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Scillirosid

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Scillirosid ist das Glycosid der Meerzwiebel (Drimia maritima). Es gibt Meerzwiebel-Arten mit einem hohen Scillirosid-Gehalt und solche mit einem hohen Proscillaridin-A- und Scillaren-A-Gehalt. Letztere können für pharmazeutische Zwecke verwendet werden. Scillirosid ist hitzeempfindlich, in Wasser und Aceton mittelmässig gut und in Ethanol oder Ethylenglykol gut löslich.
 

2. Quellen

Die Vergiftungsquelle für Haus- und Nutztiere liegt beim Einsatz von Scillirosid in Rattenködern.
 

3. Kinetik

Die orale Bioverfügbarkeit von Scillirosid liegt bei ungefähr 35%. Die Ausscheidung erfolgt über Nieren und Galle in Form eines Konjugates mit Glucuronsäure. Die Ausscheidung verzögert sich über mehrere Tage, weil Scillirosid einem enterohepatischen Kreislauf unterliegt.
 

4. Toxisches Prinzip

Durch Reizung der Schleimhäute wirkt Scillirosid als starkes Brechmittel, ausser bei Species wie der Ratte, die nicht erbrechen können. Im übrigen ist Scillirosid ein Herzglykosid, das eine ähnliche Herzwirkungen wie die Digitalisglycoside erzeugt.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Die akut orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht) ist wie folgt: Ratte, 0.43; Maus, 0.35.
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

Die letale Dosis dürfte unter 1 mg/kg Körpergewicht p.o. liegen, es existieren aber keine genauen Angaben. Die minimal letale Dosis (oral) des rohen Meereszwiebelextraktes liegt bei 145 mg/kg für den Hund und bei 100 mg/kg für die Katze.
 

2. Latenz

Nach oraler Aufnahme dauert es wenige Stunden bis zum Ausbruch der Symptome.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Unruhe, Depression, Apathie, Ataxie, kardiogener Schock
  
3.2Nervensystem
Krämpfe
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Hypersalivation, Erbrechen
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Durchfall
  
3.5Respirationstrakt
Keine Symptome
  
3.6Herz, Kreislauf
Arrhythmien, Bradykardie, Kammerflimmern, Hypotonie
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Auge, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Polyurie
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Keine Symptome
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Gastroenteritis; unspezifische Degenerationen der Leber, Niere und Myokard.
 

5. Weiterführende Diagnostik

-Verändertes Elektrokardiogramm: Bradyarrhythmie, ventrikuläre Tachyarrhythmie.
 

6. Differentialdiagnosen

-Vergiftung mit Pflanzen, die ebenfalls Herzglykoside enthalten: Fingerhut, Maiglöckchen.
-Digitalisüberdosierungen
-Arrhythmien anderer Genese.
-Gastroenteritis
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren; unter EKG-Kontrolle können Kaliumhaltige Lösungen verwendet werden, um die Glykosidwirkung am Herzen zu vermindern.
-Atmung stabilisieren
-Krämpfe kontrollieren
 
7.2Dekontamination und Elimination
-Emesis muss ausgelöst werden, wenn die Tiere nicht schon aufgrund der Vergiftung erbrechen
-Sofern guter Schluckreflex: wiederholte Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml)
 
7.3Weitere symptomatische Massnahmen
-Atropin gegen Bradykardie und Phenytoin gegen Tachyarrhythmie
-Antiemetika: Metoclopramid oder Domperidon
 
7.4Kontraindiziert:
-Diuretika dürfen wegen der Gefahr einer Hypokaliämie und die dadurch verursachte Verstärkung der Glykosidwirkung nicht eingesetzt werden.
 

8. Fallbeispiele

8.1Ein Collie (26 kg) und ein Dackel (8kg) haben unbekannte Mengen eines Rattengiftes gefressen, das 0.03% Scillirosid enthält.
Symptome: Rezidivierendes Erbrechen, Ataxie, Krampfanfälle, Speicheln, Harn- und Kotabsatz
Therapie: Aktivkohle (repetitiv), Metoclopramid, Valium
Verlauf: Nach einer Woche vollständige Heilung
(Tox Info Suisse).
  
8.2Ein Terrier-Rüde (16 kg, 3 Jahre) hat vor kurzem 5 g eines Köders gefressen, der 0.03% Scillirosid enthält.
Symptome: Apathie, Bradykardie
Therapie: Emesis, Aktivkohle
Verlauf: Besserung
(Tox Info Suisse).
 

9. Literatur

Gfeller RW & Messonnier SP (1997) Handbook of Small Animal Toxikology and Poisonings, Mosby, St. Louis, pp 309-310
 
Humphreys DJ (1988) Veterinary Toxicology, Bailliere Tindall, pp 181-182
 
Lüllmann H, Mohr K & Ziegler A (1994) Taschenatlas der Pharmakologie, Thieme, Stuttgart, pp 130-133
 
Windholz M (1983) The Merck Index, Merck & Co, Rahway, New Jersey
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