Wirkungsort
Da die Gestagene im Blut transportiert werden, könnte man annehmen, dass sie sich in allen Organen und Geweben, je nach Durchblutung, mehr oder weniger gleichmässig verteilen. Für die Gestagene trifft dies nicht zu, weil ihre Zielzellen spezifische Rezeptoren aufweisen (
Neumann 1992a). Das Progesteron wird von Granulosazellen der Ovarien unter Einfluss von LH gebildet (
Allen 1996b;
Plumb 1995a). Die folgenden Wirkungen des Progesterons an den Zielorganen laufen nur nach vorausgehendem Oestrogeneinfluss ab: Zervikalverschluss, Aufbau der endometrialen Sekretionsphase, Verminderung der Spontanmotilität des Myometriums, zentral dämpfende Wirkung (
Kroker 1997a). Der bei der Erhaltung der Trächtigkeit zur Wirkung kommende zentral hemmende Effekt des Progesterons, der die Freisetzung von LH aus der Hypophyse verhindert, lässt zwar ein weiteres Wachstum der Follikel zu, blockiert aber deren Ovulation. Diese Wirkung nutzt man bei der Zyklussynchronisation bei Wiederkäuern (
Grunert 1995a). Der inhibitorische Effekt des Progesterons auf die Sekretion von hypophysären Gonadotropinen ist dosisabhängig. Progesteron hat ausserdem eine anti-Insulin-Wirkung (
Plumb 1995a) und beteiligt sich auch an der Mammo- und Laktogenese (
Kroker 1997a). Die antiandrogene Wirkung des Progesterons beruht auf der Blockade der 5alpha-Reduktase, welche die Konversion von Testosteron zu Dihydrotestosteron katalysiert. Man findet auch Progesteronrezeptoren in der Haut und ihre Anzahl variiert je nach Hautregion. Aber man weiss relativ wenig über die Effekte, die Progesteron auf die Haut ausübt. In vielen Spezies hat Progesteron keinen Einfluss auf den Haarwuchs. Progestagene üben einen indirekten Einfluss auf die Haut aus und zwar über die Sekretionssteigerung von Wachstumshormon (
Schmeitzel 1990a).
Wirkungsmechanismus
Progesteron nimmt unter den Steroidhormonen eine Sonderstellung ein. Ausgehend vom Cholesterin stellt es eine Zwischenstufe in der Biosynthese der Androgene, Oestrogene und Kortikosteroide dar. Zu welchem Wirkstoff mit Steroidcharakter es dabei letztlich kommt, wird durch das Vorherrschen charakteristischer Enzymsysteme in den verschiedenen endokrinen Organen bestimmt. Daneben wird Progesteron vom Gelbkörper sezerniert (
Grunert 1995a).
Steroidhormone sind fettlöslich und deshalb fähig, in alle Zellen des Körpers einzudringen. Das Eindringen in die Zellen erfolgt durch passive Diffusion. Die Steroide binden an spezifische Rezeptoren, welche sich in den Zellen befinden (
Edquist L- 1997a). Für Steroidhormone gibt es wahrscheinlich nur Rezeptoren im Zellkern. Man weiss, dass der Hormonrezeptorkomplex nach Transformation im Zellkern eine starke Bindung mit der DNS eingeht. Durch die Stimulierung der RNS-Polymerase wird die Genexpression auf der Ebene der Transkription moduliert, d.h. die Synthese von mRNS (Boten-RNS) wird in Gang gesetzt, die ihrerseits die Synthese spezifischer Proteine und Enzyme in den Ribosomen anregt (Translation) und somit die eigentliche Hormonwirkung auslöst (
Edquist L- 1997a;
Neumann 1992a). Man vermutet, dass nur nicht proteingebundenes Hormon in die Zielzelle diffundieren kann. Das würde bedeuten, dass proteingebundene Steroide biologisch inaktiv sind. Die Bindung ans Plasmaprotein ist reversibel (
Edquist L- 1997a). Diese Transportproteine werden SHBG (sex hormone binding globuline, Sexualhormonbindendes Globulin) genannt (
Selman 1997a).
Anwendung der Wirkungsprinzipien in der Veterinärmedizin
Wiederkäuer
Gestagene werden seit vielen Jahren beim Rind (und kleinen Wiederkäuern) zur Brunstinduktion sowohl bei Tieren mit Zyklusstörungen als auch für die Brunstsynchronisation eingesetzt. Das Ziel der Behandlung besteht darin, durch Gestagenzufuhr die Verhältnisse der natürlichen Lutealphase zu simulieren. Die Gestagene hemmen über eine negative Rückkoppelung (negative feedback) die Gonadotropinausschüttung. Man geht davon aus, dass während der Behandlung, wie in der Lutealphase des Zyklus, eine wellenförmige Follikelanbildung erfolgt. Nach dem Absetzen des Gestagenpräparates sinkt die Progesteronkonzentration im Blut ab. Ueber den sogenannten Rebound-Effekt soll es zu einem Anstieg der LH-Konzentration im Blut und zum Einsetzen der Brunst mit Ovulation eines während der Behandlung herangewachsenen dominanten Follikels kommen (
Grunert 1995a;
Bostedt 1996a;
Nagelfeld 1996a).
Kleintiere (Hund & Katze)
Gestagene finden bei Hund und Katze zur Brunstunterdrückung und ‑verschiebung Anwendung. Die Effizienz der Steroide ist abhängig von der Potenz, mit der sie die Synthese und Sekretion der Sexualsteroide unterdrücken (
Feldmann 1996a;
Parez 1993a;
Arnold 1994a).
Viele Gestagene binden an die Glukokortikoidrezeptoren und üben eine glukokortikoidale Aktivität aus. Dieser Effekt wird bei Kleintieren ausgenützt, um bestimmte immunologische, autoimmune und dermatologische Erkrankungen zu behandeln. Da aber solche Erkrankungen meist mit hohen Dosen von Gestagenen und langfristig behandelt werden müssen, ist fast immer mit unerwünschten, Progestagen-induzierten Wirkungen zu rechnen (
Church 1994a;
Plumb 1995a;
Selman 1995a;
Selman 1997a).
Manche Gestagene haben eine antiandrogene Wirkung (Blockade der 5alpha-Reduktase). Dieser antiandrogene Effekt wird ausgenützt, um benigne Prostatahyperplasien, Prostatitis, Aggressionsverhalten und Hypersexualität beim Rüden zu behandeln (
Kawakami 1998a;
Murakoshi 1998a;
Kawakami 1993a;
Shimizu 1995a).
Pferde
Es gibt verschiedene Indikationen, welche den Einsatz von Gestagenen bei Pferden sinnvoll macht, z.B. Brunstsynchronisation, Brunstinduktion, Verhinderung von Fehlgeburten, sexuelle Ruhigstellung. Doch ist die Wirkung der meisten Gestagene bei Pferden unbefriedigend. Befriedigende Resultate erzielt man nur mit dem natürlichen Progesteron oder dem synthetischen Gestagen
Altrenogest (
Perkins 1999a).