präparaten, die Quecksilberverbindungen als Konservierungsmittel enthalten.
5. Toxizität bei Labortieren
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Chlormerodrin (Mercoral) | | 82 | | |
Ethylquecksilber(II)chlorid | 56 | 40 | | |
Ethylquecksilber(II)phosphat | 48 | 48 | | |
Natriummercumatilin | | 238 | | |
Methoxyethylquecksilberacetat | 45 | 25 | | |
Methoxyethylquecksilberchlorid | | 30 | | |
Methylquecksilber | 53 | | | |
Methylquecksilber(II)dicyandiamid | 20 | 68 | | |
Methylquecksilber-8-hydroxychinolat | 72 | | | |
Phenylquecksilberacetat | 13 | 22-100 | | 60 |
Phenylquecksilberchlorid | | 60-100 | | |
Quecksilber(II)acetat | 24 | 41-104 | 60 | |
Quecksilber(II)bromid | 35-40 | 35-40 | | |
Quecksilber(I)chlorid (Kalomel) | 180 | 166-210 | | |
Quecksilber(II)chlorid (Sublimat) | | 37 | | |
Quecksilber(II)cyanid | 33 | 26 | | |
Quecksilber(I)iodid | 110 | 310 | | |
Quecksilber(II)iodid | 17 | 18 | | |
Quecksilber(I)nitrat | 49 | 170 | | |
Quecksilber(II)nitrat | 26 | 25 | | |
Quecksilber(II)oxid | 16 | 18 | | |
Quecksilber(I)sulfat | 152 | 20.5 | | |
Quecksilber(II)sulfat | 25 | 67 | | |
Quecksilber(II)thiocyanat | 24.5 | 46 | | |
Thiomersal | 91 | 75 | | |
6. Umwelttoxikologie
Bekannt geworden ist die Verseuchung einer japanischen Meeresbucht (Minamata) durch quecksilberhaltige Industrieemissionen. In der Nachkriegszeit kam es dort zu Massenvergiftungen in der Bevölkerung wegen der Einleitung metallischen Quecksilbers in die Gewässer ("Minamata-Krankheit"). Dabei wurde das Quecksilber zuerst durch Mikroorganismen methyliert, in dieser organischen Bindung wurde es dann von Schalen- und Krustentieren, sowie Fischen aufgenommen und in deren Organismen angereichert. Da die einheimische Bevölkerung sich vorwiegend vom Fischfang ernährte, führte die Kumulation von organischem Methylquecksilber in der marinen Nahrungskette zu Hunderten von Todesfällen, und die Überlebenden litten unter schweren neurologischen Folgeschäden.
II. Spezielle Toxikologie - Kleintier
1. Toxizität
1.1 | Akute Toxizität, minimal toxische Dosis |
- | Quecksilber(I)chlorid (Sublimat), 0.2-0.35 g beim Hund |
- | Quecksilber(II)chlorid (Kalomel), 0.4-2 g beim Hund |
1.2 | Chronische Toxizität, minimal toxische Dosis |
- | Methylquecksilber, 0.25 mg/kg Körpergewicht/Tag während 56 Tagen bei der Katze (kontaminierter Fisch) und 0.1-1 mg/kg/Tag während 10-90 Tagen beim Hund |
- | Ethyl- oder Diethylquecksilber, 2-3 mg/kg/Tag während 21 Tagen bei Katzen (diese tägliche Menge kumuliert nach 26 Tagen zu einer letalen Dosis). |
2. Latenz
Mehrere Stunden bei akuten Vergiftungen; bei chronischen Vergiftungen dauert es mehrere Wochen, bis erste Symptome auftreten.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Exzitation, Unruhe, Ataxie, Koma oder Schock infolge Kreislaufversagen |
|
3.2 | Nervensystem |
| Tremor, Krämpfe |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Erbrechen, Hypersalivation, Schluckbeschwerden, Stomatitis, Gingivitis, Quecksilbersaum des Zahnfleisches, Zahnverlust |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Kolik, Durchfall (zum Teil blutig) |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Dyspnoe, Glottisödem, Kehlkopflähmung |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Tod durch Kreislaufversagen |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Rigidität der Hintergliedmassen bei Katzen |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Sehstörungen |
|
3.9 | Harntrakt |
| Oligurie, Anurie, Nierenversagen, Hämaturie |
|
3.10 | Fell, Haut, Schleimhäute |
| Irritationen, Nekrosen, Schleimhautläsionen |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Keine Symptome |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Die organischen Verbindungen wirken teratogen und können Aborte auslösen. |
4. Sektionsbefunde
Nekrosen der Respirations- oder Gastrointestinalschleimhaut, je nach Aufnahmeweg; Nierendegeneration; Nekrosen im Kleinhirn, Rückenmark und im peripheren Nervensystem.
Histopathologische Befunde: Demyelinisierung der Nervenfasern sind vor allem bei chronische Vergiftungen ein häufig nachgewiesener Befund.
5. Weiterführende Diagnostik
- | Quecksilberbestimmung im Blut und Harn mittels Atomabsorptionsspektrometrie. |
- | Metallisches Quecksilber ist auch mehrere Tage nach oraler Aufnahme noch röntgenologisch sichtbar. |
6. Differentialdiagnosen
- | Staupe |
- | Tollwut |
- | Gastroenteritis |
- | Encephalitis |
- | Myelitis |
- | Vergiftung mit anderen Schwermetallen |
7. Therapie
7.2 | Dekontamination und Elimination |
- | Nach inhalatorischer Aufnahme schnellstmögliche Entfernung des Patienten aus der kontaminierten Umgebung |
- | Provozierte Emesis, wenn die orale Aufnahme innerhalb der letzten Stunden erfolgt ist; diese ist bei ätzenden Quecksilberverbindungen (zum Beispiel Sublimat) kontraindiziert |
- | Sofern guter Schluckreflex: wiederholte Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml) |
- | Bei Hautkontakt Reinigung von Fell und Haut durch Abwaschen mit mildem Detergens |
7.3 | Forcierte renale Elimination |
- | DMPS (Dimercaptopropansulfonat); Dosierung: 5 mg/kg langsam (während 10 Minuten) i.v. infundieren, 6 Verabreichungen im Abstand von 4 Stunden, danach 2 mg/kg p.o. alle 8-12 Stunden; der Einsatz von Chelatbildner ist nur bei ungestörter Nierenfunktion sinnvoll! |
7.5 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Behandlung der Kolik mit einem Spasmolytikum. |
- | Antiemetika: Metoclopramid oder Domperidon. |
- | Antibiotische Versorgung der Haut- und Schleimhautläsionen. |
8. Fallbeispiele
8.1 | Ein Hund, 3 Monate, 10 kg hat einen Quecksilberthermometer zerbissen und das ausgetretene Metall geschluckt. |
| Symptome: Keine |
| Therapie: Keine |
| Verlauf: Der Hund bleibt unauffällig |
| (Tox Info Suisse). |
|
8.2 | Eine Shar-Pei-Hündin, 8 Monate, hat über mehrere Wochen die quecksilberhaltige Hautsalbe eines Zwingerkameraden abgeleckt. |
| Symptome: Erbrechen und Durchfall seit 2 Wochen, Glossitis, Stomatitis, Anurie. |
| Labor: Erniedrigter Hämatokrit, Hypoalbuminämie, erniedrigtes Gesamteiweiss |
| Therapie: Furosemid, Infusionen |
| Verlauf: Die Anurie besteht weiter. Probelaparatomie: Hochgradige Nephrose, die Hündin wird euthanasiert. |
| Sektion: Hämorrhagische Enteritis, stark geschwollene Nieren |
| (Greenwood et al., 1990). |
9. Literatur
Ellenhorn MJ (1997) Medical Toxicology, Williams & Wilkins, Baltimore, pp 1588-1599
Gangolli S (1999) The dictionary of substances and their effects, Second Edition. Royal Society of Chemistry, Cambridge
Greenwood JA, Studdert VP & Sullivan ND (1990) Inorganic mercury poisoning in a dog. Austr Vet J 67, 421-422
Freundt KJ (1995) Schwermetalle und Schwermetallantidote. In: Pharmakologie und Toxikologie (Estler CJ, ed) Schattauer, Stuttgart, pp 648-651
Frimmer M (1986) Schwermetalle und Edelmetalle. In: Pharmakologie und Toxikologie, Schattauer, Stuttgart, pp 314-316
Hoff B, Boermans HJ & Baird, JD (1998) Retrospective study of toxic metal analyses requested at a veterinary diagnostic toxicology laboratory in Ontario. Can Vet J 39, 39-43
Humphreys DJ (1988) Veterinary Toxicology, Bailliere Tindall, pp 59-64
Kostyniak PJ (1983) Methylmercury removal in the dog during infusion of 2,3- dimercaptosuccinic acid (DMSA). J Tox Environ Health 11, 947-957
Kühnert M & Gaede W (1991) Vergiftungen durch Emissionen und Immissionen. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (M Kühnert, ed) Gustav Fischer, Jena, pp 197-306
Windholz M (1983) The Merck Index. Merck & Co, Rahway, New Jersey