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Paracetamol

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Paracetamol (Acetaminophen) gehört zur Gruppe der Aminophenolderivate.
 

2. Quellen

Paracetamol ist in der Humanmedizin ein beliebtes Schmerz- und Fiebermittel. Der Wirkstoff ist in Form von Tabletten, Pulver, Sirup, Tropfen oder Zäpfchen auf dem Markt.
 

3. Kinetik

3.1Resorption
 
Nach oraler Aufnahme wird Paracetamol rasch und fast vollständig (zu 90%) resorbiert. Die höchsten Blutkonzentrationen werden beim Hund nach 15-60 Minuten gemessen.
 
3.2Verteilung
 
Das Verteilungsvolumen bewegt sich im Rahmen von 1 L/kg Körpergewicht. Im toxischen Dosisbereich liegt die Plasmaproteinbindung bei 20-50%.
 
3.3Elimination
 
Die Plasmahalbwertszeit nimmt mit steigender Dosis zu (Sättigungskinetik), daher sind bei Vergiftungen die Eliminationszeiten bedeutend verlängert. Die Halbwertszeit von Paracetamol beträgt beim Hund 72 Minuten nach einer Dosis von 100 mg/kg und 210 Minuten nach einer Dosis von 500 mg/kg. Bei Katzen beträgt die Halbwertszeit 36 Minuten nach einer Dosis von 20 mg/kg und 288 Minuten nach einer Dosis von 120 mg/kg. Der Wirkstoff wird vorwiegend über Glucuronidierung und Sulfatierung inaktiviert. Die Katze kann Aminophenolderivate nicht ausreichend durch Glucuronidierung entgiften, so dass bei dieser Spezies schon in tiefen Dosierungen das toxische Biotransformationsprodukt N-Acetyl-p-Benzochinonimin (NAPQI) entsteht.
 

4. Toxisches Prinzip

Paracetamol wirkt analgetisch und antipyretisch aber nicht antiphlogistisch (Mechanismus: Hemmung der Prostaglandinsynthese im Gehirn). Normalerweis wird Paracetamol direkt über Konjugationsreaktionen (Glucuronidierung, Sulfatierung) der Ausscheidung aus dem Körper zugeführt. Durch Erschöpfung dieser Mechanismen (bei Katzen, bei Jungtieren, bei hohen Dosen von Paracetamol oder bei Verbrauch der Konjugationspartner für die gleichzeitige Biotransformation anderer Xenobiotika) wird ein zusätzlicher Weg eingeschlagen, nämlich die P450-abhängige N-Hydroxylierung. Dabei entsteht ein reaktiver Metabolit (N-Acetyl-p-Benzochinonimin), der durch die Glutathion-S-Transferase mit Glutathion konjugiert wird. Sobald das zelluläre Glutathion aufgebraucht ist, kann dieser reaktive Metabolit seine zytotoxische Wirkung durch Proteinbindung entfalten. Versuche an Ratten haben gezeigt, dass der Ernährungsstatus die Empfindlichkeit für Paracetamolvergiftungen drastisch beeinflussen kann. Fasten führt zu einer Depletion des zellulären Glutathions, die Tiere sterben an einer Dosis von Paracetamol, die ad libitum gefütterte Tiere unbeschädigt überstehen können. Das primäre Zielorgan der Paracetamol-Toxizität ist die Leber. Bei Katzen kommt es zuvor zur Oxidation des Hämoglobins in den Erythrozyten (Methämoglobinbildung). Die Ursache scheint der Metabolit Para-Aminophenol zu sein, da Para-Aminophenol als N-Acetylkonjugat ausgeschieden wird und sowohl Katzen wie auch Hunde eine ungenügende Arylamin-N-Acetyltransferase (NAT)-Aktivität haben.
Andere empfindliche Tierarten sind Frettchen, Schweine, Vögel, Reptilien und Seelöwen.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Akute, orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatteKaninchenHuhn
Paracetamol3381'900-2'400  
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

1.1Hunde
-Die Dosierungsempfehlung für den Hund lautet 10-15 mg/kg Körpergewicht p.o. alle 8 Stunden für 5 Tage, danach alle 12 Stunden am unteren Ende des Dosierungsbereichs. Paracetamol nicht während der Trächtigkeit und Laktation anwenden, da es in geringem Mass in die Milch ausgeschieden wird. Als unerwünschte Wirkungen sind Keratokonjuktivitis sicca, v.a. bei kleinen Rassen, bei allen Rassen bei > 30mg/kg mit einer Latenz von 48-72 Stunden und idiosynkratische Allergien beschrieben worden.
-Symptome können ab 50 mg Paracetamol/kg Körpergewicht p.o. auftreten; eine Hepatotoxizität tritt generell ab Dosen von > 75 mg/kg bis 100 mg/kg Körpergewicht auf, sind aber auch bei chronischer Einnahme möglich; ab 200 mg/kg tritt generell eine Methämoglobinämie auf.
-Dekontamination (provozierte Emesis, danach Aktivkohlegabe: nicht wenn N-Acetylcystein p.o.) und Verabreichung von N-Acetylcystein ab 50 mg Paracetamol/kg Körpergewicht p.o., zusätzlich Vitamin C ab 200 mg/kg Körpergewicht p.o. (Dosierung unter 7.3.).
 
1.2Katzen
-Katzen reagieren äusserst empfindlich auf Paracetamol. Die minimal toxische Dosis beträgt 10 mg/kg Körpergewicht p.o., 40 mg/kg Körpergewicht können eine Methämoglobinämie auslösen, allerdings ist eine solche schon ab 10 mg/kg Körpergewicht möglich. Bei höheren Dosen kann auch eine Hepatotoxikose auftreten, es tritt jedoch immer zuerst eine Methämoglobinämie auf.
-Dekontamination (provozierte Emesis, danach Aktivkohlegabe: nicht wenn N-Acetylcystein p.o.) sowie Verabreichung von Vitamin C und N-Acetylcystein (Dosierung unter 7.3.) ab 10 mg Paracetamol/kg Körpergewicht p.o.
 
1.3Jungtiere
Eine erhöhte Vergiftungsgefahr besteht aufgrund der noch unzureichend ausgebildeten Glucuronidierungsfähigkeit auch beim Jungtier.
 

2. Latenz

Hunde: die Latenzzeit der Paracetamolvergiftung beträgt typischerweise 1-4 Stunden und dauert 12-48 Stunden. Die Transaminasen steigen in den ersten 24 Stunden an und haben ihr Maximum nach 48 Stunden erreicht. Spät oder unbehandelte Tiere sterben nach 18-36 Stunden an einem Leberversagen.
Katzen: die Symptome treten innert 4 Stunden auf, der Tod, bei fehlender Behandlung, ab 24 Stunden. Die Prognose ist abhängig vom Schweregrad der Methämoglobinämie.
 

3. Symptome

Die Symptome der Paracetamolvergiftung sind durch die Leberinsuffizienz gekennzeichnet; bei der Katze steht in der Anfangsphase die Methämoglobinbildung im Vordergrund.
 
3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Anorexie, Depression (Hepatoenzephalopathie), Hypothermie, Koma
  
3.2Nervensystem
Tremor
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Erbrechen
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Schmerzhaftes Abdomen
  
3.5Respirationstrakt
Dyspnoe
  
3.6Herz, Kreislauf
Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Chemosis (Konjunktivalödem), Keratokonjunktivitis sicca (Hund)
  
3.9Harntrakt
Hämoglobinurie, Hämaturie
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Methämoglobinämie (bräunliche Schleimhäute), Zyanose (bläuliche Schleimhäute), Ikterus, Ödeme im Gesichtsbereich, an Vordergliedmassen und Pfoten
  
3.11Blut, Blutbildung
Methämoglobinbildung (schokoladenbraunes Blut), Hypoglykämie, hämolytische Anämie, Koagulopathie
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Methämoglobinämie; Lungenödem; Ikterus; zentrolobuläre Lebernekrosen; Nierendegeneration
 

5. Weiterführende Diagnostik

5.1Direkter Nachweis
-Nachweis von Paracetamol in Plasma, Serum oder Harn (gebräuchlichste Methode: Enzymimmunoassay)
 
5.2Veränderte Laborwerte
-Methämoglobinämie
-Blutchemie: Hämoglobinämie, Bilirubinämie, erhöhte Leberenzymaktivität im Serum (Alanin-Aminotransferase/ALT, Aspart-Aminotransferase/AST), Hypoglykämie
-Differentialblutbild: Hämatokrit erniedrigt, Anämie
-Mikroskopisches Blutbild: Erythrozyten mit Heinz-Körperchen
-Harnuntersuchung: Hämoglobinurie, Hämaturie
 

6. Differentialdiagnosen

-Vergiftungen mit anderen Methämoglobinbildnern (z.B. Nitrit, Phenacetin, Phenole)
-Vergiftungen mit anderen hepatotoxischen Substanzen (z.B. Aflatoxin, Phenole)
-Pankreatitis
-Hepatitis (z.B. wegen Leptospiroseninfektion)
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren
-Gegebenenfalls Bluttransfusion
-Atmung unterstützen
 
7.2Dekontamination
-Provozierte Emesis
-Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml) - nicht wenn Acetylcystein oral gegeben wird.
 
7.3Antidottherapie
-N-Acetylcystein: Initialdosis 140-180 mg/kg Körpergewicht i.v. (verdünnt auf 5%, langsam über 15-20 Minuten) oder 280 mg/kg Körpergewicht p.o (via Magenschlundsonde), dann jeweils im Abstand von 6 Stunden: 70 mg/kg i.v. oder p.o., mindestens 7 Behandlungen, bei sehr hoher Überdosierung bis 17 Behandlungen. Bei schweren Intoxikationen oder bei Tieren mit Vomitus wird die i.v.-Gabe empfohlen. Die N-Acetylcystein-Verabreichung sollte so rasch wie möglich begonnen werden.
-Vitamin C: 30 mg/kg p.o. oder i.v. 6mal im Abstand von 6 Stunden.
-Methylenblau (nur bei schwerer Methämoglobinämie):
Hund: 1-1.5 mg/kg als 1%ige Lösung, langsam i.v. über mehrere Minuten, eine dramatische Verbesserung sollte innerhalb der ersten 30 Minuten eintreten, kann bei Bedarf wiederholt werden, jedoch vorsichtig, da es eine Heinz Körper Anämie verursachen kann; nach der Behandlung während 3 Tagen Hämatokrit messen.
Katze: kann angewendet werden (umstritten), jedoch sehr vorsichtig, 1-1.5 mg/kg i.v. langsam über mehrere Minuten, nur einmalig (Plumb, 2018).
-S-Adenosyl-L-Methionin:
Hund: einmalig 40 mg/kg Körpergewicht p.o., dann 20 mg/kg Körpergewicht p.o. einmal täglich für 7 Tage oder mehr.
Katze: 90 mg/Tier p.o. 2mal täglich für 3 Tage, dann 90 mg/Tier p.o. einmal täglich für 14 Tage (Baytes, 2016).
 

8. Fallbeispiele

8.1Zwei Katzen (14 und 30 Monate) bekommen vom Besitzer 3mal 325 mg Paracetamol. Die Katzen werden 24 Stunden später vorgestellt.
Symptome: Anorexie, blasse Schleimhäute, Hypothermie, Hämaturie
Therapie: Antihistaminika, Antibiotika, Corticosteroide, Infusionen, Vitamine
Verlauf: Ikterus, Dehydratation, schwacher Puls, eine Katze überlebt
(Schweizerisches Toxikologische Informationszentrum).
  
8.2Zwei Katzen (4.5 und 6 kg) haben vom Besitzer je 1 Tablette Paracetamol bekommen.
Symptome: Apathie, Zyanose, Ataxie, Fieber, Ödeme am Hals
Therapie: Keine
Verlauf: Die leichtere Katze stirbt
(Tox Info Suisse).
  
8.3Ein Zwergpudel (6.5 kg) frisst Tabletten mit insgesamt 3 g Paracetamol.
Symptome 12 Stunden später: Lethargie, Erbrechen, Hypothermie, braune Schleimhäute, Kapillarfüllungszeit verzögert, gelbliche Sklera und Präputium, Gesichtsödem, Schmerzen im Abdomen
Therapie: Beatmung, Infusion, N-Acetylcystein, Vitamin C (beides 7mal im Abstand von 6 Stunden)
Verlauf: Nach vorübergehender Besserung treten Ikterus und Erbrechen auf.
Weitere Therapie: Bluttransfusion (350 ml über 6 Stunden), Infusion, Leberdiätfutter
Verlauf: Genesung, nach einem Monat sind alle Blut- und Leberwerte wieder normal
(Tox Info Suisse).
 

9. Literatur

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