Aufgrund genetischer Polymorphismen sind bei Hunden und Katzen grosse Aktivitätsunterschiede der Thiopurin S-Methyltransferase (TPMT), dem Katalysator der Methylierung von Thiopurinen, vorhanden. Dadurch kann bei gleicher Dosierung bei Tieren mit einer geringen TPMT-Aktivität ein toxischer Wirkstoffspiegel auftreten und bei Tieren mit einer hohen TPMT-Aktivität ein Therapieversagen beobachtet werden.
Bei allen Hunderassen, sowie auch bei der Hauskatze (Felis domesticus), konnten grosse Aktivitätsunterschieder der TPMT festgestellt werden (Beale 1992a; Salavaggione 2004a).
In einer Studie mit 145 Hunden konnten 9-fache TPMT-Aktivitätsunterschiede zwischen den einzelnen Individuen gemessen werden (Salavaggione 2002a). Dabei wurde eine generell erniedrigte Aktivität beim Riesenschnauzer (2,7-fach tiefer als der Mittelwert) und eine erhöhte Aktivität beim Alaskan Malamute (3,3-fach höher als der Mittelwert) festgestellt.
Der Defekt kann homo- oder heterozygot auftreten. Homozygot betroffene Tiere weisen eine tiefe bis fehlende TPMT-Aktivität auf; heterozygote Tiere zeigen eine intermediäre Aktivität (Salavaggione 2002a).
Folgende Wirkstoffe der Klasse der Thiopurine können zu Intoxikationen führen (Lennard 1992a; Beale 1992a; Plumb 2002a):
Die betroffenen Wirkstoffe werden bei Heimtieren zur Behandlung von Neoplasien und immunbedingten Erkrankungen (z. B. immunbedingte hämolytische Anämie, Rheumatoide Arthritis) angewendet.
Bei Katzen kommen diese Wirkstoffe aufgrund der häufig auftretenden Myelosuppression kaum mehr zur Anwendung.
In der Humanmedizin gehört die Messung der TPMT-Aktivität in den Erythrozyten vor einer Behandlung mit Thiopurinen zum Standard (Salavaggione 2002a; Kidd 2004a). Zur Zeit gibt es aber kein Labor, welches die TPMT-Aktivität bei Heimtieren standardmässig misst.
Beim Hund ist die TPMT-Aktivität in den Erythrozyten vergleichbar wie beim Menschen; bei der Katze ist der Durchschnittswert etwa 5-mal tiefer (Salavaggione 2004a; White 2000d).
Aus der Humanmedizin ist bekannt, dass bei Patienten mit besagtem Gendefekt die Dosierung der Wirkstoffe der Klasse der Thiopurine um 90% reduziert werden muss. Im Gegensatz dazu werden Patienten mit einer hohen TPMT-Aktivität mit Standarddosierungen untertherapiert (Kidd 2004a).
Eine Überdosierung mit den betroffenen Wirkstoffen führt zu Erbrechen, Durchfall und Anorexie, sowie zu Pankreatitis, Hepatotoxizität, Magenulzera und Hautveränderungen (Plumb 2002a; Beale 1988a).
Langfristig bewirkt die Thiopurin-Intoxikation eine Myelosuppression, was wiederum zu Anämie, Leukopenie, Neutropenie, Thrombozytopenie und Sekundärinfektionen führt (Lennard 1992a; Rinkardt 1996a). Dabei sind vor allem Katzen von einer Myelosuppression mit Sekundärinfektionen im Respirationstrakt betroffen (Beale 1992a).
Symptomatische Massnahmen, wie die Sicherung des Flüssigkeitsbedarfs und eine künstliche Ernährung werden empfohlen. Bei einem tiefen Hämatokrit sollte eine Bluttransfusion in Betracht gezogen werden.
Sofern die Krankheit nicht bereits zu weit fortgeschritten ist, können die Symptome durch die sofortige Absetzung der Medikamente gelindert werden (Beale 1992a; Kidd 2004a).
Während der Therapie mit den oben genannten Wirkstoffen sollte die Gesamtleukozytenzahl regelmässig überprüft werden. Bei Therapiebeginn wird das Blutbild alle 1 - 2 Wochen, später alle 1 - 2 Monate kontrolliert (Plumb 2002a). Sobald die Leukozytenzahl unter 5000 - 7000 Zellen/mm3 fällt, sollte die Dosis um 25% erniedrigt werden. Bei einem Wert von unter 5000 Zellen/mm3, muss die Behandlung abgebrochen werden: die Leukopenie ist in diesem Stadium noch reversibel (Plumb 2002a; Rinkardt 1996a).
Der Thiopurinmetabolismus findet in der Leber statt, wo die Thiopurin S-Methyltransferase (TPMT) eines von drei Enzymsystemen ist, welches am Abbau des Thiopurins beteiligt ist.
Die TPMT katalysiert die S-Methylierung von Thiopurinen: Durch die Anlagerung einer Methylgruppe wird der Einbau der Nukleotidanaloga in die DNA respektive RNA verhindert (Lennard 1992a; Szumlanski 1996a).
Die Aktivitätsunterschiede der TPMT lassen sich durch verschiedene genetische Polymorphismen erklären. Diese bestehen in Einzelnukleotid-Polymorphismen (single nucleotid polymorphisms = SNPs), Insertionen und Deletionen, welche bei Hund und Katze weitervererbt werden (Salavaggione 2002a; Salavaggione 2004a).
Durch diese Varianten im TPMT-Gen und der folglich verminderten oder fehlenden Aktivität der Thiopurin S-Methyltransferase wird der Abbau der Thiopurine behindert. Es bildet sich eine intrazelluläre Akkumulation von 6-Thioguanin-Nukleotiden (6-TGN), die sich in die Nukleinsäuren der hämatogenen Progenitorzellen einfügen und dort zu "nonsense"-Formationen führen, was schlussendlich eine Myelosuppression auslöst (Lennard 1989a; Lennard 1987a).
Neben den genetischen Polymorphismen konnte bei den schnellen Metabolisierern zusätzlich eine erhöhte Degradation des Thiopurinproteins festgestellt werden, was in Kombination mit den erwähnten Polymorphismen zu einem Therapieversagen führen könnte (Salavaggione 2005a).
Aus der Humanmedizin ist bekannt, dass neben genetischen Polymorphismen auch Arzneimittelinteraktionen eine grosse Rolle spielen: So erniedrigen Sulfasalazine die TPMT-Aktivität; eine Urämie wiederum kann die TPMT-Aktivität erhöhen (Weyer 2001a).
Diese Faktoren konnten in der Veterinärmedizin jedoch nur teilweise bestätigt werden (Kidd 2004a).