Wirkmechanismus
Die verschiedenen Benzodiazepine sind alle strukturell ähnlich und haben den gleichen Wirkmechanismus (
Seksel 2002a), unterscheiden sich aber in ihrer Wirkungspotenz und in ihrer Wirkungsdauer (
Löscher 2003a).
Benzodiazepine wirken an einer spezifischen Bindungsstelle am GABA-Rezeptor im ZNS (
Ebert 2002a). Es gibt zwei Typen von GABA-Rezeptoren, GABA
A und GABA
B, die prä- und postsynaptisch liegen können. Die zentrale Wirkung der Benzodiazepine spielt sich am GABA
A-Rezeptor ab (
Mason 2004a;
Charney 2001a). Dieser Rezeptorkomplex enthält Bindungsstellen unter anderem für GABA, Benzodiazepine, Barbiturate, gewisse Steroide und einen Chlorid-Kanal, der durch den inhibitorischen Neurotransmitter GABA geöffnet wird und zu einer Hyperpolarisation der Neurone führt (
Boothe 2001e). Die Bindung der Benzodiazepine löst eine allosterische Veränderung des GABA
A-Rezeptors aus, so dass dieser effektiver stimuliert werden kann. Die Folge davon ist eine erhöhte Offenwahrscheinlichkeit des Chloridkanals und damit eine verstärkte Hyperpolarisation (
Göthert 2001a). Barbiturate die auch an den GABA
A-Rezeptor binden verstärken ebenfalls den Chloridstrom, allerdings auf eine etwas andere Weise als die Benzodiazepine (
Starke 2001a).
Die Anwesenheit und Bindung von GABA an den Rezeptor induziert eine Veränderung der Benzodiazepinbindungsstelle, was zu einer erhöhten Affinität der Benzodiazepine führt (
Paul 1981a). Auch die Barbiturate erhöhen die Affinität der Benzodiazepine für ihren Rezeptor (
Thurmon 1996e).
Benzodiazepine antagonisieren daneben zu einem gewissen Teil auch Serotonin und führen zu einer verminderten Freisetzung von Acetylcholin im ZNS (
Plumb 2002a).
GABAA-Rezeptor-Untereinheiten
GABA
A-Rezeptoren bestehen aus fünf Untereinheiten, die eine zentrale Pore mit Selektivität für Chloridionen bilden. Es sind sieben verschiedene Klassen von Untereinheiten mit mehreren Variationen bekannt (α
1-6, β
1-3, γ
1-3, δ, ε, θ, ρ
1-3) (
Mohler 2002a). Die meisten GABA
A-Rezeptoren bestehen aus zwei α-, zwei β- und einem γ-Teil (
Moehler 2005a). Die Rolle der δ-, ε- und θ-Untereinheiten ist noch nicht vollständig geklärt (
Mohler 2002a).
Rezeptoren, welche eine α
1-, α
2-, α
3- und α
5-Untereinheit besitzen, können durch Benzodiazepine moduliert werden. Rezeptoren mit einer α
4- oder einer α
6-Untereinheit sind insensititv für die Benzodiazepine (
Mohler 2002a).
Rezeptoren mit einer α
1-Untereinheit sind am häufigsten im ZNS vorhanden, sie machen 60% aller GABA
A-Rezeptoren aus. Rezeptoren mit α
2- oder α
3-Untereinheiten sind im Vergleich dazu weniger häufig, nur je zu 15%, im Gehirn vorhanden. Rezeptoren mit einer α
5-Untereinheit kommen am seltensten vor und sind vor allem im Hippocampus anzutreffen (
Mohler 2002a).
Die sedative Wirkung, die anterograde Amnesie und zu einem Teil auch die antikonvulsive Wirkung werden durch die α
1-GABA
A-Rezeptoren vermittelt (
Mohler 2002a;
Mohler 2001a;
Rudolph 1999a). Die anxiolytische Wirkung hingegen kommt durch die Bindung der Benzodiazepine an α
2-GABA
A-Rezeptoren, die vor allem im Limbischen System lokalisiert sind, zustande (
Low 2000a). Die muskelrelaxierende Wirkung der Benzodiazepine wird primär durch α
2-GABA
A-Rezeptoren , bei höheren Konzentrationen aber auch von α
3-GABA
A-Rezeptoren vermittelt. Im Rückenmark sind sowohl α
2-, als auch α
3-GABA
A-Rezeptoren vorhanden (
Mohler 2002a). Für die muskelrelaxierende Wirkung sind höhere Dosierungen erforderlich, als für die anxiolytische Wirkung (
Moehler 2005a).
In der Humanmedizin sollten in Zukunft vermehrt selektive Benzodiazepine eingesetzt werden, die nur die α
2-Untereinheit beeinflussen und somit ausschliesslich zu einer anxiolytischen Wirkung und zu keinen sedativen Nebenwirkungen führen (
Mohler 2001a;
Low 2000a).
Wirkungsort
Benzodiazepinrezeptoren kommen in verschiedenen Regionen im ZNS vor (
Paddleford 1999b). In der Grosshirnrinde, im Thalamus und Hypothalamus (
Paddleford 1999b;
Erhardt 2004a), in der Kleinhirnrinde, im Rückenmark (
Mason 2004a) und im Hirnstamm (
Gross 2001a). Benzodiazepine wirken primär aber auf das Limbische System, wo die Rezeptoren in hoher Anzahl vorhanden sind (
Göthert 2001a).
Periphere Wirkungen
Im Gegensatz zu anderen Sedativa, wie den
α2-Agonisten, haben Benzodiazepine nur geringe periphere Wirkungen. Atmung und Kreislauf werden durch klinische Dosierungen nicht beeinflusst (
Ebert 2002a). Allerdings kann es bei zu schneller intravenöser Injektion aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung zu einem Atemstillstand kommen (
Löscher 2003a). Zusätzlich können Benzodiazepine die atemdepressiven Effekte anderer Anästhetika verstärken (
Erhardt 2004a).
Antagonisten
Die Wirkungen der Benzodiazepine können durch Applikation der spezifischen Benzodiazepinantagonisten
Flumazenil und
Sarmazenil aufgehoben werden (
Muir 1991c).
ZNS
Sedation
Die sedative Wirkung der Benzodiazepine kommt durch eine Unterdrückung des Limbischen Systems (
Overall 1997a) und der Formatio reticularis im Hirnstamm (
Short 1984b) zustande.
Gesunde Tiere lassen sich aber mit Diazepam alleine nur schwer sedieren, es kann sogar zu Erregungszuständen und Panikanfällen kommen (
Hall 2001k;
Hall 2001f). Bei gesunden stehenden Pferden führt Diazepam zu hochgradigen Ataxien (
Riebold 1995a).
Eine narkotische Wirkung wird auch mit hohen Dosen Diazepam nicht erreicht. Aufgrund der starken Ataxie legen sich die Tiere aber hin (
Ebert 2002a).
Benzodiazepine haben einen beruhigenden sowie zähmenden Effekt und können den Umgang mit schwierigen und aggressiven Tieren erleichtern (
Paddleford 1999b).
Jedoch können bei Hunden und Katzen nach der Injektion von Diazepam auch paradoxe Erregungszustände und Aggressionen auftreten. Dies kann durch die gleichzeitige Applikation eines Opioids vermieden werden (
Paddleford 1999b).
Anxiolyse
Durch eine inhibitorische Wirkung der Benzodiazepine auf die Neuronen im Limbischen System (
Erhardt 2004a) und der Amygdala kommt es zu einer Anxiolyse. Auch Effekte auf serotonerge und noradrenerge Neuronen im Hirnstamm tragen zur dieser anxiolytischen Wirkung bei (
Seksel 2002a).
Muskelrelaxation
Benzodiazepine haben eine zentral muskelrelaxierende Wirkung (
Thurmon 1985a;
Paddleford 1999b), die auf einer Hemmung von polysynaptischen Reflexen in der Formatio reticularis und auf einer Hemmung der interneuronalen Uebertragung im Rückenmark beruht (
Paddleford 1999b;
Erhardt 2004a). Damit wird die Aktivität spinaler Motoneurone gehemmt, was zu einer Reduktion eines spastisch erhöhten Muskeltonus ausgenutzt werden kann (
Ebert 2002a). Zum Teil legen sich die Tiere aufgrund der Muskelrelaxation hin oder zeigen Ataxien (
Gross 2001a).
Für die muskelrelaxierende Wirkung braucht es jedoch höhere Dosierungen als für die anxiolytische Wirkung der Benzodiazepine (
Mohler 2002a).
Antikonvulsion
Benzodiazepine hemmen die Ausbreitung von Anfällen im Gehirn und von generalisierten Krämpfen durch eine Potenzierung der hemmenden Wirkung des inhibitorischen Transmitters GABA im ZNS (
McNamara 2001a;
Vernau 2002a).
Diazepam dämpft als Antikonvulsivum Krampfanfälle und eignet sich zur Behandlung eines Status epilepticus (
Frey 1985b), eines Tetanus und auch einer Metaldehydintoxikation (
Gross 2001a).
Abhängigkeit
Bei einer Dauerbehandlung mit Diazepam kann es zu einer physischen Abhängigkeit kommen (
Sloan 1993a). Beim abrupten Absetzen treten Entzugserscheinungen (
Charney 2001a) wie Aengstlichkeit, Muskelkrämpfe, Schlafstörungen, Erregbarkeit (
O'Brien 2001a), Tremor, Appetitverlust und tonisch-klonische Krämpfe auf (
McNicholas 1983a).
Toleranz
Gegenüber den Wirkungen der Benzodiazepine kann sich eine Toleranz entwickeln (
Seksel 2002a). Die Ursache dafür sind Adaptationsvorgänge im Gehirn (pharmakodynamische Toleranz) und nicht ein schnellerer Abbau des Wirkstoffes (pharmakokinetische Toleranz) (
Göthert 2001a). Die Toleranz entwickelt sich deutlicher gegenüber der sedativen und antikonvulsiven Wirkung, wohingegen die anxiolytischen Effekte weniger betroffen sind (
Göthert 2001a;
Boothe 2001f). Beim Hund kommt es schon innert Wochen nach Beginn der Therapie zu einer reduzierten Wirkung von Diazepam (
Vernau 2002a). Im Gegensatz dazu entwickelt sich bei Katzen keine Toleranz gegenüber den Wirkungen von Diazepam (
Frey 1989a). Daher kann Diazepam bei dieser Tierart auch zur Dauertherapie verwendet werden (
Erhardt 2004a).
Appetitstimulation
Diazepam hat durch eine hemmende Wirkung auf das zentrale Sättigungszentrum im Hypothalamus (
Boothe 2001k) eine appetitstimulierenden Wirkung bei verschiedenen Tierarten, wobei dieser Effekt vor allem bei der Katze sehr ausgeprägt ist (
Hall 2001b). Aber auch beim Hund (
Boothe 2001k) und beim Pferd (
Muir 1991c) führt Diazepam in geringerem Ausmass zu einer Appetitstimulation.
Kardiovaskuläres System
Diazepam hat nur minimale Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System (
Charney 2001a). Die Herzfrequenz und das Herzminutenvolumen ändern sich nicht signifikant (
Gross 2001a). Nach intravenöser Injektion kann es aber zu einer vorübergehenden leichten Hypotension kommen (
Chai 1966a) und der Lösungsvermittlers Propylenglykol kann zu einer kardialen Depression führen (
Erhardt 2004a).
Respirationstrakt
Diazepam hat nur gering dämpfende Auswirkungen auf den Respirationstrakt (
Erhardt 2004a;
Charney 2001a). Die Atemfrequenz, das Atemzugvolumen und die Blutgaswerte werden kaum verändert (
Muir 1991c). Allerdings verstärken Benzodiazepine die atemdepressive Wirkung anderer Anästhetika, vor allem die der Opioide (
Erhardt 2004i;
Erhardt 2004a).